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Baal geht baden

Beim Brecht-Festival in Augsburg wurde diesmal das alte Stadtbad zur Theaterbühne umfunktioniert. Brechts "Baal" ging dort baden: Hauptdarsteller Felix Zühlke trieb seinen Baal als überheblichen Snob rund um das Schwimmbecken und wagte den Sprung ins Wasser nicht nur metaphorisch.

Von Susanne Lettenbauer | 13.02.2012
    "Also es wäre schön, wenn sie alle Überzieher anziehen würden, damit wir im Bad nicht so viel Schmutz haben."

    Bestimmt hält die Frau am Einlass den Besuchern zwei blaue Plastikdings hin - Füßlinge für die Straßenschuhe. Oder barfuß. Theater im Schwimmbad hat seine Regeln. Hinten kichern die Teenies im Stau, vorn lehnen Männer an der grünen Kachelwand.

    - "Ich bin über die Brecht-Seite drauf gekommen, kann mir aber jetzt grundsätzlich den tatsächlichen Ablauf nicht wirklich vorstellen. Deswegen bin ich jetzt sehr gespannt und schauen wir mal was passiert."
    - "Unter Wasser angeblich, da ist halt mal was anderes in der Inszenierung, da sind wir schon sehr gespannt drauf."
    - "Also ich muss passen."
    - "Wir haben nur draußen gesehen: Baal geht baden. Und jetzt hoffen wir, dass es im Schwimmbad stattfindet, also im Becken, na mal schauen."
    - "Baal an sich kennen wir jetzt noch nicht so."
    "Ich dachte immer der sei wasserscheu wegen dem Regen."

    Zum ersten Mal in ihrer fast 110-jährigen Geschichte sehen diese Kachelwände Theaterbesucher die glitschigen Steintreppen emporgehen, in die erste Etage, wo kunstvoll geschnitzte grüne Umkleidekabinen 1903 die ersten Schwimmer begrüßten. 1903, da war Brecht gerade fünf Jahre alt, lebte genau gegenüber in einem ebenso schönen Jugendstilhaus. Ob er mit seinen Eltern hier zum ersten feierlichen Schauschwimmen ins zweite Jugendstilbad Bayerns kam - wer weiß.

    In seinem ersten Werk, dem Stück von Baal, spielt das Wasser jedenfalls eine große Rolle, sagt Petra Leonie Pichler. Der Regen, die Sintflut, der Fluss und immer wieder der Himmel. Theater brauche heute neue Orte, sagt die in Pittsburgh ausgebildete Regisseurin.

    "Es gibt mehrere Gründe, dass wir das Stadtbad als Kunstraum gewählt haben. Zum einen, um der Metaphorik von Baal gerecht zu werden. Es geht immer um Wasser, es geht um Himmel, es geht um die Seelenzustände. Und für alles das bietet das Wasser eine hervorragende Projektionsfläche."

    Blaue Plastikfüßlinge an den Schuhen, ein intensiver Chlorgeruch in der Nase, in der Hand der Besetzungsflyer im floralen Jugendstil - so blicken die Zuschauer vom umlaufenden Balkon hinab auf das Wasserbecken. Für die nächsten zwei Stunden die Heimat von Baal, dem asozialen Künstler in einer asozialen Welt. Der hemmungslos emotionale Mensch - siehe Wasser - in einer emotionslosen Welt - siehe Steinboden. Was liegt da näher als ein Stadtbad?

    "Ich liebe den Geruch, weiß und rein gewaschen von der Sintflut lässt Baal seine Gedanken fliegen. Gleich weißer Tauben über das schwarze Gewässer."

    Genüsslich treibt Baal im Wasser, taucht, prustet vor Lebenslust oder Widerwillen gegenüber Ekart, seinem Freund und Gegenspieler. Der Berliner Felix Zühlke treibt seinen Baal als überheblichen Snob selbstgefällig deklamierend rund um das Schwimmbecken, wagt den Sprung nicht nur metaphorisch ins Wasser.

    Der Innsbrucker Florian Hackspiel sitzt gegenüber am Beckenrand und sinniert oder onaniert. Über das Wasser und den Schwimmenden flirren Videoprojektionen von Wolken und Vogelschwärmen. Am Beckenrand stehen Kerzen. Feuer und Wasser.

    Die Frauen und Baal - Sophie, die Geliebte, die Hure, die Verlassene. Eine Frau von vielen, die Baal seinen Gönnern ausspannt und benutzt. Dargestellt von der Augsburgerin Eva Gold. Gekleidet in einem fließenden bodenlangen weißen Kleid.

    Drei Darsteller, in denen die sehr viel größere Originalbesetzung Brechts verschwimmt. Aus Männerfiguren werden Frauen, aus Frauen Männer, was dem Text dort am Schwimmbecken etwas Geschlechtsloses gibt, Generelles. Der Umgang des Menschen mit dem Menschen. Zwischen denen dieses Unüberwindbare, das Wasser liegt, in das die Frauen gehen und das weiße Kleid sehr poetisch emporquillt.

    Erst im zweiten Teil nach der Pause gewinnt der textlastige Abend jedoch wirklich an Fahrt. Mehrfach steht Baal das Wasser wortwörtlich bis zum Hals. Erst als sein Freund Ekard tot im Wasser treibt, im Affekt von Baal ersäuft, hallen die einsamen Rufe in dem hohen Tonnengewölbe des Augsburger Schwimmbads nach. Baals Leben fällt ins Wasser, auch wortwörtlich.

    Ich horche noch auf den Regen - diese letzten Worte Baals "verschwimmen" an diesem Abend mit dem untergehenden Baal. Viel Jubel vom Balkon, viel Nachdenken über plausible und unplausible Metaphorik. Viele Ideen, was noch alles ergänzt werden könnte an diesem Theater-Schwimmbad-Abend.

    Doch wie Brecht am Schluss des Baal bereits sagt:

    "Geschichten, die man versteht, sind nur schlecht erzählt."