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Bahn-Geschädigte haben "mehr verdient als nur einen Reisegutschein"

Karl-Peter Naumann, Bundesvorsitzender des Fahrgastverbandes "Pro Bahn", hat die Bahn aufgefordert, den Mitarbeitern vor Ort mehr Kompetenzen zu geben, einen überhitzten Zug gegebenenfalls zu stoppen. Das Drama von Bielefeld hätte es nicht gegeben, wenn das Zugpersonal in der Lage gewesen wäre, den Zug in Wunstorf oder in Minden anzuhalten.

Karl-Peter Naumann im Gespräch mit Jasper Barenberg | 14.07.2010
    Jasper Barenberg: Temperaturen von mehr als 50 Grad mussten Reisende der Bahn am Wochenende ertragen, als in ICE-Zügen die Klimaanlagen vollständig ausfielen. Einige ältere Menschen erlitten einen Hitzekollaps, eine schwangere Frau gar versuchte, eine Scheibe einzuschlagen. Betroffen war auch eine Gruppe von Schülern auf dem Rückweg von Berlin ins Rheinland.

    "Wir haben versucht, so lange durchzuhalten, wie es ging. Kurz vor Bielefeld war die Luft dann auch so dick, dass sie nicht mehr zu atmen war. Also es war wirklich ein halbes Weltwunder, dass nicht mehr Leute umgekippt sind." - "Wir haben dann auch mal eine Wasserflasche weitergereicht für die, die überhaupt nichts zu trinken dabei hatten. Man hätte vorher einfach sagen müssen, dann lässt man den Zug ausfallen. Dass man den wirklich so lange hat fahren lassen, das war unmöglich."

    Barenberg: Die Schilderungen der Betroffenen vom Wochenende. - Von Einzelfällen sprach die Bahn zuerst. Dagegen sprach eine Vielzahl und die Vielzahl der Berichte von Reisenden eine andere Sprache. Jetzt muss das Unternehmen einräumen: Die Probleme sind offenbar doch größer, als bisher angenommen. - Wir wollen darüber jetzt mit Karl-Peter Naumann sprechen. Er ist Bundesvorsitzender des Fahrgastverbandes "Pro Bahn". Einen schönen guten Tag, Herr Naumann.

    Karl-Peter Naumann: Schönen guten Tag!

    Barenberg: Wie groß sind die Probleme mit der Kühlung bei der Bahn nach Ihrer Einschätzung?

    Naumann: Die sind schon nicht so ganz zu vernachlässigen, um das mal vorsichtig auszudrücken. Wir erleben es eigentlich immer wieder, dass in einzelnen Waggons die Klimaanlagen ausfallen oder nur kühlen im Winter, statt zu heizen. Das ist eigentlich nichts Besonderes. Das lässt sich aber noch einigermaßen gut ertragen, weil man dann in einen anderen Waggon gehen kann.

    Barenberg: Sind es denn vor allem technische Schwierigkeiten, mit denen die Bahn dort zu kämpfen hat, oder geht es um falsches Management?

    Naumann: Ich glaube, da spielen eine ganze Menge Dinge eine Rolle. Gerade jetzt der ICE II, der ist technisch 15 Jahre alt, der muss dringend überholt werden. Das hat die Bahn auch vorgesehen. Ab November werden die Züge alle generalüberholt. Das hätte man vielleicht schon im letzten oder im vorletzten Jahr machen sollen, denn die Klimaanlagen und auch die Toiletten sind da inzwischen sehr störanfällig geworden, was natürlich nach 15 Jahren Einsatzzeit auch nicht verwundern darf.

    Barenberg: Die Bahn hat ja nun Entschädigungen angekündigt. Wer kollabiert ist am Wochenende und ärztlich versorgt werden musste, der bekommt Reisegutscheine im Wert von 150 Prozent des Fahrkartenpreises, wer nicht ärztlich versorgt worden ist, einen Gutschein im Wert von 50 Prozent. Ist das aus Ihrer Sicht ein angemessenes Angebot?

    Naumann: Das ist schwer zu sagen, aber ich glaube, wer wirklich notärztlich behandelt wurde, der hat mehr verdient als nur einen Reisegutschein über 150 Prozent des Reisepreises. Zumindest bei denen sollte man dann doch mit Geld real entschädigen, so wie das auch bei den Verspätungsregelungen ja heute gesetzlich fixiert ist, dass es dort eben keine Gutscheine mehr gibt, sondern Finanzielles.

    Barenberg: Müssen wir uns also daran gewöhnen, dass bei zunehmenden Mängeln und Schwierigkeiten, die wir mit der Bahn erleben, jetzt auch solche Regelungen mehr und mehr greifen müssen?

    Naumann: Vermutlich wird sich die Politik überlegen müssen, das Fahrgastrechtegesetz auch in Richtung Zumutbarkeit der Zugfahrt zu ergänzen.

    Barenberg: Was fordern Sie denn allgemein? Wie soll die Bahn jetzt mit diesen Problemen umgehen?

    Naumann: Das Erste und Wichtigste ist: Die Bahn muss ihren Mitarbeitern vor Ort mehr Kompetenz geben, damit die Mitarbeiter entscheiden können, wir müssen den Zug jetzt stoppen. Man darf sich dafür nicht erst lange Genehmigungen in Betriebszentralen einholen müssen. Das sind immer wohl klimatisierte Räume, wo hoch qualifizierte Leute an Computern sitzen, die sich aber häufig gar nicht vorstellen können, wie es vor Ort aussieht. Ich glaube, das Drama von Bielefeld hätte es nicht gegeben, wenn das Zugpersonal in der Lage gewesen wäre, den Zug in Wunstorf oder in Minden anzuhalten.

    Barenberg: Vielen Dank für das Gespräch. - Karl-Peter Naumann, der Bundesvorsitzende des Fahrgastverbandes "Pro Bahn". Danke schön!

    Naumann: Gerne! Bitte schön.