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Bad Steben in Oberfranken
Ein Fest für Biedermeier

Der Kurort Bad Steben hat sich in 185 Jahren zum Gesundheitszentrum im Naturpark Frankenwald entwickelt. 1832 kaufte das Königreich Bayern die Heilquellen und das Gelände der heutigen Kuranlagen. An die damalige Zeit erinnert das Biedermeierfest, das alle zwei Jahre stattfindet.

Von Joachim Dresdner | 29.10.2017
    Die Säulenwandelhalle im Kurpark, Bad Steben
    Die Säulenwandelhalle im Kurpark Bad Steben (imago/imagebroker)
    Drei Tage ging das bunte Fest, das Biedermeierfest im oberfränkischen Bad Steben: Freitagabend der Eröffnungsball, Samstag Fest im Kurpark und am Sonntag der feierliche Umzug. Stilnahe Blicke in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts.
    Am Ersten Abend: Der Biedermeierball im Kurhaus. Ottmar Lang betritt die Bühne:
    "Als Kurdirektor des Bayerischen Staatsbades Bad Steben ist es mir eine ganz große Freude, sie in unserem historischen Kurhaus zum Biedermeierball auf das herzlichste willkommen zu heißen."
    Vom Kurpark aus liegen das moderne Thermalbad linkerhand, geradezu die Kolonnaden, halbrechts und etwas höher das Kurhaus mit dem Kursaal.
    Eintauchen in die Zeit um 1832, als Ludwig I. den Ort zum königlich Bayerischen Staatsbad ernannte:
    "Nun, liebe Gäste, wünsche ich ihnen allen einen vergnüglichen, geselligen Ballabend, hier in unserem historischen Kurhaus und viel Freude beim Tanzen."
    "Nun eröffnet die Biedermeiertanzgruppe Bad Steben den Ballabend mit ihrer 'Queen Quadrille'"
    Die Musik setzt ein. Die Tänzerinnen und Tänzer bewegen sich im Kreis, dann aufeinander zu, sie laufen durch die Reihe, wechseln den Tanzpartner. Schwungvoll, elegant, geübt. Lange Kleider, schwingende Reifröcke in türkis-weiß, oder schwarzgesäumtem Altrosa. Die Herren tragen Hüte in Grau und Schwarz, Halstücher, Schleifen oder Binder.
    "Ein Fest für Biedermeier, Gottlieb, den schwäbischen Dorfschullehrer. Er hat eine glänzende Karriere hingelegt: Die gute, alte Zeit, das Behagliche, ist mit ihm verbunden, auch Mode, Möbel, ein Malstil und das Biedermeiersträuschen. Doch: den Biedermeier, Gottlieb, den hat es nie gegeben. Er wurde erfunden!"
    Alles, was Biedermeider optisch ausmacht, ist dabei
    Erfunden wie auch das Zeitalter. Die Jahre zwischen 1815 und 1848, zwischen dem Wiener Kongress und der bürgerlichen Revolution.
    Im Kursaal von Bad Steben ist alles, was Biedermeier optisch ausmacht, dabei. Festlich gewandet bewegen sich die Paare beim Eröffnungs-Tanz: Die Damen mit Schutenhüten, taillierten, farbigen Kleidern und Stocklocken, einst mit Brennschere onduliert. Die Herren im eleganten Gehrock mit Vatermörderkragen. Gäste von Rhein, Neckar und dem Bodensee. Aus Niederbayern, Unter- und Oberfranken und der Schweiz, aus München, Offenburg und Bensheim
    Unter ihnen Hans-Peter aus Heiden in der Schweiz. Ein graumelierter Herr mit dunkler Weste und fliederfarbener Halsschleife:
    "Wir haben natürlich nicht so schöne, tolle, hohe Säle wie hier, das ist wirklich schön. Meine Frau, sie ist schon länger dabei und hat sich dafür begeistert und hat mich jetzt überzeugt, ich soll da mal mitgehen."

    "Liebreizende Damen, ehrengebietende Herrn, Eminenzen, Exzellenzen, vor allem doch aber: freie und gleiche Biedermeier! Ich habe in der Bibliothek eines Stebener Hauses ein Benimmbuch gefunden. Aus diesem Buch 'Der gute Ton' darf ich ein paar Anmerkungen verlesen."
    Biedermeierfest in Bad Steben
    Liebreizende Damen, ehrengebietende Herren (Deutschlandradio/J. Dresdner)
    Helmut Bullemer erinnert das Publikum an die guten Sitten, an den respektvollen Umgang jener Zeit. Der 77-jährige evangelische Pfarrer im Ruhestand, Zitator, Lieder- und Moritatensänger ähnelt, finde ich, dem Münchner Maler und Apotheker Spitzweg:
    "Ich muss sagen, Kleider machen Leute. Wenn ich da reinschlüpfe, bin ich ein freundlicherer und liebevollerer Mensch, ja, und flirte gern ein bisschen und hier, da und so, aber das ist tatsächlich etwas, das mich prägt."
    Wir sind kurz vor die Tür gegangen. Im Saal geht es recht laut zu. Ich will wissen, was Bullemer den Biedermeierballgästen noch zum Besten geben wird:
    "Dass das also mit einer großen Zärtlichkeit vor sich geht, dass man ja niemanden verletzt in seiner Würde und dass man auch mit Anstand beieinander und auch wieder auseinander gehen kann."
    Geschätzte 7.000 Besucher sind gekommen
    Tags darauf ist Ausschlafen angesagt. Das Biedermeier-Fest im Kurpark beginnt mittags um Eins. Geschätzte 7.000 Besucher sind gekommen.
    Musikalisch wie kulinarisch konzentriert sich vieles an diesem Nachmittag auf den Streifen vom Kurpavillon mit der Tanzfläche davor bis hinauf zur Wandelhalle.

