Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Autorentheatertage
Uraufführungen am laufenden Bande

Bei den Berliner Autorentagen hat sich unser Rezensent Hartmut Kruge zwei Stücke angeschaut. Die Uraufführung von "Archiv der Erschöpfung" haben Schauspieler und Regisseurin der enttäuschenden Lektüre eine unterhaltsame äußerliche Bühnenwirkung verschafft. Mehr aber auch nicht. Über das zweite Stück "Der neue Himmel" mag unser Autor lieber schweigen, so unverständlich erscheint ihm die Auswahl dieser Peinlichkeit.

Von Hartmut Krug | 28.06.2015
    In Sascha Hargesheimers Stück "Archiv der Erschöpfung" geht es irgendwie und sehr allgemein um eine heutige Lebensweise des "immer weiter so". Doch dann bricht in einer Provinzstadt die Erde auf: Ein Haus stürzt ein und auch die Menschen geraten in Krisen. Der Autor bezeichnet sein Stück als "Material". Also rattert seine assoziative Textfläche ohne Großschreibung und Satzzeichen und nur mit gelegentlichen Rollenzuweisungen munter dahin.
    Was Regisseurin Friederike Heller geschickt als Angebot nimmt, dem ganzen eine einfallsreich bunte Spielform über zu stülpen. Wie meist bei ihr steht der Musiker Peter Thiessen auf der Bühne und untermalt das Geschehen mit seiner Elektro-Mix-Musik, während die Darsteller sich auf und vor den Ebenen einer Gerüstbühne zu kleinen Tableaus einfinden. Daniel Hoevels spielt nicht nur einen in die Stadt zurückkehrenden jungen Mann mit dem sprechenden Namen Anders, sondern er führt das Publikum auch mit erzählend-beschreibenden Texten durchs Geschehen. Es beginnt mit einer Familie, zusammengedrängt auf einem Sofa, deren Beziehungsprobleme auch bildlich deutlich werden.
    Die Schauspieler nehmen ihre Figuren ohne Aplomb ernst, - und dürfen sie zugleich karikaturesk ausstellen. Wobei sie, wenn Figuren an der Trinkhalle Mondmann, Steinriese oder Fledermaus heißen, von der Kostümbildnerin Sabine Kohlstedt wunderbar unterstützt werden. Wie vor allem Felix Goeser, Lisa Hridina und die wunderbare Almut Zilcher ihre wechselnden Rollen gestalten, das rettet den Abend über seinen nicht allzu starken Bedeutungstext hinweg. Denn was genau sein Thema ist, bleibt im vagen. Eine Szene, in der Anders mit seiner Verlegerin über sein geplantes Buch spricht, wirkt so fast wie eine ironische Selbstkritik des Autors:
    Verleger: Was ist denn das Thema
    Anders: Ich weiß es nicht. Das ist ja das Problem.
    Ich warte noch darauf dass ich es verstehe.
    Verleger: Und
bis jetzt
hast du keine Idee davon wovon es handeln könnte.
    Anders: Ich dachte ich hätte ein Thema mehrmals sogar. Aber immer, wenn ich das denke, merke ich das ist gar nicht mein Thema. Das ist das Thema von jemand ganz anderem oder das Remake von zwei oder drei Büchern aus den 19-hundert-was-weiß-ich Jahren, die man einfach auch lesen könnte
da steht ja alles drin seltsamerweise auch alles über mich.
    Anders besucht seinen als Nazi zusammengeschlagenen, im Koma liegenden Bruder, und als das Seismografenwerk der Stadt durch das erdbebenhafte Unglück in die Krise gerät, werden dessen Nazi-Vergangenheit und die schwierige Zukunft des Familienbesitzes thematisiert.
    Während das Stück bei der Lektüre eher enttäuschte, haben Schauspieler und Regisseurin dieser Produktion des Deutschen Theaters durchaus unterhaltsame äußerliche Bühnenwirkung verschafft. Mehr aber auch nicht.
    "Der neue Himmel" von Nolte Decar
    Über die Uraufführung von "Der neue Himmel" durch das Züricher Schauspielhaus sollte man dagegen eigentlich lieber ganz schweigen. Autor Nolte Decar, also das Autorenduo Jakob Nolte und Michel Decar, hat ein krachledern komödiantisches und zugleich hilflos ungenau auf Bedeutung zielendes Stück geschrieben. Unverständlich, warum die Jury des Autorentheatertreffens diese Peinlichkeit ausgewählt hat. Zumal Regisseur Sebastian Kreyer das Unglück noch verstärkt, indem er mit einem Ensemble, das Ironie und Komik nicht zu seinen Stärken zählt, auf die große Unterhaltungs- Kabarettshow setzt.

    Thema soll unsere Überwachung und Beherrschung durch Drohnen sein. Dafür zeigen uns die Autoren auf einer Art Weltreise meist skurril bis albern verkleidete Forscher, in der Südsee, in Indien, im Himalaya, in einer arktischen Forschungsstation, in Kolumbien oder Mexiko. Was sie dort tun, ist ohne Belang. Der Regisseur stellt sie vor ein buntes exotisches Einheitsbild und lässt sie von den Einheimischen mit musikalisch-tänzerischer Ethnoware peinlich umspielen, ja, auch selber tanzen und singen. Dann werden sie von einer Rakete weggerafft. Oder eine Tierforscherin findet im Urwald auf ihrem Fotoapparat nicht ihre gesuchten Zwergflusspferde:
    Rashad Hasham: Da auf dem Video. Das sollten Sie sich anschauen.
    Chisara Lewal: Geben Sie schon her. Wo? Was meinen Sie? 
Da brennt etw
    as. Das sieht aus wie eine Explosion. Ein Einschlag.
    Wenn am Schluss auf einem Landgut, das neben einer Militärbasis liegt, alle trotz eines herumgeisternden Nick Knatterton umgebracht werden, wirkt die Aufführung mit ihren Kalauern und Schwulen-Witzchen unerträglich. Der Rest muss des Kritikers Schweigen sein.