Donnerstag, 28. März 2024

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Averroës
Vordenker einer islamischen Aufklärung - Glaube und Vernunft

Der arabische Philosoph und Islam-Gelehrte Ibn Ruschd oder Averroës gilt als einer der einflussreichsten Denker des Mittelalters. Er war davon überzeugt, dass sich der Koran mit den Instrumenten der Logik auslegen lässt. Deshalb gilt er auch bei arabischen Gelehrten als Vordenker einer islamischen Aufklärung. Susanne Fritz im Gespräch mit Professor Andreas Speer – Leiter eines internationalen Forschungsprojekts zu Averroës.

Andreas Speer im Gespräch mit Susanne Fritz | 26.01.2016
    Die berühmte maurische Säulenhalle in der Mezquita-Kathedrale von Cordoba
    Die Mezquita-Kathedrale von Cordoba, Geburtsort des Averroës, war ehemals eine islamische Moschee ( imago / blickwinkel)
    Susanne Fritz: Wir haben es mit einem wichtigen Vordenker einer islamischen Aufklärung zu tun. So viel ist sicher. Aber was wissen wir über das Leben von Averroës?
    Andreas Speer: Ja, wir wissen im Grunde genommen erstaunlich wenig für einen so prominenten Mann. Also wir wissen, dass er 1126(*) in Cordoba geboren worden ist, einer Richterfamilie entstammt, auch selber Richter war, zunächst in Sevilla und dann schließlich Oberrichter in Cordoba, dass er 1171 dieses Amt antrat und dort auch dem Kalifen Abu Yaqub Yusuf vorgestellt wurde, an dessen Hof er auch tätig war, zum Teil auch als Hofarzt. Wir wissen dann, dass drei Jahre vor seinem Tod seine Bücher verbrannt worden sind und er selber verbannt worden ist nach Lucena, also er in Ungnade fiel und dann kurz vor seinem Tod 1198 rehabilitiert wurde und dass er dann an den Hof des Fürsten zurückkehrte nach Marrakesch und wo er auch starb. Das sind relativ beschränkte Daten, die allerdings auf eine politisch durchaus bewegte Zeit hinweisen. So in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts vor allen Dingen, die eben unter mannigfachen Spannungen stand, einerseits politische Spannungen und dann auch damit verbunden Diskussionen und Streitigkeiten um die Stellung des Islam in der Gesellschaft.
    Fritz: Das christliche Abendland und das muslimische Spanien hatten im Mittelalter wenig gemeinsam. Die Unterschiede waren gewaltig. Spanien war damals in vielen Belangen die überlegene Zivilisation. Wie muss man sich das muslimische Spanien zur Zeit Averroës vorstellen?
    Speer: Spanien war sozusagen der Mischplatz, der Melting Point, an dem sich christliche, jüdische und islamische Kultur vor allen Dingen trafen. Es war, kann man sagen, jene zwei, drei Jahrhunderte, in denen es so etwas gab wie eine Art von politisches Patt zwischen den christlichen Herrschern und der Reconquista, die für einen Moment stoppte, und auch den islamischen Herrschern. Es fand in diesen zwei, drei Jahrhunderten ein großer Austausch zwischen den Kulturen statt, von denen der lateinische Westen profitierte. Das heißt, der lateinische Westen fand dort Anschluss an die wissenschaftliche Diskussion seiner Zeit – und das war in der Longue durée der Spätantike durch die ganze nachfolgende arabische Tradition eben zu der damaligen Wissenschaftslehre und der Wissenschaftstradition der Zeit.
    Fritz: Sie haben es im Grunde genommen schon angesprochen. Es gab ein reges intellektuelles Leben in dieser Zeit im muslimischen Spanien. Den arabischen Gelehrten waren auch die griechischen Denker, vor allem Aristoteles bestens vertraut.
    Speer: Ja.
    Fritz: Sie hatten ihn komplett gelesen und er war für sie der bedeutendste Philosoph der Antike. Den Muslimen war schon im 7. Jahrhundert bei ihren Kriegen in Persien eine kostbare Sammlung griechischer Texte in die Hände gefallen und so kamen sie in Kontakt mit Philosophen wie Platon, Aristoteles und Plotin. In der Kultur sah es auch nicht anders aus. Es gab eine hochstehende Architektur, es gab eine hochentwickelte Mathematik, es gab eine Medizin, die ihren Namen verdient. Es gab aber auch Probleme zwischen Philosophie und den islamischen Gelehrten. Man konnte ganz schön Ärger bekommen, wenn man ungehörige Ansichten vertrat. Worin bestanden diese Spannungen genau?
