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Baden-Württemberg
Rettet die Schreibschrift!

Einen Gedanken ins Smartphone tippen oder diktieren oder den Text an der Tafel abfotografieren: Der klassische Notizzettel hat ausgedient. Ist mit der Hand schreiben überflüssig geworden? Sprachaktivisten aus Baden-Württemberg sehen das anders und wollen mit 15.000 Unterschriften die Schreibschrift retten.

Von Thomas Wagner | 11.11.2017
    "Und achtet auf die Schreibschrift! Ein Blatt ist für dieses Herbstgedicht."
    Sipplingen am Bodensee: Konzentriert sitzen die Viertklässler in der kleinen Burkhard-vom-Hohenfels-Grundschule, üben Schreibschrift - jeden Tag. Das soll auch in Zukunft so bleiben. So steht es in der Resolution mit 15.000 Unterschriften, die Wolfgang Hildebrand von der "Aktion deutscher Sprache" gemeinsam mit Gleichgesinnten an die baden-württembergische CDU-Kultusministerin Susanne Eisenmann überreicht hat.
    "Es waren immerhin sieben Aktenordner mit den ganzen Listen: Es geht um die Beibehaltung der Schreibschrift. Die soll und ist ja in einigen Ländern bereits abgeschafft worden, zum Beispiel in Hamburg."
    Dort dürfen die einzelnen Grundschulen selbst entscheiden, ob die klassische verbundene Schreibschrift noch unterrichtet wird, oder ob das Erlernen von Druckbuchstaben ausreicht - für Wolfgang Hildebrandt ein schulpolitischer Sündenfall, der auch woanders Schule machen könnte. Ganz bewusst überreichte er die Aktenordner voller Unterschriften an die baden-württembergische Kultusministerin: Susanne Eisenmann ist derzeit auch Vorsitzende der Kultusministerkonferenz.
    "Dass sich so viele Menschen für den Erhalt der Schreibschrift interessieren, hat mich positiv überrascht. Und deshalb habe ich die Unterschriften auch gerne entgegengenommen."
    Mehr als eine Kommunikationsform
    Susanne Eisenmann zückt am Rande einer Landtagsdebatte für ein Interview gerne mal auch ihr Smartphone. Dennoch begrüßt sie die Initiative derjenigen, die überlieferte Kulturtechniken wie der Schreibschrift wichtig finden - gerade in Zeiten, in denen Computer zunehmend in Schulen Einzug halten.
    "Das Tippen mit Fingern sei jedem unbenommen. Aber ich glaube: Eine Kulturtechnik wie die Schreibschrift, auch das Halten eines Stiftes, das sind tatsächlich Fertigkeiten, die über Computer hinausgehen, die einen das ganze Leben begleiten. Ich glaube, dass das Erlernen einer Schreibschrift wesentlich mehr ist als nur reine Kommunikation."
    Aber worin besteht dieser Mehrwert?
    "Bei der Schreibschrift kannst du einfach ein Wort in einem Strich schreiben und nicht einfach bei jedem Buchstaben enden."
    Christian Zander, Viertklässler an der Burkhard-von-Hohenfels-Grundschule in Sipplingen, ist ein regelrechter Schreibschrift-Fan. Dass er den Unterschied zwischen Schreibschrift einerseits und dem Schreiben in Druckbuchstaben gut kennt, hat seinen Grund. Denn an den baden-württembergischen Grundschulen lernen die Kinder in der ersten Klasse erst einmal ...
    "In der Druckschrift. Die bekommen die Druckschrift beigebracht", erklärt die Sipplinger Grundschullehrerin Dorothea Sailer.
    "Erst einmal ist die Druckschrift motorisch einfacher umzusetzen. Und dann sind die Bücher natürlich alle in Druckschrift geschrieben. Und die Kinder lernen dann erst einmal die einfachere Druckschrift und in diesem Zusammenhang das Lesen."
    Werden die einzelnen Druckbuchstaben durch eine Art Häkchen miteinander verbunden, nennen das die Fachleute "Grundschrift".
    Ein unverzichtbarer Baustein des Lehrplans
    Erst ab der zweiten Klasse wird die Schreibschrift unterrichtet. Die allerdings ist für Dorothea Sailer und ihre Kollegin Kirsten Rasch ein unverzichtbarer Baustein des Lehrplans.
    "Es ist einmal auch ein ganz wichtiger Punkt für die Feinmotorik. Damit kommen sie einfach leichter in den Schreibfluss rein. Außerdem finde ich halt: Gerade bei der Schreibschrift haben die Kinder klare Wortgrenzen. Die wissen: Okay, diese Buchstaben gehören zu einem Wort. Und dann beginnt das neue Wort. Das ist bei der Druckschrift oftmals nicht so einfach. Und auch die Abstände zwischen den einzelnen können da leichter variieren."
    "Ich finde halt auch, dass es ein Kulturgut ist, das da übermittelt wird."
    Was auffällig ist: Die Zweitklässler sind nach den Erfahrungen von Dorothea Sailer regelrecht begierig darauf, Schreibschrift zu lernen.
    "Für die ist die Schrift der Großen. Auch wenn die Erwachsenen irgendwann mal eine Mischform natürlich mal schreiben, fühlen sich die dann sehr erwachsen und schon groß."
    Ein Zeichen von Reife
    Insofern, ergänzt Schulleiterin Nadja Wintermeyer, sei das Beherrschen der Schreibschrift auch ein Zeichen von Reife.
    "Dann ist es ein Teil der Persönlichkeit später: Die Schrift entwickelt sich, die Persönlichkeit entwickelt sich. Und es hat auch für die kognitiven Entwicklungen eine Bedeutung: Es entwickelt Strukturen."
    Diese Erfahrungen der Pädagogen vor Ort lassen sich, so Wolfgang Hildebrand von der "Aktion Deutsche Sprache", durch aktuelle Ergebnisse der Bildungsforschung untermauern. Er verweist auf eine Studie der Universität Montreal ...
    "Wonach Schüler, die die Schreibschrift beherrschen, sich Texte besser merken können und ihren Sinn besser erfassen können."
    Für ihn und seine Mitstreiter sind solche Ergebnisse Grund genug, sich weiterhin auf allen Ebenen für den Erhalt der Schreibschrift in den Schulen einzusetzen. Die baden-württembergische Kultusministerin und KMK-Vorsitzende Susanne Eisenmann haben sie zudem aufgefordert, sich auf allen ihr zugänglichen bildungspolitischen Ebenen für den Erhalt der Schreibschrift stark zu machen. Denn die Tendenzen, solche klassischen Kulturtechniken abzuschaffen, kämen immer mal wieder auf.
    "Denken Sie daran, dass heute kaum mehr auswendig gelernt wird, dass keine Diktate mehr geschrieben werden und so weiter - das heißt: Wir werden nicht aufgeben!"