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Band: Die Höchste Eisenbahn
"Wir haben keine Bremse"

Das erste Album von "Die Höchste Eisenbahn" kam vor gut drei Jahren raus - ein überraschendes Debüt, eine gut austarierte Mischung aus Poesie, Humor und griffigen Melodien. Jetzt ist der Nachfolger erschienen: "Wer bringt mich jetzt zu den anderen". Franceso Wilking und Moritz Krämer, zwei Musiker der Band, sprechen im DLF über ihr neustes Werk.

Francesco Wilking und Moritz Krämer im Corso-Gespräch mit Fabian Elsäßer | 27.08.2016
    Die Höchste Eisenbahn
    "Wir machen Wettbewerbstexten, aber ohne Kugeln", sagt die Band "Die Höchste Eisenbahn" über sich selbst. (Patrick Jasim)
    Fabian Elsäßer: "Zwei nachdenkliche Typen, die sich zum Duell treffen" - so sei die Musik der "Höchsten Eisenbahn". Das ist leider nicht von mir, sondern von Max Scharnigg, der hat das in der "Süddeutschen" geschrieben über das Debütalbum. Ja, zwei nachdenkliche Typen beim Duell, würden Sie das bestätigen, Francesco Wilking?
    Franceso Wilking: Jetzt nicht auf uns bezogen vielleicht, aber einfach so als Bild finde ich es interessant, was zwei nachdenkliche Typen beim Duell machen. Das ist ja auch immer früh am Morgen, und da geht es um Leben und Tod. Sehr spannend. Aber ich würde sagen: passt nicht.
    Moritz Krämer: Das ist dann so Wettbewerbstexten, oder wie?
    Wilking: Wir machen Wettbewerbstexten tatsächlich, aber ohne Kugeln.
    Elsäßer: Wie sieht das Wettbewerbstexten aus?
    Wilking: Wir haben jetzt auch zu dieser Platte öfter so Sachen gemacht, dass wir gleichzeitig an einer Idee, an einem Song geschrieben haben. Einmal sogar so richtig gleichzeitig, also in einem Dokument sozusagen, zwei Geräte miteinander verbunden, und dann haben wir ins selbe Dokument hineingeschrieben. Das war sehr lustig. Ich habe eine Woche bei Moritz zuhause gewohnt, und wir haben die ganze Zeit nur geschrieben und Filme geguckt und geredet und geschrieben und Filme geguckt und geredet und geschrieben.
    Elsäßer: Wenn wir mal über die Texte sprechen: Da heißt es zum Beispiel im Song "Gierig": "Die einen bezahlen, die anderen wollen gewinnen." In einem anderen Song heißt es: "Ich weiß, sie ziehen nachts mit Fackeln an Deinem Haus vorbei." Das könnte man einerseits als Kapitalismuskritik, andererseits als Andeutung populistischer Aufmärsche deuten. Da denkt man dann: hui, politisch? Weil wir es gerade von Ideen hatten….
    Wilking: Also auf wir jeden Fall, was wir nicht machen und was wir nicht machen wollen ist, nur "Ich und Du" und "Ich mag Dich nicht mehr" und was weiß ich.
    "Alles landet irgendwo"
    Elsäßer: Anders gefragt, wie wichtig ist es Ihnen, auch in Ihren Texten Gesellschaft zu spiegeln?
    Krämer: Ich glaube - Francesco zeigt gerade auf mich, dass ich auch mal was sagen soll. Wir sind gestern Nacht zum Beispiel mit dem Zug aus München nach Bremen gefahren und Francesco war gerade im Speisewagen. Und als er zurückkam, hat er erzählt, dass so ein Typ da war, der jemandem zugerufen hat "Du bist ja gar kein Deutscher, verpiss Dich aus dem Speisewagen". Und Francesco sich dann mit dem gestritten hat und zurückkam und geschlagen wirkte, weil er nicht wusste, was er machen sollte, wie man damit umgeht und so. Und ich glaube, wenn wir gerade noch die Platte aufnehmen würden und morgen im Studio wären, dann würde Francesco irgendwas darüber singen über seinen Kampf, den er da im Kopf mit sich hatte, wie er mit diesem Typen umgehen müsste. Und so ist das eigentlich auch mit den ganzen Texten, die auf der Platte sind.
    Wilking: Das ist glaube ich das Ding. Alles landet irgendwo. Wenn ich jetzt Imker auf Island wäre, dann würde ich wahrscheinlich vor allem über die Bienen singen.
    Elsäßer: Gut, Reinhard Mey hat ja auch über alles gesungen. Der kommt in einem kleinen subtilen Zitat sogar vor: Da wird er auf einer Party gehört, bis dann einer über das Boxenkabel stolpert und - Zitat "der Spuk vorbei ist". Ich schätze also mal, dass er eher kein Vorbild für Sie ist?
    "Wir sind ja keine Politiker mit einem Parteibuch"
    Wilking: Also Vorbild - nee. Der hat sicher ein paar gute Lieder geschrieben. Und er steht für irgendwas. Das ist ja dieses Ding: man verkörpert etwas oder möchte eine bestimmte Haltung haben. Und das wird von anderen Leuten auf eine bestimmte Art und Weise wahrgenommen, und dann steht man für etwas oder für gar nichts. Finde ich auch gut. Wir sind ja keine Politiker mit einem Parteibuch und einem Programm. Wir wollen nicht irgendetwas Bestimmtes sagen.
