Donnerstag, 18. April 2024

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Autor Horace Walpole
Ahnherr der Horrorliteratur

Der britische Aristokrat Horace Walpole versetzte mit seinem Bestseller "The Castle of Otranto“ die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts in wohligen Schrecken und begründete so das Genre des Schauerromans. Geboren wurde der Wegbereiter der Neogotik am 24. September 1717, vor 300 Jahren, in London.

Von Ruth Rach | 24.09.2017
    Der britischer Schriftsteller, Politiker und Künstler Horace Walpole (1717-1797), begründete das Genre des Horrorromans
    Der britischer Schriftsteller, Politiker und Künstler Horace Walpole (1717-1797), begründete das Genre des Horrorromans (imago stock )
    Strawberry Hill, ein wohlhabender Vorort am Themseufer im Süden von London. Villen, Gärten, Parkanlagen. Und unvermittelt ein strahlend weiß verputztes Schlösschen mit mittelalterlichen Zinnen, Fenstern und Türmchen. Strawberry Hill House. "Ein äußerst ungewöhnlicher Ort", sagt Nick Dolan vom Strawberry Hill Trust, einer Stiftung, die das Gebäude restauriert hat:
    "Strawberry Hill House ist ein neugotisches Meisterwerk aus dem 18. Jahrhundert. Und die Vision eines Mannes: Horace Walpole. Er war der Sohn des ersten englischen Premierministers Robert Walpole – ein Belletrist, Sammler, Parlamentarier und Briefeschreiber. 1748 kaufte er ein bescheidenes Haus an der Themse, das er radikal entkernte, umbaute und in Strawberry Hill House umtaufte. Er wollte einen Stammsitz schaffen, der nicht nur seine eigene Ahnengeschichte reflektieren sollte, sondern auch die Geschichte von Großbritannien."
    Strawberry Hill House(dt. Erdbeerhügel) ein schlossartiges Landhaus, das sich der Schriftsteller und Politiker Horace Walpole, der 4. Earl of Orford, in den Jahren 1749 bis 1776 an der Themse nahe Twickenham (London) erbauen ließ. Das Bauwerk wurde Vorbild für eine große Zahl ähnlicher Villen und Schlösser in Europa und gab Anstoß für die Gothic Revival (Neugotik) genannte Wiederbelebung des gotischen Baustils.
    Das Landhaus Strawberry Hill House bei Twickenham Middlesex London. um 1770 ließ sich Horace Walpole seinen "Erdbeerhügel" bauen Das Bauwerk wurde Vorbild für eine Vielzahl ähnlicher Villen und Schlösser in ganz Europa (imago stock&people)
    Klingt etwas selbstherrlich. Nick Dolan widerspricht. Dafür sei Horace Walpole viel zu selbstironisch gewesen. Walpole nannte Strawberry Hill House sein "kapriziöses Puppenhaus", Zeitgenossen sprachen von einer "gotischen Mausefalle".
    Eine schwere Holztüre, von einem erfundenen Ahnenwappen geschmückt, dann dramatisches Dunkel. Erst allmählich entdeckt das Auge Einzelheiten: ein steingraues Vestibül, gotische Spitzbögen, handgeschnitzte Gazellen. Dazu Nick Nolan:
    "Horace Walpole ging es vor allem darum, Atmosphäre zu schaffen. Der Besucher sollte aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Er sollte sich wie im Theater fühlen."
    Das stärkste Getränk, das er je zu sich nahm, war Wasser mit Eis."
    Nick Dolan deutet auf einige der vielen Besonderheiten. Eine handbemalte Trompe-l’œil Tapete, auf der dreidimensionale Spitzbögen vorgetäuscht werden. Ein tiefblaues gotisches Glasfenster, auf dem sich bizarr gehörnte Fantasiewesen tummeln. Und weiter oben die Tour de Force: die Gallery. Eine riesige Halle, mit labyrinthischen Spiegeln, purpurroten Damasktapeten und einer goldenen Filigrandecke, die einem Fächergewölbe aus der Westminster Abbey verblüffend ähnelt. In diesem Raum hat Horace Walpole seine Gäste empfangen, erklärt Nick Nolan:
    "Walpole hat sich leidenschaftlich für das Leben seiner Zeitgenossen interessiert. Er hat tausende von Briefen geschrieben, die bis heute erhalten sind. Ein charmanter Gastgeber, witzig und scharfsinnig. Allerdings hat Walpole sein Leben lang gekränkelt. Das stärkste Getränk, das er je zu sich nahm, war Wasser mit Eis."
    Horace Walpole war ein eingefleischter Junggeselle – und laut zeitgenössischen Quellen - eine auffallende Erscheinung:
    "Wenn er einen Raum betrat, so stets mit jener affektierten Kraftlosigkeit, die damals in Mode war. Mit gebeugten Knien und auf Zehenspitzen, als hätte er Angst auf einem nassen Boden auszurutschen."
    das genaue Gegenstück zur Literatur der Aufklärung
    Horace Walpole wurde am 24. September 1717 in London geboren, im Eliteinternat Eton erzogen und ging anschließend an die Universität Cambridge. Auf der damals üblichen Bildungsreise durch Frankreich und Italien lernte er die Kultur der Klassik kennen, war aber im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen weit mehr von der Architektur des Mittelalters angetan, die seinen höchst eigenwilligen Entwurf von Strawberry Hill House inspirierte: asymmetrisch, exzentrisch, skurril.
    Noch skurriler ist allerdings Horace Walpoles literarische Hinterlassenschaft. 1764 veröffentlichte er "The Castle of Otranto". Der Vorläufer aller Schauerromane, erzählt die Literaturwissenschaftlerin Jane Irons:
    "In dem Roman geht es um einen wüsten Tyrannen, der einer unschuldigen Jungfrau nachstellt. Um unheilvolle Prophezeiungen, übernatürliche Ereignisse, Inzest, Klaustrophobie. Und um ein mittelalterliches Spukschloss, das Strawberry Hill verblüffend ähnelt "The Castle of Otranto" wurde ein wilder Erfolg. Nicht zuletzt deswegen, weil das Werk das genaue Gegenstück zur rationalistischen, perfektionistischen Literatur der Aufklärung war."
    Horace Walpole starb 1797 in London. Aber Strawberry Hill House hat eine Stilrichtung vorgegeben, die im 19. Jahrhundert als "Gothic Revival" in ganz Europa in Mode kam. Walpoles Roman "The Castle of Otranto" wird auch heute noch gedruckt. Und seine über 3.000 Briefe gelten inzwischen als die besten Beobachtungen des Lebens in seiner Zeit.