    Speer: Man muss zunächst mal sagen, dass der Islam das Modell des Christentums übernimmt, nämlich sich zu der Kultur, die man vorfindet, das heißt die antike Wissenschaftskultur, in eine positive Beziehung zu setzen, dass man dieser Kultur neugierig und aufgeschlossen entgegen tritt – aus praktischen Gründen, das ist das eine, aber auch aus theoretischem Interesse. In der Tat hat so ein Modell auch Spannungen, weil es versucht, das, was wir Glauben nennen, was religiöse Überzeugung ist, rational und argumentativ zu durchdringen. Diese Spannungen haben wir im Judentum, diese Spannungen haben wir im Christentum, diese Spannungen gibt es auch im Islam – und gerade auch zur Zeit des Averroës. Da ist sein großer Opponent al-Ghazālī, der diesem einen Riegel vorzuschieben versucht und versucht zu zeigen, dass die Philosophen selbst ja hinreichend inkonsistent sind und sich nicht anmaßen sollten, über Glaubensdinge überhaupt zu urteilen.
    Fritz: Das heißt also, die islamische Geistlichkeit hielt die Philosophie, die ja mit den Instrumenten der Logik arbeitet, und den Islam für unvereinbar?
    Speer: Nicht für unvereinbar, sondern es geht darum, in welchem Umfang oder in welchem Ausmaße solche argumentativen Methoden zugelassen werden. Im Grunde genommen gibt es ja drei große Methoden, um die gestritten wird und die Averroës auch miteinander versucht in eine Beziehung zu setzen. Das ist so etwas wie – wir würden sagen, Schriftexegese – das heißt, ein unmittelbar an den religiösen Schriften und auch deren Bildern orientierte Auslegung. Es geht dann um so etwas wie das religiöse Recht und dessen Durchdringung. Und es geht dann schließlich um so etwas die eine natürliche Theologie, das heißt um die Möglichkeit des Menschen, mit seiner natürlichen Vernunft das einzusehen, was uns die Religion zu glauben vorlegt. Das ist ein Spannungsfeld und die Frage ist, wie man sich dort positioniert.
    Fritz: Wie hat sich Averroës in diesem Spannungsfeld positioniert? Auf der einen Seite war er ja ein Anhänger von Aristoteles, dem griechischen Philosophen, und hat dessen gesamtes Werk kommentiert und ausgelegt und auch eigene Schriften verfasst, die von Aristoteles inspiriert waren. Wie hat er jetzt beide Bereiche zusammengebracht? Die auf Vernunft basierende griechische Philosophie auf der einen Seite und den Islam auf der anderen. Wie hat Averroës das Verhältnis der Philosophie zum Islam gesehen?
    Speer: Averroës hat dazu ja einige interessante Schriften geschrieben, in denen er versucht das Verhältnis, die Verbindung von Religion und Philosophie, die Verbindung der Beweismethoden in Bezug auf die Glaubensvorstellung und die Dogmen der Religion miteinander in Beziehung zu setzen. Ich habe ja schon die drei Weisen genannt, in der wir einen religiösen Text interpretieren können. Averroës ist der Meinung, dass die philosophische Durchdringung der Glaubenswahrheiten mit dem Anspruch, dass jeder Mensch diese Kraft seiner eigenen Vernunft verstehen kann, die höchste und vollendete Form ist, eben auch eine religiöse Glaubenswahrheit zu verstehen. Dieses setzt allerdings voraus, dass derjenige, der dies tut, über eine entsprechende intellektuelle Kapazität und Fähigkeit verfügt, vielleicht ein elitärer Standpunkt. Dazu sind die meisten Menschen nicht in der Lage. Aber er sieht keinen Widerspruch zwischen dem, was er tut als Philosoph, der die religiösen Wahrheiten in dieser Weise auflegt, und dem, was die Theologen tun, die eine Dogmatik entwerfen, oder auch einfach die frommen Menschen, die sich an die religiösen Bilder halten. Insofern ist es auch eine nicht ganz richtige Darstellung, wenn immer von einer doppelten Wahrheit gesprochen wird. Averroës sagt, dass die Wahrheit der Wahrheit nicht widersprechen kann. Das heißt, dass diese drei Wahrheiten verschiedene hermeneutische Ebenen darstellen und zwischen diesen Ebenen gibt es keinen Widerspruch. Man muss nur innerhalb einer solchen Ebene konsistent bleiben. Aber im Grunde genommen könnte man auch sagen, jeder Mensch kann nach seiner Fasson selig werden – als religiös Frommer, als – sagen wir mal – gebildeter Theologe oder eben auch als Philosoph, der versucht die göttlichen Wahrheiten vom Standpunkt der reinen Vernunft her zu begreifen.
