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Band Nationalgalerie
Schnörkellos-unverkrampfte Gitarrenpopsongs

In den 90er-Jahren galt die Hamburger Band Nationalgalerie als die Hoffnung der deutschsprachigen Rockmusik. Das Quartett um Sänger Niels Frevert brachte den angloamerikanischen Alternative-Rock ins Deutsche. Dann verschwand die Band. Mit "Alles" ist nun eine komplette Werkschau erschienen.

Von Ronald Strehl | 11.02.2014
    Der Steg und die Saiten einer "Martin SPD-16 Special Edition" glänzen im Sonnenlicht. Diese Westerngitarre ist ein von Johnny Cash lizenziertes Modell, von dem es weltweit nur zwei Exemplare gibt.
    Mit "Evelin" landete Nationalgalerie einen Hit. (picture alliance / Maximilian Schönherr)
    "Bevor "Evelin" herauskam, da kann ich dir genau sagen, was da im Radio lief: Westernhagen, Grönemeyer oder Heinz-Rudolf Kunze auf deutsch. Und da haben wir uns gesagt: Das ist unsere Aufgabe. Diesen Platz müssen wir denen streitig machen. Da müssen wir mal Platz schaffen für andere Musik.”
    Sagt Sänger Niels Frevert heute über seine frühere Band Nationalgalerie, die im Frühjahr 1994 mit der Single "Evelin" auf dem Höhepunkt ihrer Karriere steht. Tatsächlich ist den vier ehrgeizigen Musikern aus dem beschaulichen Hamburger Stadtteil Niendorf etwas gelungen, was es so bis dahin noch nicht gab: unpeinliche, ernsthafte deutschsprachige Rockmusik jenseits von Politpunk und biederem Deutschrock. Und das gegen den damals vorherrschenden Trend, wie sich Nationalgalerie-Gitarrist Dinesh Ketelsen erinnert.
    "NDW war vorbei. Deutsch wollte keiner mehr hören und Popmusik musste englischsprachig sein, wenn man das irgendwie verkaufen wollte."
    Für die Indieszene nicht elitär genug
    Für die Indieszene nicht elitär genug, für den Mainstream zu kratzbürstig, saß die Band von Beginn an zwischen den Stühlen.
    "Wir haben uns nie als politische Band verstanden und ich mich nicht als politischen Sänger. Als es soweit kam, dass uns das ein Stück weit vorgeworfen wurde von Teilen der Hamburger Schule, da hatte ich den Kaffee auch ziemlich schnell auf und dachte mir: Macht ihr mal euer Ding, ich mache meins."
    Ihren typischen lässig-rustikalen Gitarrenrock-Stil finden Nationalgalerie in der amerikanischen Collegestadt Bloomington: Dort nehmen sie 1993 unter der Regie von John Mellencamp-Gitarrist Mike Wanchic ihr drittes Album "Indiana" auf, das auch den kommerziellen Durchbruch bedeutet. Als Nationalgalerie im Winter 1994 wieder nach Bloomington ins Studio reisen, haben sie nicht genügend Songs und sind vom ständigen Touren mit den Nerven am Ende. Der schüchterne Schlacks Niels Frevert verfasst bis zum Kollaps seine immer leicht kryptischen Texte über Liebeskummer, Sehnsüchte und schräge Beziehungen. Trotz zunehmend gereizter Stimmung nehmen Nationalgalerie mit "Meskalin" ihr bestes Album auf.
    Bis zum Kollaps leicht kryptische Texte über Liebeskummer
    "Ich musste da die Platte zu Ende schreiben. Ich habe tagsüber im Studio verbracht und nachts durchgeschrieben. Ich war irgendwann selbst k o., mich haben die selbst zum Arzt gefahren, weil ich einfach nicht mehr konnte."
    Als zu sperrig von ihrer Plattenfirma Sony abgelehnt, erscheint das leicht psychedelische Album "Meskalin" erst nach monatelanger Verzögerung. Nationalgalerie werden von der Sony ausgebremst – die setzt jetzt nämlich ganz auf die ebenfalls aus Hamburg kommenden Grunge-Deutschrocker von Selig. "Meskalin" verkauft sich passabel. Aber der erhoffte Sprung in die oberste Liga der deutschen Rockmusik bleibt aus. Nationalgalerie trennen sich 1997 nach gescheiterten Sessions für ein geplantes fünftes Album. Die vier temperamentvollen früheren Schulfreunde waren über Details unversöhnlich in Streit geraten. Da hatte Sänger Niels Frevert allerdings auch schon eine Solokarriere begonnen, die er als befreiende Erfahrung empfunden hatte. Und auch, wenn Dinesh Keteslen die Spannungen innerhalb der Band noch gut vor Augen hat – vielleicht lag ja gerade darin das spezielle Nationalgalerie-Geheimnis.
    "Wir sind schon sehr unterschiedlich. Jeder ist auf seine Art irgendwie ein komischer Schrat. Keiner von uns ist wirklich pflegeleicht. Es gab fast schon Handgemenge im Studio, wo wir echt aufeinander los sind."