Donnerstag, 25. April 2024

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Baku
Stadt des Windes

Die an der Küste des Kaspischen Meeres gelegene aserbaidschanische Hauptstadt Baku blickt auf eine Jahrtausende alte Geschichte zurück. Baku, das heißt, Stadt des Windes. Und den Namen trägt sie nicht zu unrecht, wie jeder Besucher schnell merkt.

Von Rilo Chmielorz | 22.02.2015
    Die Altstadt der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku mit Minaretten liegt vor dichtbebauten neuen Hochhäusern.
    Das Zentrum von Baku: Im Vordergrund die Altstadt der Kaukasusmetropole. (Deutschlandradio / Sven Töniges)
    Früher Morgen in Baku. Heftiger Wind fegt über den großflächigen, modernen Fontain-Place. Hüte fliegen. Die Stadt wird langsam wach. Vor Kenntucky Fried Chicken werden die ersten Tische und Stühle rausgestellt. Moderner Okzident.
    Nur wenige Meter weiter stehe ich vor dem mittelalterlichen Doppeltor, passiere ein Schrankenhäuschen, folge der engen Straße und schon nach wenigen Metern habe ich das Gefühl im Orient zu sein: sandsteinfarbene kubische einstöckige Gebäude, eine kleine Moschee. Das Doppeltor ist Teil einer gigantischen Stadtmauer, die den historischen Stadtkern Bakus umschließt und beschützt - wie eine kostbare Nuss.
    Der junge Ali, Protagonist aus Kurban Saids Roman “Ali und Nino”, nimmt zwischen 1918 und 1920 diese Grenze zwischen Okzident und Orient sehr genau wahr: "Die Schale, das war die Außenstadt, außerhalb der alten Mauer. Die Straßen waren dort breit, die Häuser hoch, die Menschen geldgierig und lärmend. Diese Außenstadt entstand aus dem Öl, das aus unserer Wüste kommt. Dort waren Theater, Schulen, Krankenhäuser, Bibliotheken, Polizisten und schöne Frauen mit nackten Schultern. In der Außenstadt begann die geografische Grenze Europas."
    Ein Teppichhändler hängt seine Prunkstücke an die Hauswand vor seinem Laden. Herrliche Rottöne flirren im dunstigen Morgenlicht. Für Kundschaft ist es noch zu früh. Heftige Böen verwandeln die engen Gassen in Windkanäle. "Baku", Stadt der Winde! Als vor ein paar Tagen das österreichische Flugzeug zur Landung über den Öltürmen von Baku ansetzte, waren sie plötzlich da gewesen: die Winde von Baku. Das Flugzeug wurde hin- und hergeschaukelt, als sei es nur ein Papierflieger.
    Schmale Sträßchen führen zu immer kleineren Gassen, die manchmal abrupt enden. Ich lasse mich treiben durch dieses orientalische Labyrinth. Die Gemäuer verströmen alte Bausubstanz. Ganz nach arabischer Sitte sind die wenigen Fenster der gelb-sandigen Fassaden vergittert. Auf den alten Holztüren erkennt man unter einer Jahrhunderte alten Staubschicht noch die feinen geometrischen Reliefarbeiten. Das Holz ist längst morsch geworden.
    In den Gassen ist es angenehm kühl. Kinder spielen. Eine Ratte balanciert auf dem Rand einer Mülltonne auf der Suche nach Frühstück. Ich betrete ein Haus, das aus dem 19. Jahrhundert stammen mag. Die Tür steht offen - im Treppenhaus blättert der Putz von den Wänden. Über den verbeulten Blech-Briefkästen quillt ein Knäuel von Elektrokabeln aus der Wand.
    Stadt ist UNESCO-Kulturerbe
    Andere Häuser haben längst neue Kleider bekommen: frisch verputzte und heraus geputzte Fassaden, hell getüncht mit wunderschönen Holzbalkons, die über den Gassen schweben und fast die gegenüberliegende Hauswand berühren. Andere Fassaden verschwinden völlig hinter riesigen Plastik-Vorhängen - es wird gebaut und viel restauriert im UNESCO-Kulturerbe. Immer wieder riesige Baukräne. Und ich frage mich, wie diese Giganten in der Enge der Gassen aufgebaut werden konnten.
    Ein kleiner Platz - nur ein paar Quadratmeter Grün, in der Mitte ein kleiner Apfelsinenbaum, der gerade eine intensive Bewässerung mit dem Gartenschlauch erfährt. Baku, das ist Steppe. Alles was hier wächst, muss dem Boden abgerungen werden.
