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Bahnstreik
"GDL kämpft mit voller Härte ums Überleben"

Die Bundesregierung hat mit ihrer Gesetzgebung "massiv Öl ins Feuer gegossen", sagte Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen, im Deutschlandfunk. Dafür machte er unter anderem das geplante Tarifeinheitsgesetz verantwortlich. Die Härte des Arbeitskampfes sei damit zu erklären, dass die GDL um ihre Existenz kämpfe.

Anton Hofreiter im Gespräch mit Dirk Müller | 11.05.2015
    Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag
    Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag, kritisiert im Interview das Tarifeinheitsgesetz. (imago/IPON)
    Hofreiter warf der Bundesregierung vor, die aktuelle Auseinandersetzung verbal und durch das geplante Tarifeinheitsgesetz verschärft zu haben. In der Folge kämpfe die GDL "mit voller Härte ums Überleben", um stärkste Kraft innerhalb eines Teilbetriebs der Deutschen Bahn zu werden.
    Als Gesetzgeber und Eigentümer sei die Bundesregierung auch an dem Konflikt beteiligt. Das Gesetz gehöre zurückgezogen, forderte Hofreiter. Auch der Gewerkschaft GDL sprach er eine Mitschuld zu. Hofreiter sieht zudem ein "vergiftetes Gesprächsklima" innerhalb des Konzerns, in dem die beteiligten Akteure Bahnvorstand, Bundesregierung, EVG und GDL agieren. Dabei seien auf allen Seiten schwere Fehler gemacht worden.

    Das Interview in voller Länge:
    Anton Hofreiter: Guten Morgen.
    Müller: Herr Hofreiter, die Bahnstreiks, das ist unser Thema. Aber lassen Sie uns kurz über Bremen reden. Eine Wahlschlappe für die Grünen, minus sieben Prozent. Was haben Sie falsch gemacht?
    Hofreiter: Es wäre natürlich schön gewesen, wenn es uns gelungen wäre, die Wähler zu binden, die letztendlich bei der Ausnahmewahl vom letzten Mal alle uns gewählt haben, bei der Fukushima-Wahl. Da muss man drüber diskutieren, woran das lag. Aber auf der anderen Seite muss man sagen, es ist das erste Mal, dass es uns gelingt, in eine dritte Legislaturperiode zu kommen bei einer rot-grünen Landesregierung. Deshalb: Das Ergebnis ist nicht schön, aber es hat auch eine Erfolgskomponente.
    Müller: Und darüber reden Sie vor allem auch heute am Montag, wenn Sie alle zusammenkommen, oder suchen Sie auch Fehler?
    Hofreiter: Ja natürlich sucht man auch Fehler. Deswegen sagte ich ja, man muss überlegen, woran es gelegen hat, dass es nicht gelungen ist, die Wähler, die uns nach der Fukushima-Wahl gewählt haben, dauerhaft an uns zu binden. Aber wie gesagt, man muss auch berücksichtigen, ...
    Müller: Aber Sie haben noch keine Idee, was das sein könnte?
    Hofreiter: Da gibt es viele spezifische Ideen. Man darf ja auch nicht vergessen, dass in Bremen sehr spezielle Bedingungen herrschen. Das ist ein Haushaltsnotlageland, da muss ein sehr, sehr scharfer Sanierungskurs gefahren werden. Auf der anderen Seite haben wir den großen Vorteil, dass Karoline Linnert, unsere Finanzsenatorin, die zweitbeliebteste Politikerin in Bremen ist. Deswegen muss man sich das einfach mal genauer anschauen.
    Müller: Haushaltsnotlage - vielleicht als letzte Frage noch dazu - ist hausgemacht. Kann man das dann immer darauf schieben?
    Hofreiter: Na ja, es ist eben nicht hausgemacht von der grünen Regierungsbeteiligung. Karoline Linnert ist, was den Sanierungskurs angeht, eine der besten Finanzministerinnen, die wir in ganz Deutschland haben.
