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Autorität macht das Gesetz gültig

In einer Zeit der Kriege und Revolutionen ging Thomas Hobbes den Ursachen solcher Wirren auf den Grund. Vor 425 Jahren wurde der englische Philosoph und Staatstheoretiker geboren.

Von Rolf Wiggershaus | 05.04.2013
    "Wo gegenseitiges Misstrauen herrscht, ist es für jeden Menschen am vernünftigsten, daß er versucht, anderen zuvorzukommen. Er wird sich möglichst alle Menschen so lange mit Gewalt oder List unterwerfen, bis er keine andere Macht mehr sieht, die für ihn gefährlich wäre. Auch die, die glücklich wären, wenn sie in Ruhe in bescheidenen Grenzen leben könnten, würden schnell untergehen, wenn sie nicht ebenfalls danach trachteten, durch Eroberungen ihre Macht zu vergrößern. Das Zusammenleben ist für die Menschen also kein Vergnügen, sondern bereitet ihnen im Gegenteil viel Verdruß, solange es keine übergeordnete Macht gibt, die sie alle im Zaum hält."

    Krieg aller gegen alle oder Unterwerfung unter eine absolute Macht – so formulierte Mitte des 17. Jahrhunderts der englische Philosoph Thomas Hobbes in seiner bekanntesten Schrift "Leviathan oder Materie, Form und Macht eines kirchlichen und bürgerlichen Gemeinwesens" die Alternative, vor die er das Zusammenleben von Menschen gestellt sah. Die Abhandlung mit dem Namen eines alttestamentarischen Ungeheuers im Titel entstand im absolutistischen Frankreich des noch unmündigen Ludwigs XIV., wohin Hobbes vor dem Bürgerkrieg in England geflohen war.

    Geboren wurde er am 5. April 1588 in dem kleinen Ort Westport bei Malmsbury in Südwestengland als Sohn eines Landpfarrers und einer Bauerntochter. Ein reicher Onkel finanzierte seine Ausbildung. Er wurde Tutor, Reisebegleiter, Privatsekretär und Freund adliger Familien, lernte führende Wissenschaftlicher seiner Zeit wie René Descartes und Galileo Galilei kennen und wurde zum Pionier einer wissenschaftlichen Philosophie. Das galt vor allem für seine rational-mechanistische Theorie des Rechts und des Staates.

    Nachdem er 1640 zu Beginn der Revolution in England in einer politischen Streitschrift Partei für die Monarchie und gegen die vom Parlament angestrebte Gewaltenteilung genommen hatte, floh Hobbes aus Angst vor Verfolgung nach Frankreich. Der dort entstandene "Leviathan" war das Ergebnis einer Neubearbeitung seiner Staatsphilosophie.

    Deren Quintessenz machte bereits das nach seinen Anweisungen gefertigte Titelbild des Buches deutlich. Zu der allegorischen Darstellung eines Herrschers, dessen Körper vom Gewimmel der Beherrschten gebildet wird, meint der Rechtshistoriker Michael Stolleis:

    "Der Leviathan ist in der Tat ein künstlicher Mensch. Er ist nicht identisch mit dem konkreten Herrscher. Der konkrete Herrscher kann schwach und unfähig und dumm und militärisch nicht durchsetzungsfähig sein etc. Der Staat selbst als künstliche Maschine, zusammengesetzt aus vielen Individuen, ist eine Konstruktion. Die Individuen gehen in dieser Maschine sozusagen auf. Und das kann man liberal interpretieren in Richtung Rousseausche Volonté générale. Man kann es aber auch in Richtung Diktatur interpretieren."

    Seines Leviathans wegen fiel Hobbes bei dem ebenfalls ins französische Exil geflüchteten englischen Thronfolger und späteren König Karl II., den er eine Zeitlang in Mathematik unterrichtet hatte, in Ungnade.

    Michael Stolleis: "Eine religiös durchtränkte Welt, wie das 16. und 17. Jahrhundert noch mit größter Selbstverständlichkeit ist, reagiert empfindlich, wenn Denker auftreten, die sagen: Wir brauchen für die Begründung des Staates, für die Legitimität von Herrschaft, für die Gültigkeit von Gesetzen keinen Gott mehr. Wir begründen das, indem wir den künstlichen Menschen Staat konstruieren, und die Befehle, die von diesem künstlichen Menschen Staat ausgehen, sind bindend, weil sie eben Befehle sind. Die Autorität des Herrschers macht das Gesetz gültig, nicht die Wahrheit. Das ist ein Kernsatz von Hobbes."

    Hobbes kehrte 1651 nach England zurück und fuhr mit der Ausarbeitung eines mehrteiligen Werks über die Anfangsgründe der Philosophie fort. Als nach dem Ende des Bürgerkriegs und der Militärdiktatur Oliver Cromwells 1660 Karl II. als König nach England zurückkehrte, begegnete er seinem einstigen Lehrer mit Wohlwollen. Er starb am 4. Dezember 1679 im hohen Alter von 91 Jahren. Drei Jahre später wurden seine wichtigsten politischen Werke – "Vom Bürger" und der "Leviathan" – von der Oxforder Universität verboten und von Studenten verbrannt.