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Bakterien als Schlankheitskur

Mikrobiologie. - Als letzten Ausweg wählen viele krankhaft Übergewichtige eine Magenoperation, oftmals mit Erfolg. US-Forscher haben jetzt herausgefunden, dass die Gewichtsabnahme damit zusammenhängt, dass sich die Darmflora nach der OP deutlich verändert. Möglicherweise können Therapien allein mit den passenden Bakterien ganz ähnliche Effekte erzielen wie der chirurgische Eingriff.

Von Lucian Haas | 28.03.2013
    Bei Menschen mit extremem Übergewicht, die es nicht schaffen auf andere Weise abzunehmen, empfehlen Ärzte immer öfter einen sogenannten Magen-Bypass. Bei der am häufigsten durchgeführten Operations-Variante wird die Speiseröhre am Magen vorbei direkt mit dem Dünndarm verbunden, während aus dem verkleinerten Restmagen an anderer Stelle nur noch die reinen Verdauungssäfte in den Darm geleitet werden. Patienten mit einem solchen Eingriff verlieren nicht nur schnell und anhaltend einen Großteil ihres Übergewichts. Der ganze Stoffwechsel in den Verdauungsorganen stellt sich um. Lee Kaplan, Leiter des Instituts für Ernährung und Übergewicht am Massachusetts General Hospital:

    "Seit einigen Jahren ist bekannt, dass sich nach einem Magen-Bypass die Darmflora verändert. Das ist nicht überraschend. Sie verändert sich ja auch bei einer Ernährungsumstellung. Aber das führt uns zu der Frage: Haben diese Veränderungen eine physiologische Bedeutung? Trägt die Darmflora dazu bei, dass der Magen-Bypass wirkt?"

    Um das zu klären, startete Lee Kaplan zusammen mit Kollegen einen Versuch mit Mäusen. Sie teilten die Tiere in drei Gruppen ein. Bei der ersten Gruppe legten sie einen Magen-Bypass. Bei den anderen beiden führten sie Schein-Operationen durch, bei denen der Darm einfach durchtrennt und wieder zusammengenäht wurde. Die Mäuse in der dritten Gruppe bekamen allerdings nach der OP eine strenge Diät, um bei ihnen den gleichen Gewichtsverlust zu erreichen wie bei der Gruppe mit dem Magen-Bypass, die normal ernährt wurde. Nach einigen Wochen nahmen die Forscher aus allen drei Gruppen Proben der Darmflora und übertrugen sie in zuvor völlig keimfrei gehaltene Mäuse. Nur bei jenen Tieren, denen die Darmbakterien aus der Bypass-Mäusegruppe transplantiert wurden, kam es danach zu einem deutlichen Gewichtsverlust.

    "Wir fanden heraus, dass die Darmflora nach einem Bypass bei einem anderen Tier, das keine Magen-OP hatte, dazu führt, dass es abnimmt. Das legt nahe, dass diese spezielle Darmflora für den Gewichtsverlust verantwortlich ist. Wir waren überrascht, wie stark dieser Effekt war, als wir die Mikroben in die keimfreien Mäuse übertrugen."

    Die Mikrobenflora veränderte sich nicht nur im Dünndarm, sondern im gesamten Dickdarm. Lee Kaplan beobachtete bei den Mäusen, dass nach dem Bypass bestimmte Mikroben aus den Gruppen Escherichia coli und Verrucomicrobium deutlich häufiger vorkamen. Mit diesen will er nun weitere Versuche machen.

    "Wir schauen ob wir eine oder vielleicht drei oder vier Gruppen dieser Bakterien in Reinkultur züchten können und ob wir, wenn wir sie in ein anderes Tier übertragen, dann den gleichen Effekt erzielen können. Das wäre eine Möglichkeit einer Therapie."

    Ein weiteres Verfahren wäre die Fäkaltransplantation. Hierbei würde eine Stuhlprobe von einem Bypass-Patienten mit der kompletten Darmflora in den Empfängerdarm übertragen. Eine dritte Möglichkeit sieht Lee Kaplan darin, nur bestimmte Stoffwechselprodukte der Bakterien einzusetzen. Die Mikroben erzeugen unter anderem spezifische kurzkettige Fettsäuren. Von denen ist bekannt, dass sie im Körper wie Botenstoffe wirken können und andere Regelkreise, etwa den Insulinhaushalt, beeinflussen.

    "Diese Studie eröffnet einen ganzen Strauß neuer Möglichkeiten. Wir könnten eventuell alle Bakterien oder eine Gruppe von Bakterien oder nur die Produkte dieser Bakterien nehmen. Wir könnten sie dann einem anderen Tier oder schließlich auch Patienten verabreichen, und so die Effekte eines Magen-Bypasses ganz ohne chirurgischen Eingriff erreichen."

    Damit bieten sich nicht nur neue Perspektiven für die Adipositas-Therapie. Erfahrungen mit dem Magen-Bypass bei Menschen zeigen, dass die dadurch ausgelösten Umstellungen im Stoffwechsel ebenso helfen können, einen Diabetes zu lindern. Vielleicht werden eines Tages spezielle Mikrobenkuren bei manchen Patienten die Insulinspritze ersetzen können.