    Hofreiter: Tarifeinheitsgesetz verschärft Konflikte
    Müller: Gut, das dazu. Vielen Dank, Anton Hofreiter. - Gehen wir auf das Thema zurück, wozu wir ursprünglich verabredet sind, die Bahn, zu Claus Weselsky, zur GDL, zur Politik. Ein Vakuum nach dem Streik, nach dem siebten Streik, vielleicht kommt bald der achte. Irgendwie rollt und fährt jetzt alles weiter. Ein paar Tage wird es im Güterverkehr noch dauern. Das haben wir lesen können. Fahren Sie inzwischen mehr Auto?
    Hofreiter: In Streikzeit bin ich insbesondere mehr Fahrrad gefahren, aber ich bin auch einmal Auto gefahren. Aber man muss natürlich eins klar sagen: In der Anmoderation kam ja vor, und die Politik macht nichts. Es wäre ja schon schön, wenn die Bundesregierung wenigstens nichts machen würde, nämlich das wäre ein Fortschritt zur Vergangenheit. In der Vergangenheit hat die Bundesregierung massiv Öl ins Feuer gegossen in dieser Auseinandersetzung, und zwar sowohl als Eigentümer der DB AG - man darf nicht vergessen, die DB AG ist ein hundertprozentiges Bundesunternehmen - als auch im Bereich der Gesetzgebung hat die Große Koalition Öl ins Feuer gegossen mit dem Tarifeinheitsgesetz. Jetzt kämpfen kleinere Gewerkschaften ums Überleben, und wenn es ums Überleben geht und nicht nur um einen Tarifkonflikt, werden die Auseinandersetzungen natürlich viel härter.
    Müller: Jetzt sagt die Bundesregierung, das Tarifeinheitsgesetz, wo es darum geht, dass sich nur die stärksten Gewerkschaften dann mit dem Tarifvertrag durchsetzen können, ist eine Reaktion darauf, dass ansonsten alles zerfleddert und beispielsweise dieser Bahnstreik ohne Ende immer weitergeht.
    Hofreiter: Ja, das sagt die Bundesregierung, es ist eine Reaktion darauf. Aber man hat ihr prophezeit, dass so, wie sie das Gesetz geschrieben hat, es die Tarifkonflikte noch verschärfen würde, und genau das kann man beobachten. Das erzählen einem alle Gewerkschaftsvertreter, das erzählen einem die Vertreter auch von Verdi, weil es jetzt nun darum geht, dass die Gewerkschaften, wenn es mehr gibt, darum kämpfen müssen, zur größten Gewerkschaft im Betrieb zu werden. Und aus Sicht des Tarifeinheitsgesetzes besteht die DB AG aus 300 Betrieben und da gibt es sicher den einen oder anderen Betrieb, wenn die GDL sich anstrengt, dass sie in diesem Teilbetrieb zur stärksten Gewerkschaft wird. Deswegen wird ja auch so verbissen zum Beispiel um die Rangierlokführer gekämpft.
    Müller: Deshalb ist Claus Weselsky so hart?
    Hofreiter: Unter anderem deshalb ist Claus Weselsky so hart. Da kommen noch wie gesagt alte Schwierigkeiten dazu. Bei der DB AG ist ganz vieles verfahren: Da gibt es zwei Gewerkschaften, da gibt es einen Bahnvorstand, da gibt es die Bundesregierung als Besitzer oder als Vertreter des Besitzers, nämlich eigentlich gehört es der deutschen Bevölkerung. Da ist ganz, ganz vieles verfahren, was in der Geschichte letztendlich begründet liegt. Aber eine der Hauptursachen ist: Die GDL kämpft ums Überleben, nämlich sie muss in dem einen oder anderen Betrieb, um überleben zu wollen, zur stärksten Gewerkschaft werden, und deshalb kämpft sie mit voller Härte.
    Müller: Sie muss die Konkurrenzgewerkschaft, vor allem diese Eisenbahnergewerkschaft EVG aus dem Rennen werfen, um stärkste Kraft zu werden, sagen Sie?
