Donnerstag, 28. März 2024

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Auswahl von Medizin-Studierenden
"Abiturnote durch weitere Kriterien ergänzen"

Super Abi, toller Arzt? Bei der Auswahl von Bewerbern für das Fach Medizin sollte die Abiturnote zwar maßgebend bleiben, aber auch soziale Kompetenzen sollten Berücksichtigung finden. Das forderte Carolin Siech, Sprecherin der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland, im Dlf.

Carolin Siech im Gespräch mit Michael Böddeker | 04.10.2017
    Die Medizinstudenten Marie (l) und Helene führen in der Charité in Berlin bei der Übung "Simulierte Rettungsstelle" eine Notfallbehandlung an einem Dummy durch.
    Zwei Medizinstudentinnen führen in der Charité in Berlin eine Notfallbehandlung an einem Dummy durch. (picture alliance / dpa / dpa-Zentralbild)
    Michael Böddeker: Viele, viele Bewerber, aber nicht genug Studienplätze für alle – so sieht es beim Medizinstudium aus. Eben haben wir schon gehört, was dazu heute vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt wurde und wie mögliche Alternativen zum NC aussehen könnten, aber was denken eigentlich diejenigen darüber, die ganz unmittelbar betroffen sind, nämlich die Medizinstudentinnen und -studenten. Darum geht es jetzt.
    Bereits einen Studienplatz bekommen hat Carolin Siech. Sie studiert in Frankfurt Medizin, und sie ist Sprecherin der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland. Guten Tag, Frau Siech!
    Carolin Siech: Guten Tag!
    Böddeker: Das Bundesverfassungsgericht soll ja jetzt klären, ob das bisherige Zulassungsverfahren geändert werden muss. Wie ist es aus Sicht der Studierenden? Sollte da was geändert werden?
    Siech: Wir als Studierende begrüßen definitiv, dass sich das Bundesverfassungsgericht endlich damit beschäftigt, dass das Verfahren geändert wird. Und es kann nicht sein, dass Bewerberinnen und Bewerber mehr als das eigentliche Studium [meint: länger als das Studium selbst dauert, Anm. d. Red.] darauf warten, endlich zugelassen zu werden, und vor allem auch das Losglück darf nicht darüber entscheiden, ob Studierende einen Studienplatz erhalten, wenn es mehr Bewerberinnen und Bewerber gibt als Studienplätze.
    Böddeker: Sind das so aus Ihrer Sicht, aus Sicht der Studierenden, auch die größten Probleme beim bisherigen Verfahren oder wo gibt es noch Schwierigkeiten?
    "Soziale Kompetenzen sollten beim Auswahlverfahren berücksichtigt werden"
    Siech: Es ist vor allem auch wichtig, dass weitere Kriterien berücksichtigt werden, denn Studierende zeichnen sich nicht nur durch gutes Lernen aus, sondern sie müssen auch auf ihren späteren Beruf vorbereitet werden, und dazu zählen eben auch soziale Kompetenzen, und diese sollten dann auch beim Auswahlverfahren berücksichtigt werden.
    Böddeker: Was könnten das für Kompetenzen sein, die helfen können, damit man später ein besserer Arzt ist?
    Siech: Wichtige Kompetenzen sind vor allem auch die Gesprächsführung, das heißt, gut mit den Patientinnen und Patienten interagieren zu können. Klar ist da natürlich auch im Studium die Gelegenheit da, das zu erlernen, aber wichtige Grundzüge müssen von Beginn an auch vorhanden sein, damit die Bewerberinnen und Bewerber auch später im Studium und auch im Beruf erfolgreich sind.
    Böddeker: Aber wie kann man denn herausfinden, ob jemand sozial kompetent ist?
    Siech: Dahingehend gibt es sogenannte Situational Judgement Tests, kurz gesagt: SJTs. Das sind Aufgaben, kontextbezogene Tests, die Wissen prüfen und soziales Urteilen abprüfen. Dies ist ein Kriterium, das mittlerweile auch in Studien belegt wurde, dass dieses erfolgreich auch dazu dienen kann, Bewerberinnen und Bewerber auszuwählen.
    Böddeker: Also durchaus auch so ähnlich wie wir das eben im Beitrag gehört haben mit so kleinen Rollenspielen, wo die Bewerber in so Situationen hineingeworfen werden, die später auf sie zukommen könnten? So in die Richtung?
    Abiturnote, Studierfähigkeitstests und Berufserfahrung
    Siech: Genau, dies könnte ein Kriterium sein, das eben neben der Abiturnote berücksichtigt wird, und daneben können natürlich auch Studierfähigkeitstests und auch die Berufserfahrung ein wichtiger Prädiktor dafür sein, wie hoch die Motivation eigentlich für das Studium ist und wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass die Bewerberinnen und Bewerber erfolgreich ihr Studium auch abschließen werden.
    Böddeker: Wie läuft das eigentlich aktuell ganz konkret ab, wenn man sein Abitur gemacht hat und dann versucht, einen Studienplatz für Medizin zu bekommen? Wie geht man da vor?
    Siech: Man bewirbt sich zentral über die zentrale Vergabestelle. Das ist hochschulstart.de. Dort gibt es dann drei Quoten aktuell, über die die Bewerberinnen und Bewerber sich bewerben können. Das heißt einmal die Abiturbesten-Quote, die Wartezeitquote und das individuelle Auswahlverfahren der Hochschulen, und von dort aus werden dann die Bewerbungen weitergereicht an die Hochschulen, die dann in der dritten Quote, je nach ihren eigenen Kriterien, darüber entscheiden, wer den Studienplatz eigentlich erhält. Und dann erhalten die Bewerberinnen und Bewerber einen Zulassungsbescheid von der jeweiligen Hochschule.
    Böddeker: Man könnte ja auch ins Ausland gehen. Viele Studienanfänger machen das ja auch. Ist das auch ein Gedanke, der einem da kommt, wenn man versucht, einen Studienplatz zu bekommen?
    Einige Abiturienten wandern in andere Länder Europas aus
    Siech: Es gibt durchaus einige Abiturienten, die jetzt sagen, dass sie in Deutschland keine Chance auf einen Studienplatz haben und dementsprechend auch in andere Länder in Europa auswandern, um dort zu studieren.
    Böddeker: Was wäre für Sie das Wichtigste, was geändert werden muss? Sind das tatsächlich die Wartesemester, die man im Moment absolvieren muss, damit man einen Platz bekommt?
    Siech: Das Wichtigste ist, dass die Abiturnote zwar maßgebend bleibt, allerdings durch weitere Kriterien ergänzt wird, denn nur ein vielfältiges Verfahren, das in gewissem Maße auch einheitlicher in Deutschland funktioniert, kann dazu führen, dass geeignete Studienanfänger auch ausgewählt werden.
    Böddeker: Sagt Carolin Siech, Medizinstudentin und Sprecherin der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland. Mit ihr haben wir über das Auswahlverfahren für das Medizinstudium gesprochen. Vielen Dank für das Gespräch!
    Siech: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.