Donnerstag, 25. April 2024

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Autor Paul Murray
"Wenn Sie Bäume und Häuser sehen, sehen Banker Zahlenreihen"

Der irische Autor Paul Murray erzählt in seinem Roman "Der gute Banker" die Geschichte eines einsamen Mannes während der Finanzkrise von 2008. "Wenn mein Buch schon in einer Bank spielt, dann sollte es nicht noch langweilig sein", sagte Murray im DLF und erklärt, welche Opfer die Krise hervorgebracht hat und wieso die virtuelle Welt der Banker gefährlich ist.

Paul Murray im Gespräch mit Tanya Lieske | 16.11.2016
    Ein Börsenmakler an der Wall Street in New York legt das Gesicht angesichts hoher Kursverluste in die Hände.
    Banker arbeiten viel, verbringen die meiste Zeit vor einem Bildschirm und leben in einer Zahlenwelt - das mache sie einsam, meint Paul Murray: "Das ist das größte Gesundheitsrisiko unserer Zeit, die Einsamkeit." (Justin Lane/dpa)
    Tanya Lieske: Paul Murray, Ihr Roman heißt: "Der gute Banker". Glauben Sie an gute Banker?
    Paul Murray: Für irische oder englische oder amerikanische Ohren klingt das in der Tat wie ein Paradox. In der großen Finanzkrise und auch noch danach gab es viele Skandale. Man hat erfahren, was für schreckliche Dinge die Banker alles angestellt haben. Man muss aber auch sagen, dass einige wenige Banker an der Spitze dafür verantwortlich waren, die Elite eben. Der Erzähler meines Buchs heißt Claude, er ist ein einsamer Typ, ein Rechercheanalyst. Er ist sehr weit unten in der Hierarchie seiner Bank, er hat keine Macht. Er ist so was wie der moderne Jedermann. Er verdient sehr viel Geld, aber er ist ein passiver, ein von sich selbst entfremdeter Mensch. Er muss im Buch dann auch herausfinden, wie er dieser Hülle des Bankers entschlüpft, um ein richtiger Mensch zu werden, in einer richtigen Welt.
    Lieske: Ihr Banker, Claude Martingale, ein Franzose, arbeitet im Dublin Financial Sektor als Analyst einer fiktiven Investment Bank Namens Bank of Torabundo. Der große Crash hat gerade stattgefunden, aber dieser Bank geht es blendend, warum?
    Murray: Die Bank von Torabundo wurde bislang von einem Herrn der Alten Schule geführt, einem gewissen Sir Colin Shred. Er hat all den Versuchungen und den schmutzigen Tricks, den Derivaten und Finanzprodukten der großen Banken widerstanden. Er wollte nur das klassische Bankgeschäft machen, also Investoren und Unternehmer zusammenführen, und genau deshalb hat seine Bank überlebt. Und aus genau diesem Grund meint der Aufsichtsrat nun auch, dass er gefeuert werden muss, denn jetzt ist es an der Zeit, alles neu zu machen. Man will dynamisch werden und neue Märkte erobern, man will jetzt alles so machen, wie es die anderen vor dem Crash gemacht haben. Jetzt geht es um Derivate und den ganzen Kram, den Sir Colin abgelehnt hatte.
    "Ich wollte zeigen, dass echte Menschen zu Schaden gekommen sind"
    Lieske: Nun ist nicht alles Fiktion in Ihrem Roman. Ein Finanzminister stirbt an Krebs, das ist in Irland wirklich passiert. Und es gibt eine Bank, die ist too big to fail. Sie heißt Royal Irish Bank, in Wirklichkeit war es die Anglo Irish Bank. Wie viel haben Sie sich ausgedacht, wie viel einfach aus der Tagespresse abgeschrieben?
