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Auswanderungspläne
Immer mehr Türken lernen Deutsch

Immer mehr Akademiker wollen ihre türkische Heimat verlassen, um in Deutschland zu studieren oder zu arbeiten. Das merkt auch das Goethe-Institut in Istanbul: Die Anfragen für seine Deutsch-Kurse sind in den letzten Monaten nach dem Putsch-Versuch noch einmal gestiegen.

Von Karin Senz | 24.10.2016
    Lehrerin Ferda Meseci hilft einem Schüler bei einem Vorintegrationskurs am Goethe-Institut in Istanbul. Junge Frauen und Männer lernen einfache deutsche Wörter, um zu ihren Partnern nach Deutschland ziehen zu können. Seit Sommer 2007 müssen nachziehende Ehegatten den Erwerb einfacher Deutschkenntnisse nachweisen.
    Das Interesse an den Deutschkursen beim Goethe-Institut steigt seit Jahren weltweit - auch in Istanbul. (picture alliance / dpa / Soeren Stache)
    "Artikel?"
    "Ähm, das."
    "Nein, die. Die Provision. Was ist denn die Provision?
    Der, die, das …. Das macht auch Cecil schwer zu schaffen. Trotzdem beißt sich die junge Istanbuler Zahnärztin beim Sprachkurs am Goethe-Institut durch. Sie will auswandern, und zwar nach Deutschland, obwohl ihr eigentlich Englisch besser ist:
    "Deutsche sind, wie soll ich sagen, nette Leute. Ich liebe Deutschland, ich liebe Berlin. Ich kann sagen, ich habe meine beste Zeit in Berlin verbringen...verbrungen...verbracht!"
    Cecil hat schon ein Jahr in Berlin gelebt, will jetzt noch einen Masterstudiengang in Zahnmedizin in Deutschland draufsetzten. Dafür gibt sie in der Türkei viel auf. Mit ihren 25 Jahren hat sie schon eine eigene Praxis am Taksim-Platz. Aber wenn nicht jetzt, wann dann, sagt sie und lacht schüchtern.
    Die deutsche Hochschullandschaft hat einen guten Ruf
    Und damit gehört sie zur Mehrheit. Denn Hauptgrund für Türken Deutsch zu lernen ist: "Dass die deutsche Hochschullandschaft weiterhin ein großes Ansehen im Ausland hat, dass viele ein Studium in Deutschland anstreben, vor allem in den Ingenieurwissenschaften, aber auch Architektur, Design, auch viel im Bereich Musik und Kunst", sagt Verena Sommerfeld, stellvertretende Leiterin des Goethe-Instituts in Istanbul.
    Der 23-jährige Rdwan lernt erst seit ein paar Monaten Deutsch: "Um ehrlich zu sein, alles fing mit einem deutschen Rapper an." Jetzt übt er Deutsch, in dem er die Songtexte der Rapper ins Türkische übersetzt. Rdwan studiert Volkswirtschaft in Istanbul. Er will auswandern, nach Tschechien oder eben Deutschland: "Ich würde gerne trinken Bier, aber es ist sehr teuer in der Türkei."
    Aber nicht nur das treibt ihn weg. Die aktuelle Lage in der Türkei, die Unsicherheit – das macht ihm zu schaffen: "Die politische Situation, die wirtschaftliche, es gibt keine wirkliche Redefreiheit."
    Die Entwicklung in ihrem Land bereitet den Kursteilnehmern Sorge
    Das Interesse an den Deutschkursen beim Goethe-Institut steigt seit Jahren, sagt Sommerfeld, weltweit. In der Türkei hat es allerdings nach dem Putschversuch noch mal einen kleinen Schub gegeben.
    Auch die Jura-Studentin Nasli investiert die knapp 300 Euro in den Kurs. Sie will später mal bei einem internationalen Unternehmen in Istanbul arbeiten, erzählt sie erst:
    "Aber vielleicht werde ich gehen. Es passiert viel in unserem Land, es macht mir ein bisschen Angst."
    Nach und nach lassen einige Kursteilnehmer durchblicken, dass ihnen die Entwicklung in ihrem Land Sorgen bereitet. Bietet ihnen die Türkei wirklich die Zukunft, die sie sich wünschen? Deutschland steht in Naslis Augen für mehr Stabilität, und nicht nur das: "Die Leute sind lustig und Ordnung ist sehr wichtig für sie. Ich mag die Ordnung."

    Cecil, der jungen Zahnärztin geht‘s dagegen weniger um Stabilität:
    "Man muss nicht nur in seinem Land bleiben, man muss neue Leute kennenlernen, neue Kulturen kennenlernen, um das Leben zu verstehen."