    "Es war ein großer, staubiger Garten mit spärlichen traurig dreinblickenden Bäumen und asphaltübergossenen Wegen. Einige verstaubte Palmen gewährten drei Flamingos Obdach. "
    Mein planloses Flanieren bringt mich schließlich zum Maiden Tower, dem Mädchen-Turm, vorbei an kleinen Moscheen mit spitzen Minaretten, die von Weitem wie überdimensionierte Bleistifte aus dem Häusergewirr wachsen. Die älteste Moschee stammt aus dem 11. andere aus dem 15. Jahrhundert wie auch der imposante Schirwanschah-Palast, der mit seinen 50 Zimmern und Sälen auf einer Anhöhe gelegen die alte Stadt überragt.
    Ich schlendere weiter zu den Bädern, den Hamams, deren Dachkuppeln mit den typischen Zipfeln wie überdimensionierte Brüste erscheinen und mich für einen kurzen Moment die Sinnlichkeit des orientalischen Bades erahnen lassen. Überall hängen jetzt die schönsten Teppiche zum Verkauf und immer wieder wird zum Tee eingeladen.
    Der elegante Boulevard ist ganz in der Nähe und der Straßenlärm scheint sich am Schrankenhäuschen vorbei zu mogeln und schwappt in die Ruhe der Altstadt. Diese Prachtstraße wird flankiert von Arkaden und imposanten Bauten. Hier ließen die Ölbarone, allen voran auch die Familien Nobel und Rothschild, im 19. Jahrhundert ihren Reichtum durch europäische Architekten manifestieren: wunderschöne, mehrstöckige Häuser, mal gotisch, mal barock, immer wieder auch versetzt mit arabischen Arabesken. In den Arkaden gibt es heutzutage ebenso so wohlfeile Läden wie vor zweihundert Jahren, als hier schon feinste Gänseleberpastete verkauft wurde. Die hübschen jungen Aserbaidschanerinnen mit ihren pechschwarzen, langen Haaren tragen hier ihre Gucci-, Dior- und Prada-Einkaufstüten spazieren. Auf der anderen Seite des breiten Boulevards zieht sich die Strandpromenade entlang des Kaspischen Meeres.
    Baku, Hauptstadt der Kaukasus-Republik Aserbaidschan
    Baku, Hauptstadt der Kaukasus-Republik Aserbaidschan (picture alliance / dpa Foto: Matthias Tödt)
    Wind bedeutet Leben
    Gleich neben dem Maiden Tower, fast am Boulevard, befindet sich die Q-Galerie: aserbaidschanische Moderne! Malerische Kraft steckt in den Bildern, ein Potpourri aus figurativ, naturalistischen Landschaften und Porträts bis hin zu wilden Abstraktionen. Ich treffe Narmina, die Kuratorin. Beim Tee kommen wir ins Plaudern und Narmina verrät mir, dass sie eine große Freundin des Windes ist.
    "Wind! Das bedeutet Leben für mich! Ich kann mir Baku gar nicht vorstellen ohne den Wind. Ich mag den Sommer überhaupt nicht und überlebe ihn nur dank des Windes! Die meisten Leute in meinem Umfeld sind dann schlecht gelaunt an diesen windigen Tagen ohne Sonne und bekommen Kopfschmerzen. Ich bin glücklich mit diesem Wind! Die letzten Tage waren fantastisch für mich!"
    Auf der Straße lauert er wieder: der Wind. Trotzdem steige ich auf den Maiden Tower, wo sich angesichts der Sommerferien heute viele Kinder tummeln und sich für die schaurige Legende des Turmes interessieren.
    "An der östlichen Mauer der alten Stadt erhob sich der Mädchen-Turm. Mehmed Jussuf Khan, Herrscher von Baku, erbaute ihn zu Ehren seiner Tochter, die er ehelichen wollte. Die Ehe wurde nicht vollzogen. Die Tochter stürzte sich vom Turm, als der liebesgierige Vater die Treppe zu ihrem Gemach empor eilte."
    Das Treppenhaus ist ein enger Schlauch, der sich hinauf zum Plateau des Turmes windet. Von hier aus hat man einen wunderbaren Ausblick auf die alte Stadt und die neue Stadt: der orientalische Kern, die Öl-Villen, dann sachliche, aber stattliche Verwaltungsgebäude aus russischer Zeit und immer wieder sozialistische Mietskasernen. Baukräne führen ein statisches Ballet auf. Überall entstehen neue Wohnviertel, die sich ringsum an den umliegenden Hügeln hinaufziehen.
