Dienstag, 23. April 2024

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Bankenverband zu Negativzinsen
Vorerst keine Gebühr für Privatkunden-Einlagen

Großanleger müssen bei ersten Banken für hohe Einlagen einen sogenannten Negativzins bezahlen. Privatanleger müssten das vorerst aber nicht befürchten, sagte Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands deutscher Banken, im DLF.

Michael Kemmer im Gespräch mit Dirk Müller | 25.11.2014
    Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Banken.
    Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken. (dpa / Sven Hoppe)
    Es gebe "keine Zinskrise", sagte Kemmer. "Die Nulllinie ist nach unten überschritten. Die Sparer verlieren aber auch, wenn es bei einer Inflation von zwei Prozent nur ein Prozent Zinsen gibt." Psychologisch sei der Unmut verständlich, ökonomisch nicht.
    Negativzinsen für Privatkunden sieht Kemmer noch nicht. "Der Wettbewerb um Privatkunden ist so hart, dass ich nicht glaube, dass das kommen wird."
    Positive Effekte der niedrigen Zinsen
    Zugleich verwies Kemmer darauf, dass niedrige Zinsen auch positive Effekte hätten. Dem Steuerzahler komme zugute, dass der Staat wenig Zinsen auf neue Kredite zahlen müsse. "Und beim Immobilienkauf profitiert der Sparer." Auf Dauer sei die Niedrig-Zinspolitik aber nicht gut, diese Phase solle "schnell zu Ende gehen".
    Zur Lösung der Staatsschuldenkrise habe die EZB mit den Zinssenkungen ihr Pulver weitgehend verschossen. "Die EZB kann den Staaten nur Zeit kaufen", sagte Kemmer. Notwendige Strukturreformen müssten die Staaten selbst erledigen.
    Das vollständige Interview

    O-Ton Mario Draghi: "Die EZB wird alles innerhalb ihres Mandats tun, um den Euro zu retten. Und glauben Sie mir: Das wird ausreichen."
    Dirk Müller: Es wird ausreichen, sagt Mario Draghi im Sommer vor zwei Jahren, der Chef der Europäischen Zentralbank. Doch die Krise bleibt, denn wehe dem, der spart. Null Zinsen, Deflation und jetzt auch noch das: Die ersten Strafzinsen der Banken sind beschlossene Sache. Drohen Negativzinsen auch für die ganz normalen Kunden?
    Haben Sie schon davon gehört, von Negativzinsen? Seit ein paar Tagen Realität in Deutschland. Die Commerzbank, die Skatbank und die genossenschaftliche DGZ belegen hohe Einlagen von Großkunden mit einer Art Strafzinsen. Es gibt also keine Belohnung, wenn ein Unternehmen oder ein Anleger viel Geld aufs Guthaben überweist, sondern das Gegenteil. Die Anleger müssen noch zusätzlich dafür zahlen. Ihr Vermögen auf der Bank wird damit kleiner. Noch sind normale Kunden und Sparer davon ausgeschlossen, aber wie lange noch. Hintergrund ist die extreme Niedrigzins-Politik der Europäischen Zentralbank. Der Druck auf die Banken wird immer größer, die sich ja ohnehin schon einen scharfen Wettbewerb liefern. Und zugleich tendiert die Inflation im Euro-Raum gegen null, was wiederum Deflationsängste weiter schürt, und dann kommt die bröckelnde Konjunktur europaweit auch noch dazu. - Am Telefon ist nun Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Banken. Guten Morgen nach Berlin!
    Michael Kemmer: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Herr Kemmer, wie viel Krise haben wir noch?
    Kemmer: Ach Gott, das ist eine sehr allgemeine Frage. Die Staatsschuldenkrise ist sicherlich noch nicht ganz vorüber. Sie ist aber durch die Maßnahmen der Europäischen Zentralbank schon sehr gut eingedämmt worden. Nur muss man wissen, dass die Europäische Zentralbank nur Zeit kaufen kann, und lösen können die Krise nur die beteiligten Staaten. Die müssen ihre Hausaufgaben machen, die müssen Strukturreformen angehen, und da gibt es nun schon einiges, was noch zu wünschen übrig lässt.
