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Bären für die Besten

Es war eine gute Berlinale! Ein schöner Jahrgang! Endlich, nach Jahren recht mittelmäßiger Wettbewerbe, hat Dieter Kosslick wieder den Mut gehabt, intensive Filmkunst und starke Geschichten ins Rennen um den Goldenen und die Silbernen Bären zu schicken.

Von Christoph Schmitz | 19.02.2012
    Viele kammerspielartige Arbeiten gab es zu sehen, genaue Analysen sozialer Ministrukturen, gesellschaftskritische Studien und historische Reflexionen. Das Programm hat den Zuschauer gefordert, an manchen Tagen interessante Themeninseln zusammengestellt und hin und wieder Leichteres zum Verschnaufen eingeworfen. Richtige Ausrutscher ins primitive Genrekino gab es nur sehr wenige. Auch die großen Kinonamen konnte Dieter Kosslick für den schönen Festivalschein nach Berlin locken. Die Wettbewerbesjury war ungewöhnlich gut besetzt. Man kann nur hoffen, dass dem Berlinale-Chef das Glück gewogen bleibt und der Elan auch für die nächsten Jahre trägt, immerhin kann er noch bis 2016 wirken.

    Gut war der Wettbewerb allerdings eher in der Breite. Die ein, zwei oder drei uneingeschränkt herausragenden Filme gab es nicht. Auffallende einzelne Leistungen hatten die meisten Arbeiten zu bieten. Deswegen war die Jury bei ihrer Preisfindung für den Goldenen Bären nicht zu beneiden. Auf dem Niveau der Silbernen Bären ließ es sich vermutlich leichter verteilten. Christian Petzold für sein DDR-Drama "Barbara" als besten Regisseur auszuzeichnen, ist ganz und gar gerechtfertig. Auch der ungarische Regisseur Benedek Fliegauf hat den Großen Preis der Jury für "Just the Wind" verdient.

    "Es riecht hier nach Tod", sagt der Schulleiter zu einer Roma-Frau, schnüffelt an ihr und dreht den Ventilator zu Seite. Die Pogromstimmung in Ungarn fängt Fliegauf auf beklemmende Weise ein, seine Kamera folgt den Figuren, als würden sie gejagt. Als jemand, der dem Kino neue Perspektiven gegeben hat, ist der Portugiese Miguel Gomes für seinen Schwarz-Weißfilm "Tabu" auch zurecht ausgezeichnet worden. Ein halber Stummfilm, in dem alle Geräusche der Szene zu hören sind, auch Musik, die Figuren aber bewegen zwar ihre Lippen beim Sprechen, ihre Stimmen jedoch hört man nicht. Entrückt und unendlich traurig wirkt diese Geschichte aus dem kolonialen Afrika.
    Schade, daß es ein paar Silberne Bären zu wenig gab. Denn Billy Bob Thortons Familien-Groteske im Süden der USA 1969 hätte ebenso diese Auszeichnung verdient wie etwa Matthias Glasners Schuld-und-Sühne-Drama "Gnade" am Polarmeer. Dem dänischen Kostümfilm "Die Königin und der Leibarzt" über einen Aufklärer als Berater des Königs gleich zwei Auszeichnungen zu verleihen, war etwas übertrieben. Die Wahl für den Goldenen Bären hat dann schließlich überrascht.

    "Cesare deve morire". Die Brüder Taviani lassen die Insassen eines Hochsicherheitsgefängnisses in Rom Shakespeares "Julius Cäsar" einstudieren und aufführen. Es sind wirkliche Gefangene, Laiendarsteller. In Schwarz-Weiß inszenieren die Kinoaltmeister die Probenarbeit in den leeren Betonräumen der Anstalt. "Cesare deve morire" ist wieder eines dieser konzentrierten Kammerspiele, von denen die Berlinale viele bot. Ein kleiner Film, der angesichts seiner Möglichkeiten, doch etwas zu klein geraten ist. Auch wenn die Tavianis die besten Absichten hatten.

    So wenig wie der "Cersare" der Tavianis wäre vielleicht auch jeder andere Wettbewerbsfilm in diesem Jahr kein 100-prozentiger Goldener Bär gewesen. Aber die Tavianis waren unter den möglichen Kandidaten die am wenigsten geeigneten. Es fehlte nur ein Blech-Bär. Den hätte die Moderatorin der Preisverleihung für ihr dümmliches, unwitziges und peinliches Geschwätz verdient – Anke Engelke.

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