    Hofreiter: Um stärkste Kraft zu werden in einem Teilbetrieb. In der gesamten DB AG schafft sie das sowieso nicht, das ist klar. Aber da aus Sicht des Tarifeinheitsgesetzes die DB AG aus 300 Teilbetrieben besteht, hat sie natürlich schon eine Chance, in einem der Teilbetriebe stärkste Gewerkschaft zu werden, und das ist der Hebel, mit dem die Bundesregierung ganz stark konfliktverschärfend wirkt in dieser Auseinandersetzung.
    "Vergiftetes Gesprächsklima"
    Müller: Nun gibt es ja auch Gründe oder gute Gründe dafür, sagen jedenfalls viele, für dieses Tarifeinheitsgesetz. Fänden Sie es denn, jetzt umgekehrt gefragt, in Ordnung, dass es mehrere Tarifverträge in einem Unternehmen gibt, wo der Lokführer A mehr oder weniger verdient als der Lokführer B?
    Hofreiter: Nein, das ist problematisch. Aber man kann sich ja in einem Unternehmen darauf einigen, dass zum Beispiel die GDL für die Lokführer verantwortlich ist und die EVG für einen Großteil der übrigen Eisenbahner. Aber diese Einigung kann natürlich nur zustande kommen, wenn die kleinere Gewerkschaft nicht befürchten muss, komplett tarifunfähig zu werden durch dieses Gesetz. Und man darf eins auch noch nicht vergessen: Nach allem was uns Juristen sagen - man muss da immer vorsichtig sein -, deutet vieles darauf hin, dass das Tarifeinheitsgesetz schlichtweg verfassungswidrig ist.
    Müller: Das könnte sein. Aber mit Ursache und Wirkung sind Sie sich sicher? Das heißt, die ganze Geschichte, die ganze Eskalation dieses Kunden, geht genau auf dieses Gesetz zurück?
    Hofreiter: Es geht nicht allein auf dieses Gesetz zurück. Das geht auch auf die Geschichte der Auseinandersetzung in der DB AG zurück. Aber das ist extrem kompliziert. Das geht zurück noch auf die Zeiten der Bahnprivatisierung oder der versuchten Bahnprivatisierung unter Mehdorn, wo die eine Gewerkschaft eher für die Bahnprivatisierung war, die andere Gewerkschaft hart dagegen. Da gibt es wie gesagt ganz viele Geschichten, wo die Gesprächskultur innerhalb der DB AG ganz stark kaputt gegangen ist, wo alle drei Beteiligten oder alle vier Beteiligten, nämlich Bundesregierung, Bahnvorstand, EVG und GDL, zum Teil schwere Fehler begangen haben. Deshalb herrscht dort im Kern ein vergiftetes Gesprächsklima, und dann kommt massiv verschärfend noch dieses Gesetz dazu.
    Müller: Was soll die Politik denn machen? Soll die Politik sich zurückziehen und sagen, Tarifverhandlungen, das ist - so gehört sich das ja offenbar - nicht unsere Sache, Sache der Tarifparteien? Gilt das immer noch?
    Hofreiter: Man darf eins nicht vergessen. Die Bundesregierung ist doppelt längst beteiligt an dem Konflikt, oder die Große Koalition, nämlich als Gesetzgeber und als Eigentümer. Das heißt, die DB AG ist kein gewöhnliches Unternehmen in dem Zusammenhang. Das heißt, das Gesetz gehört zurückgezogen, und zwar so schnell wie möglich, um die Gewerkschaften nicht in den Kampf auf Sein oder Nichtsein sozusagen reinzutreiben. Und des Weiteren sollte die Bundesregierung als Vertreter des Eigentümers mäßigend auf den Konflikt einwirken, das heißt versuchen, eine Gesprächskultur herzustellen, dass überhaupt eine Konfliktlösung wieder vorstellbar ist.
    Müller: Hat Alexander Dobrindt als Verkehrsminister das nicht versucht?