    Murray: Die Ereignisse der Zeit haben mich in jedem Fall beeinflusst. Die Bankenkrise war eine Katastrophe für Irland. Sie hat immer weitere Kreise gezogen, bis wirklich jeder im Land betroffen war. Und der Grund dafür war, dass der damalige Finanzminister Brian Lenihan die Einlagen aller Investoren weltweit garantiert hatte. Die irischen Steuerzahler würden für eventuelle Verluste der großen Unternehmen aufkommen! Die Investoren in aller Welt müssten sich keine Sorgen machen! Diese Aussage wurde später gewertet als das Schlimmste, was uns Iren seit der Großen Hungersnot passiert ist, und das will was heißen. Wir haben aufgrund dieser Entscheidung immer noch Schulden in Höhe von 200 Milliarden Euro. Man muss aber auch sagen, dass Brian Lenihan der Lage nicht mehr gewachsen war. Er war ein Mann von großer Integrität, ein Ehrenmann. Die Banker haben ihn angelogen, als es um die Höhe ihrer Schulden ging. Und die EZB hat auch Druck gemacht, Hauptsache, die Investoren und Bondholder sollten geschützt werden. Also, ich habe lange über die Sache nachgedacht, Brian Lenihan ist ja dann krank geworden und gestorben, er war ein Opfer der Bankenkrise, und ich wollte das zeigen. Ich wollte zeigen, dass echte Menschen zu Schaden gekommen sind.
    Lieske: Nun haben Sie ja keinen Wirtschaftskrimi geschrieben, sondern einen Roman, einen auch sehr witzigen Roman. Es wird darin eine Behauptung aufgestellt, nämlich die, dass Banker, die ja so sehr in der Welt der Zahlen leben, dass die selbst nur noch ein virtuelles Leben leben, dass Sie keine Biografie mehr haben. Erzählen Sie mir was über diesen Gedanken.
    Murray: Also, Banker sind sehr gut bezahlt, aber sie müssen wirklich für ihr Geld hart arbeiten. Ich habe Freunde, die arbeiten 80 oder 100 Stunden pro Woche, das ist für Banker ganz normal. Es bleibt ganz buchstäblich keine Zeit mehr für irgendetwas Anderes. Die Welt schließt sich. Das gilt für immer mehr Menschen in der Ersten Welt, sie arbeiten immer mehr, und sie werden immer einsamer. Das ist das größte Gesundheitsrisiko unserer Zeit, die Einsamkeit. Auch in einer Stadt wie Dublin, die für ihre Geselligkeit bekannt ist und dafür, dass die Leute gerne einen Schwatz halten. Auch in Dublin gibt es immer mehr Menschen, die ihren Tag vor dem Bildschirm verbringen. Das ist ein sehr trauriger Lebensstil.
    "In der virtuellen Welt gibt es keine richtige Kommunikation"
    Lieske: Es gibt einen zweiten zentralen Gedanken, der sich damit verbindet, nämlich dass wir aufgrund der vielen Zeit, die wir hinter Computern und im virtuellen Raum verbringen, dass wir aufgrund dieser Zeit ein nicht lineares Leben leben. Und Sie, Paul Murray, verbinden das mit der Theorie, dass auch das lineare Erzählen ausgedient hat, habe ich das richtig verstanden?
    Murray: Das stimmt. Es gibt in diesem Buch den Banker Claude und er trifft den Autor Paul, der angeblich einen Roman über ihn schreiben will. Es gibt also viel Meta-Fiktion, Schreiben über das Schreiben, und Bücher, in denen es um Bücher geht, damit reflektiere ich das. Also, was Banker ja tun, sie zerlegen die Realität. Sie machen sie abstrakt, indem sie allem eine Zahl und ein Preisschild geben. Aber da hört es nicht auf, sie nehmen den Preis und überführen ihn in andere Zahlen, die noch abstrakter sind, in Derivate zum Beispiel. Also, wenn Sie durch ein Fenster schauen und Sie sehen Bäume und Häuser, dann sieht ein Banker etwas anderes, er sieht eine Zahlenreihe, die ins Unendliche geht. Mein Buch sollte diese Sichtweise reflektieren. Die Welt wird virtuell und brüchig und kalt. Mir ist dieser Gedanke sehr wichtig. Wir sind lebende und atmende Wesen, aber in der virtuellen Welt gibt es keine richtige Kommunikation.
