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Ballett "b.27"
Fülle und Widersprüchlichkeit des Lebens

Der Düsseldorfer Ballettdirektor Martin Schläpfer zeigt seine Version von Bachs Partita Nummer 6 in e-Moll, kombiniert das Klavierstück zusätzlich mit Ludwig van Beethoven. "Variationen und Partiten" feierte nun Premiere.

Von Nicole Strecker | 19.03.2016
    Der Ballettdirektor der Deutschen Oper am Rhein, Martin Schläpfer.
    Der Ballettdirektor der Deutschen Oper am Rhein, Martin Schläpfer. (picture alliance / dpa / Maja Hitij)
    Vermutlich ist ein lehrmeisterliches Formengenie wie Johann Sebastian Bach der beste Komponist, um mal Inventur im eigenen Bewegungs- und Stilkanon zu machen. Das scheint Martin Schläpfer jetzt für sein neues Ballett in Angriff genommen zu haben. Ein Jahr lang hat er kein neues Stück choreografiert – ungewöhnlich für den Ballett-Workoholic. Und jetzt präsentiert er sich nicht zu großer Sinfonie und Orchester, sondern zum Ein-Mann-Sound von zwei Klavierwerken: Bachs Partita Nummer 6 und Beethovens "12 Variationen über das Menuett "a la Vigano". Eine Tanzmusik, die Beethoven einer Ballettkomödie entnommen hat: "Le nozze disturbate", "Die unterbrochene Hochzeit" von Jakob Haibel.
    Beethoven als tanzaffiner, gut gelaunter Entertainer: Das holt auch aus Martin Schläpfer den Narren hervor, die Lust, wie schon in früheren Stücken den schweizerisch-volksnahen Balletttrampel zu mimen. Tänzer fliegen wie Harlekine mit angezogenen Beinen im Bogen durch die Luft, schütteln den Kopf wie ein Hund sein nasses Fell und sogar Momente auf Spitze sehen aus als trügen die Damen klobige Haferlschuhe.
    Naive Romantik in der Düsseldorfer Oper
    Naive Romantik wie einst in Schläpfers berühmtem "Forellenquintett", und Vorspiel zu Bachs Partita Nummer 6, tiefgründig gespielt von Denys Proshayev, aber begleitet vom Knarzen der Zuschauersitze der ehrwürdigen Düsseldorfer Oper, was gelegentlich wirkt, als säße man gemeinsam in einem ächzenden Boot.
    Die Tänzerin Yuko Kato beginnt ohne Musik: Eine Frau, die alle Lebensalter in sich vereint zu haben scheint, vom zart-verspielten Mädchen zum stillen Ernst einer reifen Frau. Eine ergreifende Ballett-Butoh-Miniatur über die Fülle und Widersprüchlichkeit des Lebens – und eben die feiert Martin Schläpfer dann in seinem Bachballett mit überwältigender Bewegungsfantasie.
    In blau-grauen und superengen Kostümen, die jedes Muskelspiel sichtbar machen, schwärmt das Ensemble wie eine betörende Engelslegion aus, perfekt harmonisch und doch individuell. Männer flattern mit Diven-Allüren auf die Bühne. Ein Paar resigniert im erotischen Geschlechterkampf als wär es ein Hans-van-Manen-Ballett. Hände spreizen sich manieristisch wie im höfischen Barocktanz.
    Damit nimmt Martin Schläpfer Bezug zum ersten Stück des Abends: George Balanchines "Duo Concertant" zur Komposition von Igor Strawinsky, ein dramaturgisch verblüffend gebautes Pas-de-Deux vom Neoklassiker. Vor allem sein Schlusseffekt ist unvergesslich, wenn im Spot eines Scheinwerfers nur noch die Hände der beiden Tänzer sich zärtlich umschnörkeln.
    Anleihen aus den beiden anderen Stücken des Abends
    Martin Schläpfer hat sich mit seiner Uraufführung mutig mittig platziert zwischen zwei Meisterwerke der Tanzgeschichte. Und wie immer finden sich Spuren der Kollegen in seinem Stück. Wenn bei Schläpfer etwa die Tänzerin Márlucia do Amaral von einem Kerl gepackt und mörderisch herumgebeutelt wird, ist das nur die Vorwegnahme ihrer Rolle im Abschlussstück des Abends: Denn im berühmten Antikriegsballett "Der grüne Tisch" wird ihr das Schicksal noch einmal zuteil, diesmal krallt sie sich der Tod – eine von Choreograf Kurt Jooss grandios gestaltete Figur in seinem Tanzdrama, das sich sehr konkret aufs Kriegsschlachtfeld begibt.
    Es mag auch an diesem düster-ahnungsvollen Ballettklassiker von 1932 gelegen haben, dass Schläpfers Ballettkosmos zu Bach und Beethoven gar nicht mal weltentrückt wirkt, sondern wie ein philanthropischer Gegenentwurf zum reaktionär-extremistischen Chaos des heutigen Politgeschehens. Es ist, als zoome Bachs gnädiger Gott mal kurz auf diese Tanzbühne in eine Gemeinschaft, in der ganz harmonisch die Differenz und die freie Selbstentfaltung gefeiert wird. Jeder Tänzer ein stolzes, schrulliges, gefühlspralles und natürlich höchstattraktives Geschöpf. Auch so geht Utopie.
    Infos:
    "b.27" an der Oper Düsseldorf
    Weitere Vorstellungen am 20. und 26. März sowie 01., 03., 14., 22. und 29. April 2016 in der Oper Düsseldorf
    Eingerahmt sind Martin Schläpfer "Variationen und Partiten" an diesem Tanzabend von George Balanchines "Duo Concertante" und Kurt Jooss' "Der Grüne Tisch".