    Elsäßer: Reden wir mal über die Musik. Ich finde, da ist noch einmal eine ganze Schippe an Können und an Finesse dazugekommen im Vergleich zum Vorgänger-Album. In einem Song wie "Nicht atmen" ist traumhafter Harmoniegesang drin, dann kommt da noch die große Kelle mit dem Philly-Soul-Streicher-Sound drauf, Chöre hinten drüber. Da habe ich gedacht: "Großartig. Aber warum machen die das? Weil sie es können?"
    Wilking: Es hat etwas mit Palette zu tun. Wie wenn man ein Bild malt und sich dann denkt: jetzt habe ich Blau und Grün, jetzt hätte ich auch mal Bock auf ein bisschen Gold. Und weil Du das Gold nicht im Farbkasten hast, gehst Du es Dir halt kaufen.
    "Musikalisch passiert sehr viel auf der Platte"
    Krämer: Wir haben keine Bremse. Wir haben niemanden, der sagt: "Ich habe eine ganz bestimmte Vorstellung und so sollte das klingen." Sondern jeder kann nachts alleine im Studio sein, am nächsten Morgen kommen die anderen, und dann hat er alles mit irgendeinem Keyboard zugematscht und vielleicht nimmt man es wieder weg, weil es zu viel war. Vielleicht sagt der dann aber auch: "Ich habe jetzt die Idee hier für dieses Lied und schon jemanden angerufen, der kommt morgen vorbei und spielt uns so Motown-Geigen ein und das wäre total super." Dann sagt niemand, "Ich mag aber keine Motown-Geigen." Aber wenn jemand wirklich sagen würde: "Das mag ich nicht, das finde ich furchtbar, mach das nicht", dann passiert es auch nicht. Dadurch passiert musikalisch sehr viel auf der Platte, glaube ich. Vielleicht manchmal auch zu viel. Es gibt Stellen, da hat Felix zum Beispiel ein Gitarrensolo gespielt und ich habe an der gleichen Stelle ein Keyboard-Solo gespielt und die sind dann beide in dem Lied drinnen, diese Soli.
    Elsäßer: Aber ist es wirklich zu viel? Wenn Sie es jetzt nochmal hören?
    Wilking: Wir hören es ja nicht.
    Krämer: Das ist schwierig jetzt. Wenn man sich etwas anhört, an dem man so lange herumgetüftelt hat, steckt auch immer ein großer Schmerz drin beim Hören. Deswegen hört man sich das erstmal nicht so gerne an, weil man immer denkt: Ach schade, das wollte ich doch eigentlich nochmal einsingen. Oder: Da ist immer noch dieses Keyboard, was rumdudelt. Das hätte man doch auch wieder wegmachen können. Man denkt dauernd über solche Sachen nach, die andere wahrscheinlich gar nicht interessieren, weil die auf den Text hören oder gar nicht darüber nachdenken, wo jetzt da die Snare ist oder solches Zeug."
    "Sich mit Picasso gleichzustellen"
    Wilking: Was Moritz da gerade macht, ist ein ganz beliebtes …
    Krämer: So ein "19-Zoll-Gespräch" (heißt: Fachsimpelei, Anmerkung der Redaktion).
    Wilking: ... ein ganz beliebtes Künstler-Hobby, sozusagen das große Werk im Nachhinein im Interview zu entzaubern.
    Krämer: Ist das so? Ist das die große Entzauberung?
    Wilking: Na klar, na klar!
    Elsäßer: Die Frage ist: Ist es ein großes Werk? Können wir uns darauf einigen?
    Wilking: Ach Scheiße, stimmt…
    Krämer: Also was Francesco gerade macht ist…
    Wilking: Okay. Eins zu Null.
    Krämer: ... ohne es zu merken, sich mit Picasso gleichzustellen.
    Wilking: Naja. Andere Sportart halt. Aber sonst…
    Elsäßer: Also wir können uns darauf einigen, das ist vielleicht die bestarrangierte Höchste-Eisenbahn-Platte, die es bisher gegeben hat.
    Wilking: Der Welt. Ja.
    Elsäßer: Jetzt hat man da eine sehr gut arrangierte Platte, wahrscheinlich kaufen die ein paar Tausend Leute…
    Wilking: Das war’s dann auch schon (lacht).
    Elsäßer: ... und zu den Konzerten, auch wenn sie komplett ausverkauft und umjubelt sind, wie zum Beispiel auf der letzten Tour im Gebäude 9 in Köln, kommen dann halt doch nur - in Anführungszeichen, denn das ist ja alles relativ zu sehen - 400 bis 500 Leute. Können Sie in dieser Nische gut leben oder frustriert Sie das manchmal?
    Krämer: Nee, das ist für uns richtig viel. Also diese Tour mit 4/500 Leuten, das fühlt sich richtig super an, wenn man zu einem Club kommt, und da sind 4/500 Leuten.
    Wilking: Trotzdem denkt man natürlich, wenn man irgendwie liest, wie Andreas Bourani sagt, er würde mal wieder gerne in kleinen Clubs spielen, denkt man trotzdem: Ar***! (vielleicht besser nicht ausschreiben, könnte justiziabel sein????).
    Krämer: Einfach so mit zwei bis 3,000 Leuten… Nee, das denke ich nicht.
    Wilking: Ich schon.
    Elsäßer: Heute bei Corso, Franceso Wilking und Moritz Krämer, 50 Prozent von der Band "Die Höchste Eisenbahn". Die hat gerade das zweite Album rausgebracht, "Wer bringt mich jetzt zu den Anderen?". Ausführliche Tour dazu dann ab Ende Oktober. Herzlichen Dank, Franceso Wilking und Moritz Krämer.
    Wilking: Danke.
    Krämer: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.