    Lieske: Sie haben eine Mission?
    Murray: (lacht) Also, wenn Sie die letzten sechs oder sieben oder acht Jahre in Irland gelebt hätten, und wenn Sie gesehen hätten, dass Ihre Gesellschaft verschwindet, dann hätten Sie auch das Bedürfnis, etwas zu unternehmen.
    "Wenn mein Buch schon in einer Bank spielt, dann sollte es nicht noch langweilig sein"
    Lieske: Ihr Autor Paul und Ihr Protagonist Claude, zwischen denen passiert ja ziemlich viel. Der eine beschattet den Anderen, recherchiert in seiner Umgebung, dann stellt sich aber raus, Paul will gar kein Buch schreiben, sondern eine Bank ausrauben. Das Ganze gibt Raum für ziemlich viel Situationskomik, für feinere und auch gröbere Späße, wie wichtig ist Ihnen der Humor?
    Murray: Wenn mein Buch schon in einer Bank spielt, dann sollte es nicht noch langweilig sein. Der Leser sollte ein bisschen Futter bekommen, etwas, was ihn über die technischen Passagen hinwegtröstet. Humor war auch deshalb wichtig, weil die Realität so grotesk war. Es war wie ein Stück, das von Männern mit silbergrauem Haar in teuren Anzügen aufgeführt wurde. Sie waren wie Clowns in ihrem eigenen Zirkus. Aber das, was sie getan haben, war so grotesk, so verrückt, sie waren so geblendet von ihrem eigenen Ego. Ich musste da mit Humor rangehen.
    "Sie leben in dieser merkwürdigen transnationalen Welt"
    Lieske: Der gute Banker ist ja Ihr dritter Roman, alle drei spielen in Dublin. Diesmal zeigt sich Dublin ein bisschen anders. Sie beziehen sich noch auf James Joyce, Sie sagen aber auch, dass dieser Ort aussehen könnte wie Frankfurt, London oder Kuala Lumpur. Sie verzichten weitestgehend auf das irische Idiom in Ihrem Roman und Ihre Protagonisten kommen aus Paris, Frankfurt oder Australien. Warum ist das so?
    Murray: So ist das eben im Financial Sektor. Die Leute kommen aus der ganzen Welt, sie bleiben für 18 Monate oder zwei Jahre. Das Financial Centre liegt mitten in Dublin, aber manche Leute gehen da nie raus, sie gehen nie ins Stadtzentrum. Sie leben in dieser merkwürdigen transnationalen Welt, sie haben mehr gemein mit Bankern in Frankfurt oder London oder Kuala Lumpur als mit mir oder mit irgend einer anderen Person, die da rumläuft in den Straßen von Dublin.
    Lieske: Eine Investment-Frage zum Schluss: Ihr Autor Paul ist ziemlich arm, er hat wirklich keinen Euro übrig. Ich weiß nicht genau, wie das mit Paul Murray ist, aber - wenn Sie die Million hätten, wo würden Sie diese anlegen, in Dublin oder doch in Kuala Lumpur?
    Murray: Wenn ich eine Million hätte? Man sagt doch, global denken, lokal handeln. Wir leben in dunklen Zeiten, und ich und meine Freunde finden, dass man mit seiner eigenen Stadt anfangen muss, man muss sie zu einem besseren Ort machen. Wenn ich eine Million hätte, würde ich sie verschenken wollen. Ich hoffe, dass ich das wirklich durchziehen würde. Die idealisierte Version meiner selbst würde die Million verschenken.
    Paul Murray, der gute Banker. Deutsch von Wolfgang Müller. Kunstmann Verlag, 526 Seiten geb. 25,00 Euro.