    Im Kurpark ertönt Leierkastenmusik. Eine Frau trägt einen Schattenspielkasten. Am hauchdünnen, von der Sonne angeleuchteten Papierrahmen bewegt sie Figuren und Schmetterlinge.
    Christiane Denecke, Marketingchefin der Therme, im hellen, weitschwingenden Biedermeierkleid:
    "Herzlich willkommen hier in Bad Steben bei unserem Biedermeierfest. Wir wollen unser schönes Fest beginnen und unter Gottes Segen stellen mit einem kleinen geistlichen Wort und vorher werden uns die Böllerschützen aus Bad Steben und aus Lichtenberg mit einem Salutschuss begrüßen."

    Nach ein paar Tänzen lädt Helmut Bullemer in der Wandelhalle gegenüber zum gemeinsamen Singen ein:
    "Revolutionäre Gedanken waren in der Romantik und in der Zeit nach dem Wiener Kongress eben auch sehr im Schwange."
    Sagt es und stimmt an.
    Ebenfalls aus der Biedermeierzeit eine Strophe von "Kein schöner Land".
    Wenn den Tanzpaaren auf der Fläche vor dem Kurpavillon eine Musikpause angekündigt wird, tritt in den Kolonnaden Bullemer auf. Die Besucher haben mit ihm gesungen. Jetzt hören sie Moritaten:
    "Das ist eine Literaturform, die es mit Reimen und mit Senkungen und Hebungen nicht so genau nimmt, Hauptsache es ist ein bisschen schaurig."
    Dann wird es doch nicht so schaurig.
    Und nun, am dritten Tag, sind alle gespannt auf den großen Biedermeier-Festumzug durch den Kurpark
    Am Sonntagvormittag versammeln sich, auf der Kurhaus-Terrasse, die "Biedermeiers". Sie ordnen sich zu Gruppen, manche etwas dezimiert, wenn die Feiern am Vorabend doch zu lange dauerten. Die Organisatorin gibt die Reihenfolge bekannt.
    Die Mitglieder beschäftigen sich mit der Geschichte des 24. Kurhessischen Bürgergarde-Bataillons von Schlüchtern. Noch ist Zeit für Gespräche. Friedrich Vogel vom Verein Biedermeier Frankenwald, sowie Hannelore Woywod und Charlotte Brunn aus München frage ich, was für sie die Biedermeierzeit ausmacht:
    "Das Zurückkehren in die Privatsphäre ist doch etwas. Wenn wir flanieren, dann kommen wir ins Gespräch und dann kann man sagen, das war die und die Zeit gewesen, man hat Volkslieder gesungen, man war zuhause zusammen, die Familie war das Zentrum."
    400 Arbeitsstunden stecken in der Haube
    "Von unserer heutigen Hektik aus gesehen war das damals schon gemütlicher und dann ja auch die schönen Kleider, das ist was Besonderes wenn wir dann so auftreten, das macht Spaß! Zum Beispiel meine Hütlhaube dahinten, die ist selber gemacht, da stecken ungefähr 400 Arbeitsstunden drin und so viel Arbeit macht sich heutzutage keiner mehr. Das wird gestickt, wenn sie sich einen winzigen Spiraldraht vorstellen, der wird in kleine Stückerl geschnitten und dann darauf genäht, nach einem Muster, das man sich vorher überlegt und das ist, ja, heftig und die Zeit hatten halt früher Bürgerstöchter, höhere Töchter, die also nicht gezwungen waren ihren Lebensunterhalt mit Arbeit zu verdienen."
    "Es gibt auch alte Hauben, wie meine. Die ist Original alt, richtig alt, ja, mit dem Lahnfaden gemacht."
    Lahnfaden. Wer weiß noch, dass spiralförmig um einen Textilfaden ein flacher Metalldraht gewickelt wird?
    "Solche Sachen kriegt man auf dem Flohmarkt in München."
    Vorfreude strahlt auch Richard Griesbach aus, schon in den letzten Tagen hatte der Einheimische Spaß daran zu sehen, wie gut das Biedermeierfest angenommen wird:
    "Das passt wie der Deckel auf den Topf zu Bad Steben, durch den Kurpark und ich find’s Klasse, schauen sie sich doch um!"
    Sommers immer am letzten Sonntag im Monat, wenn das Wetter – wie heute - mitspielt. Dann treffen sich die Mitglieder des Bad Stebener Biedermeiervereins am frühen Nachmittag im Kurpark, sozusagen zur kleinen Flaniervariante.
    "Und dann laufen wir halt pärchenweise und in Gruppen durch den Kurpark, dann wird, um 14:30 Uhr und um 15:30 Uhr, mal gesungen und dann laufen wir bis 16:00 Uhr rum und setzen uns zum Kaffee hin und lassen den Tag ausklingen."
    Nun setzt sich der Festumzug in Bewegung. Paarweise untergehakt mit Sonnenschirmen und Spazierstöcken. Bei jeder der rund 15 Gruppen trägt jemand stolz das Vereinsschild voran. Durch den Kurpark und durch das Spalier hunderter Handyfotografen. Viele applaudieren den buntgekleideten Damen, die über ihren Hüten bestickte, helle Sonnenschirme lässig drehen und den Herren, mit dunklen Zylinder- und flachen Sommerhüten.
    "Schauen Sie sich’s schön an!"

    Mache ich, Herr Griesbach! Alle zwei Jahre im Sommer.