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Bakterien
Welche Faktoren die Darmflora beeinflussen

Dass die menschliche Darmflora die Gesundheit beeinflusst, wissen Forscher schon länger. Aber zwei große Kohortenstudien, für die haufenweise Stuhlproben untersucht wurden, verraten jetzt erstmals, welche Faktoren die natürliche Darmflora aus dem Gleichgewicht bringen können.

Von Christine Westerhaus | 29.04.2016
    Zu sehen ist die Computeranimation des menschlichen Verdauungssystems
    Ein Buch mit sieben Siegeln: Wie genau das Ökosystem unseres Verdauungstrakts funktioniert, darüber war bisher wenig bekannt (imago/Science Photo Library)
    Eine einseitige Ernährung, häufige Antibiotikatherapien oder bestimmte Krankheiten - all das kann dazu führen, dass die Vielfalt der Mikrobenspezies im Darm abnimmt. Darauf haben Forscher in zahlreichen Untersuchungen Hinweise gefunden. Doch ob sich diese Effekte auch auf Bevölkerungsebene nachweisen lassen, war bisher unklar. Um ein genaueres Bild zu erhalten, haben sich Jeroen Raes von der belgischen Universität Leuven und seine Kollegen die Darmflora von fast 4000 Menschen aus den Niederlanden und Belgien angesehen:
    "In dieser Studie haben wir zum ersten Mal die normale Darmmikrobiota der durchschnittlichen Bevölkerung untersucht. Ich denke, dass das sehr wichtig ist, wenn wir herausfinden wollen, wie wir bestimmte Krankheiten über die Darmbakterien diagnostizieren und behandeln können. Dazu müssen wir wissen, welche Faktoren die Mikrobengemeinschaften in der normalen Bevölkerung beeinflussen."
    Kaffee, Tee und Rotwein scheinen belebend zu wirken
    Die Forscher korrelierten die Zusammensetzung der Bakterien in den Stuhlproben der Teilnehmer unter anderem mit deren Ernährungsgewohnheiten, ihrem Gewicht, Medikamentengebrauch und Konsum von Genussmitteln. Bei gesunden Menschen setzt sich die Mikrobiota aus etwa 200 Bakteriengattungen zusammen. Liegt eine Störung vor, kann die Vielfalt rapide abnehmen: Mitunter sind dann nur noch Bakterien aus etwa 100 Gattungen vorhanden. Wie erwartet wirkte sich eine fett- oder zuckerreiche Diät negativ auf die Vielfalt im Darm aus. Kaffee, Tee oder Rotweinkonsum hingegen scheint das Miteinander der Bakterien eher zu beleben. Wobei Jeroen Raes allerdings davon ausgeht, dass dieser Zusammenhang eher zufällig ist:
    "Es ist lustig, dass wir diese Korrelation beobachten. Aber ganz ehrlich habe ich keine Erklärung, warum das so ist! Es könnte sein, dass es bestimmte Stoffe im Tee oder Rotwein gibt, die sich positiv auf die Bakteriengemeinschaft auswirken. Vielleicht ist die Erklärung aber auch langweiliger, denn es könnte genauso gut sein, dass Menschen die viel Tee oder Kaffee trinken, einfach mehr Stress haben und das dann ihren Stoffwechsel und damit auch die Bakterien beeinflusst."
    Nicht nur Antibiotika haben Einfluss
    Für aussagekräftiger hält der Forscher die Beobachtung, dass Medikamente die Zusammensetzung der Darmflora beeinflussen:
    "Und zwar nicht nur Arzneimittel, bei denen wir das erwarten würden, wie beispielsweise Antibiotika. Auch Anti-Histamine (also Allergiemittel), die Anti-Baby Pille oder Hormone, die in den Wechseljahren genommen werden, ändern die Mikrobengemeinschaft im Darm. Das ist wirklich faszinierend und stützt den Verdacht vieler Forscher, dass es wichtige Wechselwirkungen zwischen Darmbakterien und Medikamenten gibt."
    Wie ein Mensch auf bestimmte Medikamente reagiert und wie gut sie bei ihm anschlagen, könnte also von Darmbakterien mit beeinflusst werden, meint Raes. Davon geht auch Alexandra Zhernakova aus, Autorin einer zweiten Studie in Science, in der die Wissenschaftler die Darmbakterien von gut 1100 Menschen analysiert haben. Die Forscherin von der Universität von Groningen in den Niederlanden beobachtete ebenfalls, dass sich die Ernährung und bestimmte Medikamente auf die Zusammensetzung der Bakteriengemeinschaft im Darm auswirken. Zudem wies sie gemeinsam mit ihrem Team nach, dass im Darm von Menschen, deren Mikrobiota sich aus weniger Bakterienspezies zusammensetzte als üblich, bestimmte Proteine vermehrt gebildet werden. Diese Eiweiße könnten als Biomarker eingesetzt werden, meint die Forscherin. Kommen sie im Körper eines Menschen in hohen Konzentrationen vor, liefert das einen Hinweis auf Störungen des Miteinanders der Darmbakterien. Zhernakova:
    "Das ist eine aufregende Entdeckung! Allerdings müssen wir erst genauer herausfinden, wie Darmbakterien die Bildung dieser Biomarker beeinflussen, um sie nutzen zu können. Unsere Studie liefert sehr viele interessante Hinweise auf die Wechselwirkungen der Bakterien und ihrer Stoffwechselprodukte mit der Ernährung, Medikamenten und bestimmten Krankheiten. Ich bin überzeugt, dass wir dieses Wissen in Zukunft nutzen können, um neue Therapien zu entwickeln."
    Keine vorschnellen Schlüsse ziehen
    Alexandra Zhernakova und auch Jeroen Raes möchten ihre Kohortenstudie in 1-2 Jahren wiederholen, um zu sehen, ob die Bakteriengemeinschaft im Darm der Probanden über diesen Zeitraum stabil bleibt. Die Forscher sollten sich aber auch die Ergebnisse vergangener Studien erneut ansehen, meint Jeroen Raes. Denn die Schlussfolgerung, dass manche Bakterienstämme mit bestimmten Krankheiten assoziiert sind, könnte etwas verfrüht gewesen sein:
    "Wir haben jetzt gesehen, dass sich auch viele andere Faktoren auf die Zusammensetzung der Bakteriengemeinschaft auswirken. Unsere Ergebnisse sind also so etwas wie eine Warnung, dass wir keine vorschnellen Schlüsse ziehen sollten."