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Autobiografischer Roman
Ehe als Missverständnis

Wenn bekannte Schauspielerinnen oder Schauspieler zur Feder greifen, handeln ihre Bücher meist von Glück, Erfolg und von den vielen Begegnungen auf der Bühne und am Set. Der 73-jährige Tilo Prückner geht mit seinem Prosa-Debüt "Willi Merkatz wird verlassen" allerdings einen anderen Weg.

Von Detlef Grumbach | 31.03.2014
    Tilo Prückner trägt einen Hut und gestikuliert.
    Der Schauspieler und Romandebütant Tilo Prückner (Stephanie Pilick / dpa)
    "Ich hatte keine Lust, eine autobiografische Geschichte zu schreiben, da geht es schon mal los. Also diese Schauspielerbiografien interessieren mich überhaupt nicht."
    Der Schauspieler Tilo Prückner geht in seinem Roman-Debüt dennoch von einem Ereignis im eigenen Leben aus: Der Impuls, dieses Buch zu schreiben, war die Trennung von der Frau, die der 1940 geborene Autor Anfang der 60er-Jahre kennengelernt und mit der er fast 40 Jahre zusammengelebt hat. Nach 40 Jahren hat ein Paar alle Krisen durchlebt, die Leidenschaften haben sich abgeschliffen, der Rest ist Gewohnheit? Willi Merkatz, der Held des Romans, der als Arzt in Kreuzberg von der Methadonausgabe an Süchtige lebt und ein leidenschaftlicher Indienfahrer ist, steht eines Morgens unter der Dusche, als das Gefühl in überwältigt: Es ist aus.
    "Da gibt es einen konkreten Anlass und dann setzt man sich hin und fängt zu schreiben an. Das ist dasselbe, wie wenn man ein Drehbuch schreibt oder auch bei der Schauspielerei: Wenn man gut dabei ist gerade, kommen lauter Sachen und es verselbstständigt sich. Und das hat mir großen Spaß gemacht, dass dieser Merkatz ein völliges Eigenleben begonnen hat und ebenso diese Katarina. "
    Die Krise in der Beziehung fällt beiden lange nicht auf, weil die alltäglichen Rituale, das gemeinsame Frühstück, die Urlaube in Indien, die vielen kleinen Zugeständnisse des Mannes an seine Frau, den Stillstand lange kaschieren. Aber der "Ehegeröllberg", wie Prückner die Last der Jahre einmal nennt, ist längst ins Rutschen geraten. Das Paar hat sich noch vor Studentenbewegung, Oswald Kolle und sexueller Revolution kennengelernt. Als Arzt verdient er das Geld, im Beruf steht er seinen Mann, dass die Praxis auch ohne ihn läuft, bemerkt er gar nicht. Doch zu Hause – die Kinder sind längst selbstständig – überlässt der kleine Patriarch in aufopferungsvoller Geste seiner Frau Katarina den Platz an der Stirnseite des Tisches. Und Katarina macht deutlich, dass sie das genauso erwartet. Nach 15 Jahren Beziehung, 1975, war Merkatz fremdgegangen. Es folgte ein großer Knall, unser Held musste zu Kreuze kriechen, "den Schwanz abklemmen", wie er am Ende verbittert feststellt. Sie gefiel sich fortan in der Rolle, ihn in der Hand zu haben. Emanzipation sieht anders aus.
    "Damit will ich jetzt überhaupt nichts gegen die Studentenbewegung sagen, aber diese Modelle, die da entwickelt worden sind oder die da gelebt worden sind – im Nachhinein endete es meistens in einem Fiasko. Meistens. Und die beiden in dem Roman waren dafür eigentlich nicht geschaffen, weil es war halt eine symbiotische Beziehung zwischen den beiden: Da nutzt alle Ideologie von Freiheit und sexueller Freiheit, das nützt dann gar nichts!"
