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Autoritätsverlust und brennende Barrikaden

Der Zustand des ganzen Landes steht in Frankreich zur Debatte: In der Bretagne sind die Landwirte am Limit, andernorts sind es die Autofabriken, die schließen, Technologiekonzerne, die sich zurückziehen, Mittelständler, die aufgeben. Und das Vertrauen in Präsident Hollande schwindet.

Von Ursula Welter | 07.11.2013
    Der französische Staatspräsident wird heute zur "Einheit der Nation" aufrufen. Ein Schelm, wer dabei an die Unruhen in der Bretagne denkt oder an die Streiks vor den Werktoren in anderen Regionen, an die brennenden Autobahninstallationen im Norden wie im Süden.

    François Hollande will die "Einheit der Nation" im Gedenken an das Grauen des Ersten Weltkrieges beschwören. Ein Krieg, der in Frankreich "La Grande Guerre", der Große Krieg, genannt wird. Heute Nachmittag wird das Staatsoberhaupt im Elysée-Palast den offiziellen Start der Feierlichkeiten bekannt geben. Er wird an die 1,4 Millionen Franzosen erinnern, die in diesem Krieg gefallen sind. An die Dörfer, deren männliche Bevölkerung damals dramatisch reduziert wurde. An die Wunden, von denen sich Frankreichs ländlicher Raum jahrzehntelang nicht erholen konnte. Aber auch an die Länder, vor allem an Deutschland, die einst Feinde waren und heute Freunde sind.

    Der feierliche Moment des nationalen Erinnerns wird jedoch überschattet sein. Und Hollandes Mitarbeiter sagen, bis zuletzt werde er sich vorbehalten, an der Rede zu feilen. Aber das Wort des Präsidenten wiegt nicht mehr viel im Land.

    Als François Hollande vor Kurzem höchstpersönlich einem Roma-Mädchen, dessen Familie nach gescheiterten Asylanträgen ausgewiesen worden war, die Rückkehr ohne Angehörige nach Frankreich anbot und damit auf Schülerproteste reagierte, sank sein Stern noch tiefer. Die Erklärung wurde in allen politischen Lagern als "verheerend" bewertet. Der Autoritätsverlust des Präsidenten ist groß, 73 Prozent der Franzosen vertrauen ihm nicht, politisch will kaum mehr etwas gelingen.

    Gerade wurde im Senat, der zweiten Kammer, die Rentenreform abgelehnt, auch, weil die Linksfront dem Regierungsbündnis mit Sozialisten längst untreu geworden ist. Zwar hat das Parlament das letzte Wort und die Sozialisten dort eine Mehrheit, aber der Vorgang steht für mehr:

    "Wenn man einer Linker ist und man hätte für die nächsten Wahlen nur François Hollande zur Auswahl, dann wäre das doch zum Heulen. Deshalb wird es eine Alternative geben, die Linksfront, und die repräsentiere ich","

    sagt Jean-Luc Melenchon. Die Kommunal- und Europawahlen, mit großen Chancen für alle radikalen Kräfte links und rechts im Nacken, bei jedem noch so kleinen Reformschritt unter dem Druck der Straße - die französische Führung unter François Hollande ist in einer verzweifelten Lage. 1000 Sozialpläne binnen eines Jahres, so rechnet die Zeitung "Le Monde" vor, stünden gegen das Mantra der Regierung, dass es aufwärts gehe im Land.

    ""Die Arbeitnehmer, die Arbeitnehmer, nur um die Arbeitnehmer geht es uns,"

    sagt ein Gewerkschaftsvertreter in der Bretagne, wo die geplante Öko-Abgabe für den Schwerlastverkehr gerade das Fass zum Überlaufen gebracht hat, wo seit Monaten die Mitarbeiter der Schlachthöfe auf die "Dumpinglöhne in Deutschland" schimpfen, und wo immer mehr Menschen die rote Protest-Mütze aufsetzen, weil sie immer höhere Steuerlast nicht mittragen wollen - wie einst die Rotkappen zu Zeiten Ludwig des XIV.

    Aber im Kern geht es nicht um die Steuer. Der Zustand des ganzen Landes steht zur Debatte: In der Bretagne sind die Landwirte am Limit, andernorts sind es die Autofabriken, die schließen, Technologiekonzerne, die sich zurückziehen, Mittelständler, die aufgeben.

    "Statt um diese Sorgen", so sagt einer der Demonstranten in der Bretagne, kümmerten sich "die da in Paris", und er meint nicht zuletzt den glücklos agierenden Staatspräsidenten, um ausgewiesene Asylbewerber.

    Ultimaten zu stellen, wie gerade geschehen, brennende Mautstationen, das sei aber auch keine Lösung, kontert Jean-Yves Le Drian, der Verteidigungsminister, der einer der mächtigen Bretonen ist, die in Paris traditionell eine breite Lobby haben: In einer Demokratie regierten Dialog und die Arbeit an Lösungsvorschlägen.

    Ob der Präsident heute konkrete Lösungsvorschläge im Gepäck hat, wird sich zeigen. Mit einer Regierungsumbildung auf den Sturm mitten im Sturm zu antworten, sei aber nicht seine Art, meinen die Präsidentenberater. Und sie legen Wert auf die Feststellung, dass die brennenden Barrikaden in diesem Herbst nicht zu vergleichen seien mit dem Ende der Vierten Republik oder gar den Aufständen 1968. Die Medien bauschten die Sache halt auch auf.