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Bald keine Sonnenflecken mehr?

Der nächste Sonnenzyklus wird vermutlich nicht stattfinden - mit diesem überraschenden Befund platzen amerikanische Solarforscher auf ihrer Jahrestagung in New Mexico heraus. Die sogenannten Sonnenflecken könnten ganz verschwinden. Deutsche Experten sehen diese Ergebnisse skeptisch.

Von Jan Lublinski | 15.06.2011
    Die Sonne vollziehe derzeit eine gewaltige Veränderung, berichten drei US-amerikanische Wissenschaftlergruppen. Unser Zentralgestirn bewege sich auf eine längere, ruhige Phase zu. Der etwa elfjährige Sonnenzyklus, der regelmäßig mal mehr und mal weniger Flecken auf die Sonne bringt, könne aussetzen.

    Frank Hill von National Solar Observatory in Tucson, Arizona, geht davon aus, dass das solare Maximum, das wir derzeit erleben, für längere Zeit das letzte gewesen ist. Das heißt: Spektakuläre Ausbrüche wie vergangene Woche würde es dann seltener geben. Hill arbeitet als Helioseismologe, das heißt: Er schließt anhand von Bewegungen auf der Oberfläche der Sonne auf die Dynamik in ihrem Inneren.

    "Wir beobachten seit Längerem eine Strömung innerhalb der Sonne, die von Osten nach Westen umläuft. Sie wandert normalerweise von höheren Breitengraden in Richtung Äquator der Sonne. Auf diese Bewegung der Strömung folgte in der Vergangenheit, mit einer Verzögerung von etwa 12 Jahren, die entsprechende Aktivität im Sonnenzyklus. Diese Wanderung der Strömung hätte im Jahr 2008 oder 2009 kommen müssen, ist aber komplett ausgeblieben. Darum rechnen wird damit, dass der nächste Zyklus entweder sehr verspätet kommt, dass er sehr schwach sein wird - oder dass er ganz wegfällt."

    Die Sonnenflecken könnten also verschwinden. Eine spektakuläre Prognose, die jedoch längst nicht alle Experten für vertretbar halten.

    Bei den Flecken handelt es sich um schwarze Punkte auf der Sonne; Galilei hatte sie erstmals entdeckt. An diesen Stellen kühlt sich das elektrisch geladene Gas der Sonne ab und wird dunkler. Festgehalten wird dieses Gas der Sonnenflecken durch lokale Magnetfelder - Magnetfelder, die in den vergangenen Jahren immer schwächer geworden sind, sagt Matt Penn vom National Solar Observatory.

    "Das Entscheidende an unserer Messung ist, dass die Flecken ab einer bestimmten Magnetfeldstärke gar nicht mehr zu sehen sind. Schon im vergangenen und im gegenwärtigen Zyklus sehen wir, dass diese Magnetfelder langsam immer schwächer werden. Wenn man das in die Zukunft extrapoliert, heißt das: Ab 2021 werden die Magnetfelder zu schwach für Sonnenflecken sein."

    Auch eine dritte unabhängige Beobachtung stützt die Prognose vom Ende des Sonnenzyklus: Richard Altrock vom Air Force Research Laboratory in New Mexico beobachtet seit vier Jahrzehnten die Entwicklung der Korona, des äußeren Kranzes der Sonne. Er vermisst in seinen Daten seit einiger Zeit eine typische Bewegung von magnetischen Strukturen in Richtung der Pole.

    "Was in Zukunft ohne diese Magnetfeldbewegungen passieren wird, ist völlig unklar. Denn bislang hat niemand den solaren Zyklus unter der Annahme modelliert, dass diese Prozesse auf einmal wegfallen."

    Dass die Sonnenflecken komplett verschwinden, ist in der Geschichte der Menschheit nichts Neues: Zwischen den Jahren 1645 und 1715 hatte es das zuletzt gegeben: das sogenannte Maunder Minimum. Damals waren in Europa und Nordamerika die Winter besonders kalt, man sprach von der "Kleinen Eiszeit". Der genaue Zusammenhang zwischen Sonne und Klima ist allerdings unklar. Frank Hill.

    "Meine Position dazu ist: Ich habe bislang nicht genug Beweise für oder gegen einen maßgeblichen Einfluss der Sonne auf unser Klima gesehen. Wenn aber der nächste Zyklus tatsächlich ausbleiben würde, hätten wir eine einzigartige Möglichkeit, herauszufinden, ob es diesen Einfluss gibt oder nicht."
    Doch es ist gut möglich, dass es zu diesen Untersuchungen nicht kommen wird. Andere US-amerikanische wie auch deutsche Wissenschaftler halten die neuen Prognosen der drei amerikanischen Forschergruppen für Spekulation. Die Datenlage wie auch die theoretische Modellierung der Sonne reiche für solche Aussagen nicht aus, entgegnen sie. Die eigentlichen Prozesse, die zur Entstehung der Zyklen führen, sind noch längst nicht verstanden, bestätigte gegenüber dem Deutschlandfunk auch Manfred Schüssler vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Katlenburg-Lindau. Indizien sprächen zwar dafür, dass der augenblickliche Zyklus eher schwach sei. Für langfristige Vorhersagen aber sei es noch zu früh.