    Jetzt sind beide um die 60. Als Katarina am Ende des jährlichen Indienurlaubs verkündet, dass sie noch einmal zehn Tage zu ihrem Ayurveda-Guru fährt, ahnt Willi nichts Böses und nimmt es hin. Als er eine Fortbildung macht, in Berlin, er ist nicht mal über Nacht alleine fort, verlässt Katarina jedoch demonstrativ das Ehebett und schläft auf dem Sofa. Dann nimmt er sich das Recht heraus, allein nach Italien zu fahren. Kaum wahrnehmbar spitzt sich die Lage zu. Was wird aus ihnen werden? "Vielleicht würden sie ja in aller Friedlichkeit hinaus aufs offene Meer treiben," sinniert Willi Merkatz, "und sich dort in der Unendlichkeit verlieren. Die Ehe würde sich still und leise auflösen – ein immer wieder aufkeimender heimlicher Wunsch Wilhelms –, oder sie würden wieder zueinander getrieben werden, in eine neue Formation, die für beide angenehmer wäre." Dann taucht der Guru in Berlin auf und verwandelt die Merkatzsche Wohnung in eine Ayurveda-Praxis, eine groteske und wunderbar ausgepinselte Situation. Willi Merkatz gibt klein bei und wendet sich seiner Sprechstundenhilfe zu.
    "Der Willi Merkatz fühlt sich schon auch als Gefangener. Der meint, die Frau kann nicht ohne ihn leben – meint er. Und die Frau denkt das eigentlich auch oder signalisiert das ständig. Nachher stellt sich heraus, das war ein großer Irrtum und beide spüren eben den Müll, der sich so angehäuft hat in langen Ehejahren. Und hier bricht das dann plötzlich auf und beide erschrecken. Aber der Mann sieht darin auch eine große Chance, dass er sagt, jetzt habe ich die Gelegenheit zur Freiheit. Und das ist natürlich eine sehr schmerzliche Sache, weil die Freiheit aushalten – das sind wir ja alle nicht gewohnt. Es geht ja ein bisschen um Impotenz und Größenwahn – diese Figur."
    Der große Krach von 1975 bildet den Hintergrund der gegenwärtigen Krise, aber so sehr die Leserinnen und Leser auf einen erneuten Knall warten, so undramatisch und gedämpft entwickelt sich der Plot. Slapstickartige, hintergründige Komik ersetzt das große Drama, mit spitzer Feder, haarscharf am Klischee vorbei entwickelt Prückner diesen in vielen Rückblenden und Erinnerungsfetzen erzählten Arztroman der anderen Art, der auch Züge eines Schelmenromans trägt. Man spürt, wie nah ihm dieser Willi Merkatz steht, aber auch die Lust und den Sarkasmus, mit dem er das Innenleben dieser zwischen Selbstmitleid und Selbstgerechtigkeit, zwischen Ohnmacht und Heldenpose pendelnden Männerseele entlarvt. Schade nur, dass Prückner seiner Erzählweise nicht richtig traut. Er erzählt die Geschichte indirekt. Ein Erzähler gibt sie so weiter, wie Willi Merkatz sie ihm berichtet hat. Die Distanz tut dem Text gut, doch nutzt dieser Erzähler sie hin und wieder auch dazu, Merkatz' – und damit auch den Lesern – in kursiven Einsprengseln zu zeigen, wie weit er sich schon verrannt hat. Das wäre gar nicht nötig und nimmt dem Text etwas von der untergründigen Spannung, die das Lesevergnügen bestimmt.
    Fehlte nur noch der Hinweis, das schon der Titel die Sache nicht so ganz trifft. Willi Merkatz wird verlassen? Er ist es doch, der diese Variante wie ein Schutzschild vor sich herträgt und die völlig verkorkste Situation am Ende geschickt für sich zu nutzen weiß. Vom "Happy end" dieses trotz seines Schönheitsfehlers intelligenten und witzigen Romans soll hier nicht mehr die Rede sein. Am Schluss nur noch eine Frage: Waren die 39 gemeinsamen Jahre des Paares am Ende nicht nur ein Missverständnis?
    "Das sind genau die Fragen, die man sich fragen soll: Ist das nicht alles ein Missverständnis? Ist das Ganze nicht ein Irrtum? Aber man leidet trotzdem. Und vielleicht leidet man an einem Irrtum. Kann auch sein."
    Besprochen von Detlef Grumbach.
    Prückner, Tilo: Willi Merkatz wird verlassen, Verbrecher Verlag Berlin, 24 Euro.