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Gesetzliche Rente
"Wir müssen das Rentensystem auf alle erweitern"

Der Wirtschaftsexperte Peter Bofinger wünscht sich eine grundlegende Rentenreform. Im DLF schlug er vor, das gesetzliche System auf alle Erwerbstätigen auszudehnen, also auch auf Selbstständige. Zudem müsse man darüber nachdenken, die staatlichen Subventionen für die private Kapitalbildung in das System fließen zu lassen.

Peter Bofinger im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 02.04.2016
    Peter Bofinger, Ökonom und Professor für Volkswirtschaftslehre und Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung auf einer Pressekonferenz in Berlin
    Peter Bofinger, Ökonom und Professor für Volkswirtschaftslehre und Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. (imago / CommonLens)
    Das Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung sagte im Deutschlandfunk, es sei nicht sinnvoll, dass bisher nur abhängig Beschäftigte vom gesetzlichen Rentensystem erfasst würden. Wenn man das System auf alle Erwerbstätigen ausweite, flössen auch mehr Mittel in das System. Wenn man die Leistungen weiter anheben wolle, könnte man auch die Mittel für private Sicherungsmodelle wie die Riester-Rente für das Rentensystem verwenden.
    Peter Bofinger betonte, das deutsche Rentensystem sei zwar bis 2030 durchfinanziert. Zugleich sänken die Leistungen aber so weit, dass viele Menschen, die ein Leben lang arbeiteten, weniger als die Grundsicherung bekämen. Insofern sei das jüngst diskutierte Anliegen einer Lebensleistungsrente berechtigt - auch wenn die Finanzierung problematisch sei. Denn es gelte ja der Grundsatz: Wer mehr einzahle, der bekomme auch mehr heraus.
    Im Koalitionsvertrag hatten Union und SPD eine solidarische Lebensleistungsrente für Menschen mit geringen Altersbezügen vereinbart, die 40 Jahre Beiträge gezahlt haben.

    Jürgen Zurheide: In dieser Woche hat es wieder Kritik an den Rentenplänen der Bundesregierung gegeben. Aus dem Regierungslager selbst hat es die ein oder andere kritische Stimme gegeben, aber auch von Vertretern der Wirtschaft. Es wird darauf hingewiesen, dass Menschen, die nach 40 Jahren, in denen sie eingezahlt haben und sie eine sogenannte Lebensleistungsrente bekommen sollen, dass das mit dem Rentensystem eigentlich nicht vereinbar sei und dass es insgesamt dann dazu führt, dass die Sozialausgaben im Haushalt weiter steigen. In Zeiten guter Beschäftigung, so heißt es dort, könne man sich das alles leisten, aber wir alle wissen, es kann auch mal wieder andere Zeiten geben. Über all das wollen wir reden mit dem Wirtschaftsweisen Peter Bofinger, den ich jetzt zunächst am Telefon begrüße. Guten Morgen, Herr Bofinger!
    Peter Bofinger: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Herr Bofinger, ist das Alarmismus oder ist das berechtigt, der Hinweis auf die steigenden Sozialausgaben, die dann irgendwann auf uns zukommen, wenn die wirtschaftliche Lage mal wieder schlechter wird?
    Bofinger: Zunächst mal sind die Sozialausgaben in den letzten Jahren ja merklich zurückgegangen, was wesentlich damit zu tun hat, dass ja auch die Arbeitslosigkeit nicht mehr so hoch ist. Und was jetzt die Jahre bis 2030 angeht, kann man sagen, dass unser Rentensystem insgesamt durchfinanziert ist, dass es also bezahlbar ist – das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist allerdings, dass die Leistungen so weit abgesenkt werden, dass eben verschiedenen Menschen das Problem sich stellt, dass sie möglicherweise ein Leben lang gearbeitet haben, eingezahlt haben in die Rente, am Ende aber Ansprüche haben, die unter der Grundsicherung liegen. Und das ist ja das Thema, was jetzt bei dieser Lebensleistungsrente angegangen wird, und ich würde sagen, das Anliegen an sich ist berechtigt.
    "Wir haben ein Problem mit unserer gesamten Altersvorsorge"
    Zurheide: Aber die Grundfrage ist ja, wie muss man es dann finanzieren. Der Hinweis, das passt nicht ganz zu dem System, wie wir es jetzt haben, weil eben die Einzahlung und das, was hinterher dann rauskommt, nicht mehr zusammenpassen. Der Vorwurf ist ja berechtigt – oder sagen Sie, das muss man eben hinnehmen, weil die Menschen brauchen eine Grundsicherung?
    Bofinger: Der Vorwurf ist berechtigt. Das Prinzip der gesetzlichen Rente lebt ja von der Äquivalenz, das heißt, wer mehr einbezahlt hat, soll auch mehr rausbekommen, und deswegen ist natürlich die Finanzierung problematisch bei dieser Lebensleistungsrente. Ich würde es mal grundsätzlicher sehen: Wir haben ein Problem mit unserer gesamten Altersvorsorge, das grundsätzlich diskutiert werden sollte, und diese Lebensleistungsrente ist jetzt eine kleine Reparatur, und ich würde vorschlagen, man soll lieber die Gesamtkonzeption auf den Prüfstand stellen, bevor man jetzt an einzelnen Stellen Dinge verändert. Das ist vielleicht so ähnlich, wenn Sie ein Haus haben, das eine extrem schlechte Wärmedämmung hat, und Sie machen jetzt ein neues Fenster rein und sagen damit, an der Stelle wird die Wärmedämmung besser. Das ist eigentlich keine sinnvolle Lösung.
    Zurheide: Jetzt haben wir ja eine Große Koalition, die sollte eigentlich große Lösungen hinkriegen, die Frage ist, was sagen Sie, wo muss man ansetzen bei der Rente? Ich könnte jetzt noch ein anderes Problemfeld aufmachen – wir haben die Riester-Rente eingeführt, jetzt wissen wir alle, wie die Kapitalmärkte sich entwickelt haben, und eigentlich kann man nur sagen, das ist ein ziemlicher Irrweg gewesen. Was würden Sie verändern, wenn Sie sagen, wir müssen noch mal grundsätzlich uns über Rente Gedanken machen?
    Bofinger: Wichtig wäre die Frage, ist es denn sinnvoll, dass wir ein gesetzliches Rentenversicherungssystem haben, das sich nur auf die abhängig Beschäftigten bezieht und nicht auf die Erwerbstätigen insgesamt, denn das wäre ja eigentlich das, was sinnvoll ist, gerade wo die Arbeitswelt ja immer mehr von diesem abhängigen Beschäftigungsverhältnis weggeht zur selbstständigen, und eine sichere Altersvorsorge ist für die Selbstständigen ja genauso wichtig wie für die abhängig Beschäftigten. Deswegen wäre meine Idee, das Rentensystem zu erweitern auf alle Erwerbstätigen – auf die Selbstständigen, die Scheinselbstständigen. Das würde auch im Prinzip mehr Mittel wieder in das System reinbringen.
    Zurheide: Auf der anderen Seite heißt es natürlich, irgendwann gibt es dann auch mehr Leistungen und verschiebt man nicht die Problematik.
    Auch Riester-Rente problematisch
    Bofinger: Das ist richtig, aber es gibt ja auch Menschen, Selbstständige, die relativ niedrige Einkommen haben, die ihr Leben lang nicht einbezahlen und am Ende dann auch die Grundsicherung bekommen, genauso wie ein Arbeitnehmer, der auch kein großes Einkommen gehabt hat, aber sein Leben lang knapp 20 Prozent seines Einkommens in die Rente einbezahlt. Da käme also doch etwas mehr Geld in das System rein, ohne dass eins zu eins die Leistung ausgeweitet wird.
    Zurheide: Ich hab gerade schon die Riester-Rente angesprochen, die sehr beworben worden ist, dann hab ich darauf hingewiesen, und das wissen wir alle, dass die Zinsen so niedrig sind, wie sie im Moment sind – ist das ein Irrweg gewesen, ist man da in die falsche Richtung marschiert? Hätte man nicht sagen müssen, okay, dann lass uns das lieber ins normale System einzahlen, weil Menschen für Menschen in diesem Generationenvertrag das eigentlich besser hinkriegen?
    Bofinger: Also man muss hier rückblickend fragen, war das die richtige Lösung, die Riester-Rente, wobei bei der Riester-Rente ja grundsätzlich das Problem war, dass man die Subvention auch schon dadurch bekommt, dass man anders spart, man musste ja gar nicht mehr sparen. Und für die Geringverdienenden stellt sich das Problem, wenn sie ihr Leben lang brav in die Riester-Rente einbezahlt haben, dass das, was sie dann aus der Rente bekommen, bei der Grundsicherung ihnen noch angerechnet wird, das ist also auch noch mal problematisch. Aber ja, Sie haben recht, die Frage, ob überhaupt die Kapitaldeckung in großem Stil sinnvoll ist in einer Zeit, wo eben die Zinsen an den Kapitalmärkten sehr niedrig sind … Und man könnte sich eben auch fragen, was würde es bringen, wenn man die ganzen staatlichen Subventionen, die man jetzt in die private Kapitalbildung gibt, wenn man die abschaffen würde und die Mittel entsprechend in das gesetzliche Rentenversicherungssystem hineinbrächte. Damit wäre ja dann auch wieder mehr Geld da, um die Leistungen anzuheben.
    Zurheide: Jetzt gibt es den anderen Vorwurf – und insofern berühren sich die Themen –, dass diejenigen, die im Moment monieren, da würde mehr für soziale Dinge ausgegeben und der Anteil der Sozialausgaben beim Bundeshaushalt steigt ständig, dass das dazu führt, wir haben zu wenig Geld zum Investieren in Deutschland. Ist dieser Vorhalt, den bestimmte Wirtschaftsliberale machen, ist der aus Ihrer Sicht richtig?
    Staat soll mehr investieren
    Bofinger: Also ich muss sagen, in einer Situation, wo der deutsche Staat auf zehn Jahre das Geld zu null bekommt und auf 30 Jahre kaum ein Prozent Zinsen bezahlen muss, ist also massiv Geld an den Kapitalmärkten da, das gerade danach sucht, jetzt investiert zu werden. Und dass der deutsche Staat diese Mittel nicht aufgreift, um Zukunftsinvestitionen voranzutreiben, ist eigentlich ökonomisch schlichtweg falsch.
    Zurheide: Was nennen Sie Zukunftsinvestitionen?
    Bofinger: Ich denke, wir haben eine Menge an Investitionsmöglichkeiten in den ganzen öffentlichen Gebäuden, da verfällt ja die Substanz, man muss ja nur rumgucken in den Gebäuden, mit denen man zu tun hat.
    Zurheide: Zum Beispiel die Hochschulen, in denen Sie lehren.
    Bofinger: Zum Beispiel die Hochschulen. Und am Ende würde man wahrscheinlich auch noch Geld sparen, weil natürlich mit einer besseren Wärmedämmung auch die Energiekosten eingespart würden. Ich denke, man müsste aber auch überlegen, ob man nicht mehr öffentliche Mittel in die Hand nimmt, um im Bildungsbereich Deutschland voranzubringen, gerade was jetzt die frühkindliche Erziehung angeht, liegt Deutschland deutlich unter dem OECD-Durchschnitt. Wir geben deutlich weniger aus als fortschrittliche Länder wie Schweden. Und das wäre ja dann auch ein Beitrag, um unser Rentensystem zu stärken, denn wenn wir besser ausgebildete Kinder haben, dann erzielen die ja auch wieder höhere Einnahmen, und es kommt dann mehr Geld in die Rentenkassen.
    Zurheide: Das war Peter Bofinger zu den Problemen in der Rentenkasse und den mangelnden Investitionen in Deutschland. Herr Bofinger, ich bedanke mich heute Morgen bei Ihnen für das Gespräch, danke schön, auf Wiederhören!
    Bofinger: Ja, gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.