    Bushaltestellen sind nicht zu erkennen
    Zwischen den Minaretten der alten Stadt züngeln in weiter Ferne die drei völlig verglasten Flame-Towers hervor, ein 190 Meter hohes Wolkenkratzer-Ensemble in Form von überdimensionierten Flammen. Baku ist nicht nur die Stadt der Winde, sondern auch des Feuers.
    "Oh – I have one idea: we have one place – you know Azerbaidschan many people in the world call fire-land, fireland-country. But it must be at night. It is outside city, a little bit far – Yanar Dag. Let´s go too. And you are sitting on the fire underground – fire, fire, fire – and you are sitting and drinking tea."
    "Wir sollten einen Ausflug machen zum Yanar Dag, dem brennenden Berg – man sitzt dort und trinkt Tee und die Flammen schießen aus der Erde." Tatyana und Larissa laden mich ein mit ihnen am späten Nachmittag zum Yanar Dag, dem brennenden Berg, zu fahren.
    Der Bus knarzt den Hügel runter in die Stadt. Die Federung hört sich verdammt alt an. Jemand hatte mir gesagt, wo der Bus hält. Wirkliche Bushaltestellen kann ich nicht erkennen und frage mich, wie dieses unsichtbare System wohl funktionieren mag. Eine Busfahrt kostet 20 Manat-Cent, die man beim Aussteigen dem Busfahrer auf eine Art Holztablett legt.
    Nach einer Viertelstunde bin ich unten mitten in der Stadt und treffe Tatyana und Larissa. Auf dem Weg zum brennenden Berg fahren wir durch ein modernes Stadtviertel, Baku Port, das früher einmal die “Black City” genannt wurde. 1806 gab es hier bereits 40 Ölquellen.
    Wenige Kilometer weiter nördlich dann die ersten Ölfelder, wo die Pumpen 24 Stunden am Tag ihre statische Choreografie aufführen und in ihren riesigen Ölpfützen verharren. Trotz Klimaanlage weht ein Hauch von Benzin ins Auto rein.
    Natürliche Erdgasfeuer schon vor 2.000 Jahren
    Am Fuße des Yanar Dag, eher ein Hügel als ein Berg, schlagen, meterhohe Flammen aus der Erde. Sie bilden ein Band, das sich über fast zehn Meter an den Rand des Hügels schmiegt. Es ist so heiß, dass ich Angst habe, der Windschutz des Mikrofons würde sich auflösen. Die Gase des “ewigen Feuers” wurden angeblich durch einen Blitzschlag entfacht; kein Sturm, kein Regen hat sie je zum Erlöschen gebracht.
    Tatyana und Larissa haben schon Tee bestellt.
    "Kommen Sie, trinken Sie Tee mit uns. Heute sind viele Leute hier, aber wenn man im März hierher kommt, dann kann man ganz alleine sein, Tee trinken und sich den Rücken wärmen."
    Wir sitzen auf selbst gezimmerten Hockern. Auf der Plastiktischdecke mit verblichenem Blumenmuster steht schon das Tee-Gedeck: die Tässchen, die Teekanne, ein Teller mit Gebäck und Schälchen mit heller Kirschmarmelade. Zehn Meter vor uns lodert das Feuer.
    "Ja, das ist gesund für Sie."
    "And try this jam with white cherries."
    "Probieren Sie bitte!"
    "Two jars with peach and white cherry."
    "Sometimes they use two kinds of jam - strawberry and this - that is typical. This is pomegranate. Iit is good for you now to drink tea."
    "Sie müssen die Kirschmarmelade probieren!"
    Vor 2.000 Jahren war Aserbaidschan Zentrum einer alten Religion, die das Feuer als reinigendes Element verehrte. Schon damals gab es natürliche Erdgasfeuer.
    Zeit zur Meditation vor den Flammen: drei Frauen erheben ihre Stimmen zum Gesang.
    "It is really meditation. In the first meditation the voice." "Magarita is our guest. She comes from Kasachstan. It is - voice-meditation. It is energy-place - very much."
    "Margarita ist aus Kasachstan zu Besuch gekommen. Sie beherrscht diese Stimm-Meditation. Das hier ist ein Ort mit einer ganz besonderen Energie."
    Der Tag geht zu Ende. Langsam hüllt die Dämmerung den Berg des Feuers in ein fast mythisches Zwielicht.