Aus den Feuilletons

Architektur an der Grenze des Machbaren

04:18 Minuten
Eine zwölf Meter große Betonkugel mit Fenstern, die an der Seite des Gebäudes zu schweben scheint.
Die "Niemeyer Sphere" wurde vom gleichnamigen Stararchitekten konzipiert: Sie zeigt, was Architektur alles kann. © Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa
Von Tobias Wenzel · 02.07.2020
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Die Restaurantkugel in Leipzig ist einer der letzten Entwürfe von Oscar Niemeyer. Nun wird sie eingeweiht - und die „Süddeutsche“ ist voll des Lobes. Die Menschen hätten schon lange von runder Architektur geträumt.
"Wer sich im Wald, in der Natur verirrt, muss, um wieder hinauszufinden, einfach geradeaus gehen", gibt Michael Pilz in der WELT einen Gedanken des französischen Philosophen René Descartes wieder.
Denn: "Wir fliehen vor dem Virus in die Wälder, freuen uns über die frische Luft, den blauen Himmel und das klare Wasser", schreibt Pilz, wobei man als Leser gerade einen zufriedenen Seufzer ausstoßen will, bis man weiter liest.
Wir Menschen würden, so Pilz, die Natur nur "verklären" und gleichzeitig weiter vernichten: Moore würden trockengelegt, Wälder gerodet. "Die Romantiker lieben, weil sie den Menschen kennen, die Natur, verbünden sich mit ihr und feiern sie dafür, dass sie das letzte Wort über die Menschheit sprechen wird", schreibt Pilz.
"Sie freuen sich über die Wölfe in den Wäldern von Tschernobyl, wie sie sich in der Coronakrise über Bilder von Delfinen im Canale Grande von Venedig freuen, weil sie auch gefälschten Bildern trauen."

Putin deutet den Hitler-Stalin-Pakt um

Von gefälschten Bildern zu gefälschten Geschichtsbildern. Auch wenn Joachim von Puttkamer, Historiker und Experte für osteuropäische Geschichte, das Wort "Fälschung" nicht in den Mund nimmt. Deutsche Osteuropahistoriker hätten von der russischen Botschaft eine ungewöhnliche E-Mail erhalten, berichtet von Puttkamer in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.
Der Inhalt: Ein Text von Wladimir Putin, in dem er seine Sicht auf den Zweiten Weltkrieg schildert. Von Puttkamer wundert sich über den seltsamen Versuch der Einflussnahme auf internationale Wissenschaftler. In der Fachwelt sei man sich einig, dass das nationalsozialistische Deutschland den Krieg "zielstrebig" vorbereitet und besonders im Osten Europas "als Vernichtungskrieg" geführt habe.
"Wenn Putin nun Verständnis dafür zeigt, dass ein national gedemütigtes Deutschland nach alter Stärke strebte", analysiert von Puttkamer, "dann knüpft er an eine alte Debatte an, die den Wesenskern des Nationalsozialismus verkennt, sich aus seiner Feder aber wie eine versteckte Warnung liest".
Putin deute nun den Hitler-Stalin-Pakt um. Den habe die Sowjetunion aus einem "Akt der Notwehr" geschlossen, weil Polen sich keiner gemeinsamen Front gegen das Nazi-Deutschland habe anschließen wollen. Putins Text könne man als Beitrag zu einer wissenschaftlichen Diskussion "kaum ernst nehmen". Es handle sich um "Halbwahrheiten" oder gar "groteske" Rechtfertigungsversuche, hinter denen sich der Wunsch verberge, wieder die respektierte Großmacht aus Sowjetzeiten zu sein.
"Das ist seit längerem bekannt. Neu und beunruhigend ist, wie trotzig und weltfremd Putin und die Seinen darüber geworden sind", schreibt von Puttkamer über den Text Putins und die Post von der russischen Botschaft.

Traum von fliegenden Kugelstädten

Post aus Deutschland bekam der brasilianische Architekt Oscar Niemeyer. Ein Leipziger Hersteller von Straßenbahnen und Lastkränen bat ihn um einen Entwurf zu einem Restaurant, bei dem der Architekt an "die Grenzen des Machbaren" gehen sollte. Niemeyer ist mittlerweile gestorben. Aber sein Werk, eine Restaurantkugel, die an der Seite des Gebäudes zu schweben scheint, wird an diesem Freitag in Leipzig eingeweiht.
Peter Richter bezeichnet die Kugel in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG als "besonders phänomenal". Menschen hätten schon lange von runder Architektur geträumt, zum Beispiel von "fliegenden Kugelstädten", die aber nie Realität geworden seien.
"Auch die Komplettüberkuppelung von Midtown-Manhattan mit einer aufgrund ihrer Höhe letztlich unsichtbaren geodätischen Kuppel, die Regen, Kälte und im Zweifel auch atomare Strahlen abhalten sollte, blieb eine Planerfantasie, die zuletzt von den Machern der Zeichentrickserie 'The Simpsons' ins Dystopische verkehrt wurde", schreibt Peter Richter und erläutert das so:
"Dort hält die Kuppel alles, was giftig ist, in der Stadt und schirmt so die ausgekuppelte Umwelt ab."
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