Dienstag, 23. April 2024

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Band TesseracT
Ausgetüfteltes Kopfkino

Brutale Schlagzeug- und Gitarrenattacken wechseln sich mit leisen, fast meditativen Klängen ab. Sänger Dan Tompkins liefert tiefes Metalshouting und glasklare Melodien: TesseracT haben auf dem aktuellen Album "Sonder" ihre musikalische Position gefunden - auch wenn mancher Rhythmus wie am Computer entworfen wirkt.

Von Thomas Elbern | 06.05.2018
    Fünf Männer in dunkler Kleidung stehen vor einer blauen Wand und schauen in die Kamera.
    Die Band TesseracT spielt mit extremer Dynamik: Stille ist genauso wichtig wie maximale Loudness. (Steve Brown)
    Musik: "Juno"
    "Auf der einen Seite wundert es uns schon, das wir nun an diesem Punkt in unserer Karriere sind, auf der anderen aber haben wir daran über zehn Jahre hart gearbeitet. Wir waren weltweit ständig auf Tour und haben uns unsere Fanbase durch viele Konzerte erspielt. Am Anfang gab’s meist nur junge Typen im Publikum, die eindeutig Metalfans waren. Doch über die Jahre hat sich das verändert: Nun gibt es auch schon mal Paare, die vorne stehen oder ältere Musikfans und Leute aus anderen Genres, die von uns gehört haben. Wir haben nicht nur die klassischen Metalfans mit schwarzen Kutten, die uns die gehörnte Hand zeigen, sondern ein großer Mix an Leuten."
    Sänger Dan Tompkins ist wieder zurück: 2011 verließ er die Band und ist seit 2014 wieder dabei. Dazwischen arbeitete die Gruppe mit anderen Sängern, wurde aber nie richtig glücklich mit der Auswahl. Mit dem Album "Polaris" aus dem Jahr 2015 wird klar: Der Job als Sänger bei TesseracT ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Gefragt ist tiefes Metalshouting, aber auch glasklare Melodiegesänge, die über mehrere Oktaven reichen.
    "Als ich 2009 bei TesseracT einstieg, war ich nicht gerade das, was man einen guten Sänger nennen kann. Ich finde meine Stimme auf dem ersten Album zu bemüht und meine Technik noch ziemlich schlecht. Als ich die Gruppe dann wieder verließ, nutzte ich die Zeit und habe Gesang studiert und wurde darüber hinaus auch noch Vocalcoach. Mittlerweile hab ich weltweit sogar einige Studenten, die ich unterrichte. Ich muss also nicht nur die Fans auf der Bühne, sondern auch meine Schüler und Kritiker überzeugen. Ich werde von zwei Seiten betrachtet."
    Musik "The Arrow"
    Brutale Drum- und Gitarrenattacken wechseln sich mit leisen, manchmal fast meditativ anmutenden Klängen ab. Die Musik von TesseracT ist als ein Wechselbad der Stimmungen angelegt und ebenso wenig vorhersehbar wie langweilig. Prog Rock Bands wie King Crimson, aber ebenso Extrem-Metalbands wie die schwedischen Meshugga haben hier ihren Einfluss hinterlassen.
    Ausverkaufte Hallen, großer Anspruch
    Die Perfektion von TesseracT besteht aus vertrackten Kompositionen, die trotz aller Dynamik in einem glasklarem Sound erstrahlen. Das gefällt auch den Fans: Mittlerweile spielt die britische Band auch in den USA in ausverkauften Hallen.
    "Jedes Album, das von TesseracT erschienen ist, unterscheidet sich stark von dem davor. Wir haben immer daran gearbeitet, unseren Sound so komplex und umfassend wie möglich zu gestalten. Ich denke, dass der typische TesseracT Fan sich auf so etwas einlässt. Für uns als Künstler ist das der optimale Rahmen, um sich weiter zu entwickeln. Es gibt aber in der Metalszene auch viele Fans, die keine Veränderung mögen. Und es gibt dort eine Menge Bands, die ständig diesen einen Sound wiederholen. Das gilt nicht für uns: wir lieben neue Sounds und Gesangsideen. So bleibt es für uns spannend!"
    Musik: "Beneath my skin"
    Songs wie "Beneath my skin" entstehen bei TesseracT auch mal mit einem ungewöhnlichen Ansatz, erklärt Dan Tompkins:
    Fünf Männer stehen vor einem hell ausgeleuchtetem Hintergrund. Sie schauen in die Kamera
    Tesseract (Steve Brown)
    "Acle, unser Gitarrist nahm eine Szene aus einem Film und entfernte einfach die Tonspur. Er entwarf seine eigene Komposition, um das zu vertonen, was er auf dem Bildschirm sah. Daher auch dieser Soundtrack-artige, frei fließende Klang im Intro. In dem Text geht es darum, dass wir keine Kontrolle über unser Schicksal haben, obwohl die Technik immer besser wird. Gleichzeitig geht es um die Entdeckung von Freiheit und Frieden, die uns diese Welt bringt. Es geht, um das Loslassen anstatt ständig zu versuchen, sich einen Weg zu erkämpfen."
    Keine Ohrwürmer, glasklarer Sound
    TesseracT arbeiten mit extremer Dynamik: Stille ist genauso wichtig wie maximale Loudness. Oft passiert das in ein und dem gleichen Song. Die Drums haben Punch, die Gitarren eine maximale Klarheit und der Gesamtmix ist unglaublich definiert. Aus klang-ästhetischer Sicht ist ein Album wie "Sonder" eine Referenz. Das aktuelle Album "Sonder" enthält wie sein Vorgänger keine Ohrwürmer - TesseracT machen komplexen progressive Metal: Die Musik lässt ein Kopfkino starten, das nur bestimmte Hörer anspricht. Die werden mit Momenten zwischen alten Genesisalben und ausgetüfteltem, ja schon fast mathematisch errechneten Breaks und Zählzeiten glücklich werden. Auch textlich beschäftigen sich TesseracT auf dem neuen Album "Sonder" mit den großen Fragen: Was ist eigentlich Realität?
    "Bei "Sonder" geht es vor allem um Perspektive. Du bist von Menschen umgeben, die auch ein eigenes Leben haben, das so komplex und lebhaft wie dein eigenes ist. Ich finde das sehr interessant, aber gleichzeitig fühle ich mich dadurch etwas bedeutungslos. Es öffnete meine Augen in die Richtung, dass wir ziemlich eigenbrötlerische und egoistische Wesen sind, die gerne für sich leben. Auf der anderen Seite fand ich das sehr ermutigend. Wir haben innerhalb der Band oft philosophische Diskussionen über Existenz, die Menschheit und das Universum. Es ist sehr interessant, wenn man sich die kurzen und die langen Augenblicke im Leben anschaut, da gibt es viele Gemeinsamkeiten. Also wenn man die mikroskopisch kleinen Dinge wie Insekten, Tiere, Menschen und die gigantischen Ausmaße eines Solarsystems und Universums betrachtet, rückt die eigene Bedeutung in den Hintergrund."
    TesseracT haben auf "Sonder" ihre musikalische Position gefunden. Dieses Album ist für Leute, die sich die Zeit nehmen, sich mit ihrer komplexen Musik zu beschäftigen. Eine CD, die auch noch nach mehrfachem Hören viele neue Details offenbart und viele emotionale, sowie klang ästhetische Momente bereithält.