    Müller: Dann machen wir es konkreter. Haben wir eine Zinskrise?
    "Nulllinie überschritten"
    Kemmer: Nein, wir haben keine Zinskrise. Wir haben die Nulllinie nach unten überschritten, was emotional schon ganz erhebliche Bedeutung hat. Nur müssen wir sehen: Negative Realzinsen, das heißt, Zinssätze, die unterhalb der Inflationsrate liegen, die gab es schon öfter. Und Sie müssen sehen: Wenn Sie eine Inflationsrate von zwei Prozent haben und einen Zins von 0,8 Prozent, dann verlieren die Sparer genauso viel Geld, wie wenn Sie eine Inflationsrate von einem Prozent haben und einen Zinssatz von minus 0,2 Prozent. Das wäre ja die jetzige Situation, von der allerdings die Sparer nicht betroffen sind. Psychologisch ist das verständlich, dass es eine große Aufregung gibt. Ökonomisch ist es aber eigentlich gar nicht so bedeutsam.
    Müller: Haben Sie Ihr Geld im Panzerschrank inzwischen?
    Kemmer: Ich habe mein Geld nicht im Panzerschrank.
    Müller: Wo denn?
    Kemmer: Ach Gott, das ist gestreut auf viele verschiedene Anlageformen.
    Müller: Aber wenn Sie Bargeld irgendwo als Bargeld hinterlegen, bei einer Bank, bei einer Institution, dann wird es weniger?
    Kemmer: Nein. Bei mir nicht! Ich habe durchaus auch einige Liquidität herumliegen und die wird nicht weniger. Es gibt überall Zinsen, oder, wenn es das reine Girokonto ist, gibt es vielleicht null Zinsen, aber Negativzinsen muss ich nicht in Kauf nehmen, und ich glaube, es gibt noch keinen Privatkunden in Deutschland, der Negativzinsen in Kauf nehmen muss.
    Müller: Bis jetzt noch nicht. Kommt das denn?
    Kemmer: Ich gehe nicht davon aus, dass es kommen wird. Ich meine, Sie können die Dinge nie komplett ausschließen, aber der Wettbewerb um den Privatkunden in Deutschland ist so hart, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass auch Privatkunden hier etwas bezahlen müssen. Es geht ja hier in erster Linie um hohe Einlagen von Firmenkunden, auch von institutionellen, die die Banken auch letztlich durchreichen müssen an die Europäische Zentralbank, für die sie selber keine Verwendung haben wegen der Fristigkeit, auch wegen der mangelnden Kreditnachfrage. Das sind keine Regelfälle, das sind eher Ausnahmefälle. Deshalb: Ich kann mir nicht vorstellen, dass das auf die Privatkonten ausgedehnt wird.
    Müller: Gehen Sie denn, Herr Kemmer, davon aus, dass diejenigen - wir reden von großen Anlegern, von institutionellen Anlegern, von Fonds und so weiter, die da Geld parken, jetzt Negativzinsen bezahlen müssen, also X Euro pro Monat, weil dort fünf Millionen lagern oder auch noch mehr -, dass die das dann automatisch indirekt jetzt an die Kunden weitergeben?
    Kemmer: Das kann sich ja nur um die Fonds handeln, bei denen sich diese Frage stellt. Der Fonds hat seine Anlagen normalerweise diversifiziert, das heißt in verschiedene Anlageformen gelegt. Er hält auch einen Teil an Liquidität. Und niedrige Zinsen, egal ob es jetzt positiv niedrige Zinsen sind oder auch leicht negative Zinsen, beeinträchtigen natürlich die Rentabilität des Fonds insgesamt. Das ist normal und da ist jetzt das Durchschreiten der Nulllinie auch nichts Besonderes. Aber klar: Das ist natürlich etwas, was sich auf die Rendite auswirkt.
    Müller: Indirekt sind dann doch alle betroffen?
    "Das Niedrigzins-Umfeld ist nicht gut"
    Kemmer: Wenn Sie die Fonds anschauen, ja, wobei generell sind natürlich durch das Niedrigzins-Umfeld sowieso alle betroffen. Nur Sie müssen sehen, das Niedrigzins-Umfeld hat ja immer mindestens drei Seiten: Einmal die negative für den Sparer, weil er wenig Zinsen auf sein Erspartes bekommt, aber dann die positive für den Steuerzahler und jeder Sparer ist ja auch Steuerzahler, und der Staat muss sehr, sehr geringe Zinsen zahlen, wenn er sich neu verschuldet. Das ist ja ein Vorteil für alle. Und letztlich der dritte Punkt: Wenn sich heute jemand eine Immobilie kaufen möchte, dann profitiert er natürlich von den niedrigen Zinsen. Dann ist es für ihn günstig. Das Niedrigzins-Umfeld ist nicht gut, es sollte auch möglichst schnell beendet werden, aber es hat nicht nur negative Auswirkungen.
    Müller: Herr Kemmer, jetzt sagen Sie das bitte nicht zu laut mit den Schulden oder Neuverschuldung, dass das so preiswert ist. Wenn wir das richtig in der Politik jetzt verstanden haben, auch die Bevölkerung, dann sparen wir ja unter anderem auch in der Haushaltspolitik, um keine Schulden mehr aufzunehmen.
    Kemmer: Absolut! Aber da geht es natürlich nur um die Neuverschuldung. Die laufenden Schulden, die müssen ja auch immer wieder refinanziert werden. Das heißt: Selbst wenn Schäuble eine schwarze Null hat, muss er natürlich trotzdem auslaufende Verbindlichkeiten, auslaufende Anleihen wieder neu aufnehmen, und da profitiert er und damit wir alle schon ganz massiv von den niedrigen Zinsen.
    Müller: Neu verhandeln und neu justieren diese ganzen Zahlenwerke?
    Kemmer: Absolut, absolut. Wie gesagt: Schwarze Null heißt ja nur keine zusätzliche Neuverschuldung. Aber wenn der vor zehn Jahren eine zehnjährige Anleihe rausgelegt hat, die jetzt fällig wird, dann muss er die natürlich, wenn er sie nicht zurückzahlen kann - und beim Tilgen sind wir ja leider noch nicht -, dann muss er sie wieder neu finanzieren und dann hat er wie gesagt einfach auch die günstigen Zinsen.
    Müller: Das weiß Wolfgang Schäuble ja schon ziemlich lange. Haben die Finanzminister mit daran gedreht, dass das jetzt genau stattfindet, diese Nullzins-Politik zum Entschulden der Staaten?
    Kemmer: Absolut nicht, denn die Europäische Zentralbank ist ja nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank gebaut. Das heißt, die hat eine Unabhängigkeit von der Politik, die trifft ihre Entscheidungen autonom, da haben die Finanzminister nicht mit dran gedreht. Das ist wirklich etwas, was die Notenbank alleine entschieden hat.
    Müller: Aber das steht so geschrieben. Ist das in der Realität so?
    Kemmer: Das ist in der Realität so. Natürlich lebt die EZB nicht im luftleeren Raum und der EZB-Präsident Mario Draghi ist klug genug, dass er auch das politische Umfeld sehr gut in sein Kalkül mit einbeziehen kann. Aber jeder Finanzminister wird den Teufel tun und wird sich hüten, ihm hier gute Ratschläge zu geben. Anweisungen kann er ihm sowieso nicht geben. Nein, die Unabhängigkeit der Notenbank, auch der Europäischen Zentralbank ist ein hohes Gut und wird allseits respektiert.
    Müller: Was dann so weit gegangen ist, dass er marode Staatspapiere von maroden Staaten eingekauft hat.
    Kemmer: Das hat er bisher noch nicht getan. Er hat es angekündigt, dass er es notfalls tun wird, wenn Not am Mann ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass er Staatsanleihen kauft, steigt. Er hat auch letzten Freitag in Frankfurt hier deutliche Hinweise in diese Richtung gegeben. Aber da muss man sehen: Das andere Pulver der Europäischen Zentralbank ist natürlich weitgehend verschossen. Weitere Zinssenkungen kann er nicht mehr vornehmen, da ist er schon am Ende, und sein Instrumentenkasten enthält nicht mehr so ganz viele Bausteine. Das Aufkaufen von Staatsanleihen, das er ja vor zwei Jahren angekündigt hat, und zwar durchaus erfolgreich - das hat ja zu einer Stabilisierung im Euro-Raum beigetragen, und zwar allein die Ankündigung ...
    Müller: Das wollte keiner haben, um Gottes Willen. Aber jetzt wird es Wirklichkeit, sagen Sie?
    Kemmer: Ich schließe es nicht aus. Die EZB hat jetzt zumindest mal angefangen, Verbriefungspapiere aufzukaufen, Unternehmensanleihen. Sie achtet dabei auf hohe Qualität. Das ist wichtig und das sollte auch unbedingt so bleiben und ich gehe davon aus, dass sie auch bei den Staatspapieren auf hohe Qualität achten wird. Auf der anderen Seite: Wenn hier die Schleusen mal geöffnet sind, kann natürlich keiner sicher sein, dass nur Papiere höchster Qualität gekauft werden, denn dann wollen natürlich alle Euro-Zonen-Länder ihre Staatspapiere bei der EZB unterstellen beziehungsweise die EZB muss es auch gleich verteilen. Das heißt, sie muss beispielsweise auch Bundesanleihen kaufen, obwohl das für die Bundesrepublik Deutschland überhaupt nicht erforderlich ist.
    Müller: Aber wenn das ein Problem ist, wie Sie sagen, also er muss da aufpassen, dann ist es ja auch nicht gut, wie Sie wiederum sagen, dass er sein Pulver bereits verschossen hat. Das heißt, die EZB ist am Ende des Spielraums angelangt?
    Kemmer: Völlig richtig. Es ist nicht gut, dass er sein Pulver weitgehend verschossen hat, und wie gesagt, die EZB kann den Staaten nur Zeit kaufen. Die Staaten insbesondere in der Peripherie, aber auch die in unmittelbarer beispielsweise westlicher Nachbarschaft der Bundesrepublik, die müssen ihre Strukturreformen entschlossen angehen, denn das kann ihnen die EZB nicht abnehmen und da gibt es noch einiges, was zu tun bleibt, und da müsste man schon die Geschwindigkeit noch mal deutlich erhöhen.
    Müller: Ich suche noch mal nach einer Formulierung. Die EZB ist jetzt in ihren Steuerungsinstrumenten am Ende des Lateins?
    Geldpolitische Steuerungsmaßnahme
    Kemmer: So hart würde ich es nicht formulieren, aber was die Zinspolitik betrifft, ist sie dadurch, dass sie die Zinsen im Grunde genommen auf null gesetzt hat, hat sie keinen weiteren Spielraum mehr. Das heißt, sie muss jetzt andere Instrumente benutzen. Draghi betont immer wieder, dass sein Instrumentenkasten noch viele Bestandteile enthält, aber die eigentliche geldpolitische Steuerungsmaßnahme ist natürlich die Zinspolitik.
    Müller: Und die Investitionswelle ist ausgeblieben, trotz dieser Niedrigzins-Politik?
    Kemmer: So ist es. Genauso ist es. Wir befinden uns in der keynesianischen Liquiditätsfalle. Das heißt, es gibt genügend Liquidität im Markt, aber es gibt eben nicht genügend Möglichkeiten und genügend Nachfrage, diese Liquidität zu investieren. Das ist ein gewisses Dilemma und das kann nur - ich muss mich wiederholen - dadurch gelöst werden, dass wir Wachstumsimpulse setzen, und das muss von den Regierungen kommen.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Banken. Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.
    Kemmer: Gerne! Danke gleichfalls.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.