    Fritz: Das klingt schon sehr nach islamischer Aufklärung und hat natürlich Folgen für das Verständnis des Korans, der heiligen Schrift der Muslime. Nach Averroës steht vernunftmäßige Erkenntnis nicht im Gegensatz zu den Grundzügen der Religion. Das haben Sie gerade erläutert. Wie lesen nach Averroës die einfachen Gläubigen den Koran und wie verstehen ihn die Philosophen?
    Speer: Die einfachen Gläubigen halten sich in der Tat an die Geschichten und die Bilder. Er sagt, dass ist die poetische oder liturgische Lesart. Das hat auch seine Berechtigung, sagt er. Man soll die Menschen auch nicht überfordern, sondern soll jedem seine Lesart zugestehen. Während andere forderten durchaus, dass auch die schwierigen dogmatischen Wahrheiten jedem Menschen erklärt werden sollten. Aber im Grunde genommen ist er der Meinung, dass das respektiert werden sollte. Er fordert allerdings auch ein, dass dem Philosophen nicht nur die Möglichkeit eingeräumt ist. Er sagt sogar, es ist im durch das Gesetz geboten. Da der Mensch von Hause aus und von Natur aus durch die Vernunft charakterisiert ist und durch die Vernunft – das ist ganz analog zu einer christlichen Vorstellung, Gottes Ebenbild, das möchte ich mal so sagen – ist es sogar durch das Gesetz geboten. Er ist verpflichtet, wenn er diese Gabe hat und diese Fähigkeit hat, Gebrauch davon zu machen und zu versuchen, das, was der Koran sagt, mit der Vernunft zu durchdringen und zu verstehen.
    Fritz: Die Philosophen erkennen mit Hilfe der Logik auch tiefere verborgene Wahrheiten im Koran. Deshalb darf der Koran nach Averroës auch nicht wörtlich ausgelegt werden, sondern muss allegorisch verstanden werden. Für Averroës gibt es keine religiöse Notwendigkeit, den Koran wörtlich auszulegen. Damit macht man den Text im Grunde genommen kleiner als er ist, denn im Koran ist nach Averroës eine logisch begründete Wahrheit angelegt. Kann man das so sagen?
    Speer: Ja, damit zeigt sich natürlich auch die Spannung, in die Averroës gerät. Averroës nimmt sich zweierlei heraus und setzt sich damit in eine Spannung zu zeitgenössischen Theologen. Das eine ist, dass er in der Tat das Prinzip der Wörtlichkeit des Korans unter dem Vorbehalt der Allegorisierung setzt, während der Koran ja für die im strikten Sinne Gläubigen als das direkt unmittelbar offenbarte Wort Gottes gilt, an dem nichts geändert werden kann und das so zu verstehen, wie es eben dort steht. Und das ist das Zweite, dass Averroës eine Fortentwicklung der Lehre vertritt, während es eine Orthodoxie gibt, die ihn als Opponenten sieht, als Gegner sieht, die genau das ablehnt. Da merkt man, dass eine hermeneutische Herangehensweise, die versucht, diese Schrift aufzuschlüsseln und zu verstehen, hier in eine Spannung tritt zu einer orthodoxen Tradition, die eher am Wortsinn und einer fixierten Dogmatik festhält
    Fritz: Also im Grunde genommen hat Averroës eine wirklich sehr moderne Sicht auf diesen religiösen Text?
    Speer: Das ist vielleicht auch interessant mit Blick auf die heutigen Debatten. Es gibt im Islam genau diese Tradition, die wir auch aus den anderen theologischen Traditionen kennen – nämlich dass man eine Theologie entwirft, die eine Hermeneutik, die eine Dialektik mit sich bringt, die versucht theologische Argumente aufzuschlüsseln und verständlich zu machen. Wir haben dagegen – aber auch in gleicher Weise – in all diesen religiösen Traditionen auch immer eine Oppositionsbewegung, die genau so etwas beansprucht wie ein Festhalten an einem Wortsinn und die Fixierung auf bestimmt dogmatische Positionen. Also genau diese Entwicklung, diese Tendenz gibt es auch im Islam. Man muss danach nicht rufen, wenn heute gefragt wird danach, dass der Islam seine Aufklärung noch schaffen müsse. Es gibt diese Traditionen, diese Tendenzen auch in der Geschichte des Islam.

    (*) In der gesendeten Fassung hatte sich der Interviewpartner beim Geburtsjahr versprochen.