Donnerstag, 25. April 2024

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Papst wertet kirchliche Quergeister auf
Franziskus und die Gottesnarren

Italien ist stolz auf seine "Narren Gottes“. Das sind Geistliche, die sich um Obdachlose, Arme, Prostituierte und andere sozial Ausgegrenzte kümmern - oft mit Methoden, die der Kirchenleitung missfallen. Diese Outsider waren bisher nur geduldet. Mit Papst Franziskus ändert sich das.

Von Thomas Migge | 24.07.2018
    Don Andrea Gallo in der italienischen TV-Sendung L ultima parola
    Don Andrea Gallo - katholischer Geistlicher und überzeugter Kommunist (imago stock&people)
    Don Andrea Gallo nahm nie ein Blatt vor dem Mund. Er starb 2013 im Alter von 84 Jahren. Er war katholischer Geistlicher und überzeugter Kommunist. Ein Mann, der unbequem war:
    "Das ist doch ein Geschenk Gottes, die Homosexualität! Es ist doch Gottes Wille, wenn wir unsere eigene Sexualität ausleben. Dass Homosexuelle ausgegrenzt werden - wieso? Jesus spricht nie über Homosexualität."
    Don Andrea Gallo bezeichnete sich auch als anarcho-christlich und als Radikalpazifist. Don Gallo war ständig Gast im Fernsehen und im Rundfunk. Seine Kirche versuchte immer wieder, ihn auf den ihrer Meinung nach rechten Weg zu bringen und sich nicht mehr für Homosexuelle, illegale Einwanderer, für Prostituierte, Transsexuelle und Streikende in Fabriken einzusetzen. Ohne Erfolg. Er ließ sich nicht bändigen.
    Don Gallo war so berühmt in Italien, dass der ehemalige Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Kardinal Angelo Bagnasco, nach Genua fuhr, um die Predigt zu halten bei der Trauerzeremonie für den verstorben Quergeist. Bagnasco als Repräsentant einer Kirche, die Don Gallo Zeit seines Lebens Steine in den Weg legte, wurde ausgepfiffen.
    Volksnaher Glaube
    Der Kardinal musste seine Predigt abbrechen. Die Anhänger Don Gallos sangen in der Kirche lautstark das italienische Partisanenlied "Bella Ciao". Männer wie der rebellische Don Gallo sind ihren Päpsten in der Regel ein Dorn im Auge. Auch dann, wenn diese Personen große Anhängerschaften um sich scharen. Unter Papst Franziskus hat sich diese Sichtweise radikal geändert. Davon ist der in Bologna lehrende Kirchenhistoriker Enrico Galavotti überzeugt:
    "Deshalb ist es notwendig geworden, dieses Thema genauer unter Lupe zu nehmen. Bis ins hohe Mittelalter kannte die katholische Kirche ja die Figur der so genannten ‚Gottesnarren‘. Damit meinte man Geistliche, die außerhalb amtskirchlicher Vorgaben einen ziemlich volksnahen Glauben lebten und viele Anhänger hatten. Das änderte sich dann mit den Jahrhunderten. Mit Bergoglios Amtsübernahme stellt sich nun die Frage, ob auch er in gewisser Weise ein 'Gottesnarr' sein könnte."
    Zusammen mit seinem Kollegen Federico Ruozzi legt Galavotti in Kürze im angesehen Wissenschaftsverlag "Il Mulino" ein Buch vor, das die wichtigsten dieser kirchlichen Randfiguren präsentiert.
    In Italien agieren die so genannten "Gottesnarren" in der Regel als "preti di strada", als Straßenpriester. Der Begriff meint Priester, die vor allem außerhalb kirchlicher Institutionen wirken und dabei so vorgehen, dass es der Kirchenleitung nicht immer gefällt.
    Mittagessen bei Papst Franziskus
    Wie etwa Padre Claudio Santoro, der in römischen Stadtrandvierteln Sozialprojekte für gesellschaftlich Geächtete wie Transsexuelle und Prostituierte organisiert und diese auch bei sich im Pfarrhaus unterbringt. Santoro weiß aus eigener Erfahrung, dass Papa Francesco mit seinesgleichen keine Berührungsängste hat:
    "Ich dachte erst, es wäre ein Scherz als ich einen Anruf aus dem vatikanischen Staatssekretariat erhielt. Ich wurde zum Mittagessen am vergangenen Gründonnerstag beim Papst eingeladen. Ich vergaß das dann, aber schließlich kam auch eine offizielle Einladung - und da war mir klar, dass war kein Scherz."
    Santoro war mit neun anderen Straßenpriestern zum Essen bei Franziskus eingeladen. Das hatte es in der römischen Kirche noch nie gegeben. