Freitag, 19. April 2024

Archiv

Autor Helge Timmerberg
"Die traditionellen Medien hatten Schaum vor dem Mund"

Helge Timmerberg war einer der ersten, der in Deutschland in den 80er-Jahren den sogenannten New Journalism etablierte - doch das nicht unbedingt zur Freude der Konkurrenz oder seiner Arbeitgeber: "Es gab viel Ärger in den Redaktionen", sagte er im DLF. Dennoch waren es für ihn die "goldenen Jahre des Journalismus".

Helge Timmerberg im Corsogespräch mit Thomas Elbern | 15.03.2016
    Der Autor Helge Timmerberg.
    Der Autor Helge Timmerberg. (imago/stock&people/APress)
    Thomas Elbern: Sie beschreiben in ihrer Autobiografie ihren Werdegang als Journalist. Von der Neuen Westfälischen Zeitung über Tempo zum Stern, Wiener - wie hat sich das für Sie angefühlt, eine Autobiografie zu schreiben?
    Helge Timmerberg: Es ist halt eine reine journalistische Biografie. Der Journalismus war für mich vorbei, als ich 5o wurde. Da endet ja auch das Buch. Es endet im Himalaja und danach fingen die Bücher an. Ich bin nun 64, ich käme nicht auf die Idee, eine komplette Autobiografie über mein Leben zu schreiben. Das würde sich bestimmt bescheuert anfühlen, da bin ich ganz sicher. Mit diesem journalistischen Abschnitt, der ja immerhin 30 Jahre währte, hatte ich gar kein Problem. Das ist wirklich abgeschlossen. Es hat einfach Spaß gemacht. Die Stationen, die Sie da benannt haben, waren im Nachhinein schon ziemlich lustig. Zwei Jahre Havanna und die Anfänge bei der Neuen Westfälischen. Das ging leicht von der Hand, das machte sehr viel Spaß.
    "Plötzlich hatte der Reporter ein Gesicht und war kein neutrales Medium mehr"
    Elbern: Wer ihre Bücher kennt, der weiß, dass sie schonungslos sind. Sie schreiben über ihre Drogen und Sexerfahrungen, ohne Filter, ohne doppelten Boden. Hat Ihnen diese Haltung eigentlich schon mal Ärger eingebracht?
    Timmerberg: Es gab viel Ärger in den Redaktionen. Es gab eigentlich immer einen Ausbremser, einen Vorstopper. Ich musste mich ständig durchsetzen, das kenne ich nicht anders. Ich hab ja mehr oder weniger den "New Journalism" in Deutschland initiiert. Ich war der Erste, der Anfang der 80er-Jahre national so schrieb. Das gab’s zwar schon in Stadtmagazinen, aber im nationalen Bereich war ich der Erste. Das schockte am Anfang. Aber es gab auf der anderen Seite auch extreme Begeisterung, die das dann wieder gut machte. Die traditionellen Medien wie Zeit, Spiegel, Stern oder FAZ hatten am Anfang alle mehr oder weniger Schaum vor dem Mund. Nachdem ich mich und sich auch diese Art des Journalismus durchgesetzt hatte, war es natürlich wieder einfacher. Dann wollten Blätter genau das!
    Elbern: Sie beschreiben in "Die rote Olivetti", wie sie ihren Stil gefunden haben. "New Journalism" nannte sich das in den 80ern. Amerikanische Autoren wie Hunter S. Thompson werden hier als Inspiration zitiert. Was hat diesen Schreibstil ihrer Meinung nach ausgemacht?
    Timmerberg: Ich hab lange darüber nachgedacht und als ich dieses Buch schrieb, fiel es mir auf einmal wieder ein, wie es wirklich war. Das Erste, was ja auch den traditionellen Journalisten schockiert hat, war, dass das Ich des Schreibers plötzlich eine Rolle spielte. Ich gehe hier hin, ich treffe den, ich hab keine Lust auf den, ich hau dem Eine rein. Plötzlich hatte der Reporter ein Gesicht und war kein neutrales Medium mehr. Geschichten so zu erzählen und so zu schreiben, wie man sie seinen Freunden in der Küche erzählen würde. Man kommt von irgendeinem Erlebnis zurück und sitzt dann bei seinen Freunden in der Küche und legt los. Das hat auch eine gewisse Komplizenschaft beim Leser bewirkt. Eine Beziehung zu meinen Lesern; wenn ich die mal traf, oder die mich manchmal angerufen haben. Der Leser weiß unheimlich viel über mich und ich weiß gar nichts über ihn. So ist es mir sehr oft gegangen und jetzt bei den Büchern und den Lesungen passiert dasselbe.
    Goldene Jahre: "Da stehen jungen Journalisten Tränen in den Augen"
    Elbern: Heute gibt es im Internet Newsportale wie vice.com. Da wird ein sehr persönlicher Erzählstil zum Stilmittel erhoben. Da beschreiben Autoren unter anderem wie sie auf psychedelischen Drogen auf eine Sexmesse gehen oder die Erfahrungen, die jemand gemacht hat, der auf einer Mafiaparty gearbeitet hat. Kommt Ihnen diese Art der Berichterstattung bekannt vor?
    Timmerberg: Das ist ja im Endeffekt genau dasselbe. Das ist genauso, wie ich angefangen habe. Damals begann alles beim Print. Es gab noch kein Internet. Die Medien, die das damals verteufelt hatten, machen das heute im Ansatz eigentlich auch. Das Internet ist ja sehr jung und die jungen Schreiber kennen den "New Journalism" der 80er im Print wahrscheinlich überhaupt nicht. Die gehen einfach ganz neu so ran und empfinden das als revolutionär. Das ist super, aber im Prinzip dasselbe.
    Elbern: Ihr Buch "Die rote Olivetti" ist auch eine Reise ins Hinterzimmer der großen Illustrierten. Bunte, Stern, Playboy und vor allem deren wagemutigen Redakteure und abenteuerlichen Etats für eine Story. Das hat mich persönlich an die Situation der großen Plattenfirmen in den 90ern erinnert, wo auch viel Geld floss. Wie würden sie heute die Situation dieser Zeitungen beschreiben? Eher Katerstimmung?
    Timmerberg: Ich höre immer wieder von jungen Journalisten, die mich auf das Buch ansprechen, dass die fast weinen möchten, wenn sie hören, was wir in den 90er-Jahren an Geld verdienen konnten. Ich höre, was die an Zeilenhonoraren bekommen. Die sind alle am Jammern. Wenn ich über die goldenen Jahre des Journalismus schreibe, dann stehen denen schon die Tränen in den Augen.
    "Ich habe vor drei Monaten sogar das Kiffen aufgegeben"
    Elbern: In ihrem neuen Buch beschreiben Sie auch schonungslos ihren eigenen Krisen: keine Auftragslage, zuviel Ecstasy, einen Zustand des völligen Ausgebranntseins. Wenn man das so liest, fragt man sich immer, wie sie da überhaupt wieder rausgekommen sind?
    Timmerberg: Gewinnen und Verlieren. Ich habe selten die äußere Welt dafür verantwortlich gemacht, wie es mir geht. Ich glaube, ich ticke in dieser Beziehung sehr amerikanisch. Es liegt für mich selbst immer nur an mir, ich sehe dann auch meine eigenen Fehler. Diese schlechte Situation Ende der 90er-Jahre kam durch verschiedene Entwicklungen, in denen ich Fehler gemacht habe. Wie es so oft ist, wenn man den Höhepunkt der Karriere hat und fliegt, dann wird man halt auch eigen und überheblich und verliert auch seine Disziplin. Man denkt, das eh alles wie von selbst geht. Ich sehe zu, dass ich bescheiden bleibe und lasse meine Finger von harten Drogen. Ich habe vor drei Monaten sogar das Kiffen aufgegeben.
    "Der Deutsche ist auf so einem Trip, dass Tiefe nicht lustig sein darf"
    Elbern: In ihren jungen Jahren hatten Sie überlegt, Musiker zu werden. Sie sind dann Journalist und Schriftsteller geworden. Auf ihren Lesungen herrscht manchmal so eine ausgelassene Stimmung, wie man sie auf Rockkonzerten erlebt. Ist das in Ihrem Sinne?
    Timmerberg: Natürlich, ich bin froh darüber. Ich hab in meinem Laptop eine Liste von 30 Lieblingsliedern der letzten 30 Jahre. Rock’n'Roll, Blues... Ich sehe zu, dass ich diese Musik spielen lassen kann, sodass überhaupt diese Stimmung aufkommen kann. Ich schreibe grundsätzlich auch zu Musik. Mit Rock’n'Roll komme ich gut voran. Das Schreiben selbst hat ja auch einen Rhythmus. Natürlich will ich dieses Rockkonzertgefühl. Ich finde nichts langweiliger, als tiefschürfende, knochentrockene Lesungen. Ich weiß gar nicht, warum man da hin geht. Es geht ja nicht darum, dass man jetzt tiefer gehende Themen benennt und beschreibt, sondern es geht darum, dass man im Leben tief verankert ist. Dann kann man auch über oberflächliche Themen wie Mode schreiben oder ganz egal, worüber sonst noch. Wenn du tief verankert bist, hat das alles eine Tiefe. Irgendwie ist der Deutsche auf so einem Trip, dass Tiefe nicht lustig sein darf. Sobald etwas lustig ist, hat der deutsche Literat ein Problem. Ernsthafte Themen wie der Sinn des Lebens und der Tod. Sobald gelacht wird, besteht in Deutschland immer die Gefahr, dass man als oberflächlich eingestuft wird. Das sehe ich so überhaupt nicht. Und die alten Griechen haben das auch nie so gesehen. Je näher man den Göttern ist, desto schallender das Lachen. Es ist eine große Kunst, die Wahrheit so rüberzubringen, dass sie auch genießbar ist und nicht irgendwie so ein Biokraut.