    Hofreiter: Er hat als Verkehrsminister mit seinen Aussagen nach allem, was ich erkennen konnte, Öl ins Feuer gegossen.
    Müller: Aber er hat doch gesagt, beide Parteien sollen sich einigen und sich nicht unnachgiebig zeigen.
    Hofreiter: Ja, das ist richtig. Aber wenn man dann die Schuld extrem einseitig verteilt und sich ansonsten die Hände in Unschuld wäscht, das ist als Alleinvertreter des Eigentümers eine etwas zurückhaltende Leistung.
    "Weselsky ist nicht der allein Schuldige"
    Müller: Wir sind jetzt nicht im Mathematikunterricht, Anton Hofreiter, aber Sie können gut mit Zahlen umgehen. Wenn wir Schuld und Schuldigkeit und Unschuld verteilen sollen, wie sieht das aus, fifty fifty zwischen beiden?
    Hofreiter: Da es so viele Beteiligte sind, würde ich mal sagen, so 40 Prozent Bundesregierung, 30 Prozent Bahnvorstand und dann jeweils 15 Prozent bei jeder Gewerkschaft.
    Müller: Oh! Claus Weselsky kommt mit 15 Prozent Schuldigkeit davon bei Ihnen?
    Hofreiter: Da es wie gesagt vier Beteiligte sind, ist das gar nicht so wenig. Aber er ist nicht der allein Schuldige.
    Müller: Warum sehen das fast alle anderen anders?
    Hofreiter: Ich glaube erstens, weil der Konflikt extrem kompliziert ist, und zweitens, weil Claus Weselsky ein nicht so ganz geschicktes öffentliches Auftreten hat, um es mal vorsichtig auszudrücken.
    Müller: Haben Sie Kontakt mit ihm mal gehabt? Haben Sie mit ihm geredet und gesagt, können Sie nicht ein bisschen flexibler sein, so dass auch die normalen Kunden, viele Millionen Deutsche wieder eine Perspektive haben, zur Arbeit zu kommen, zu ihren Verwandten?
    Hofreiter: Ich hatte viel Kontakt zu den ganzen Vertretern in meiner Zeit als Verkehrsausschuss-Vorsitzender und da gab es ja auch schon Streikauseinandersetzungen und so weiter, und da ist es damals ja gelungen, das Ganze etwas in den Griff zu kriegen, wobei das überhaupt nicht mein Verdienst war. Da muss man ehrlich sein. Aber jetzt als Fraktionsvorsitzender halte ich mich da etwas zurück. Das machen unsere Verkehrsfachleute.
    Müller: Aber der 15-Prozent-Mann Claus Weselsky, wie Sie es ja jetzt skizziert haben, ist trotzdem ein ganz harter Brocken?
    Hofreiter: Der weiß durchaus was er will und wie gesagt, man darf eins nicht vergessen: Die Alternative für die GDL ist, existieren weiter als Gewerkschaft oder nicht existieren als Gewerkschaft, und da fangen die Leute an, härter zu werden.
    Müller: Dann haben wir noch den Bahnchef, Rüdiger Grube. Der hat gesagt, Platzeck soll das machen, Matthias Platzeck soll schlichten, hat das über die „Bild"-Zeitung getan, vermutlich nicht mit Weselsky abgesprochen. Ist das noch der richtige Mann?
    Hofreiter: Da kann man sehr drüber streiten. Aber jetzt geht es nicht darum, einzelne Personen auszutauschen. Aber das war natürlich ein unkluges Vorgehen auch, nämlich wenn ich jemand als Schlichter einsetzen will, dann kann ich das natürlich nicht über die Zeitung bekanntgeben. Dann muss ich das mit allen Konfliktparteien erst mal absprechen, dann muss man sich darauf einigen und dann gibt man es öffentlich bekannt. Sonst düpiert man ja die Leute.
    Müller: Anton Hofreiter bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk, Grünen-Fraktionschef im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch und Ihnen noch einen schönen Tag.
    Hofreiter: Ihnen auch einen schönen Tag.
    Müller: Danke sehr.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.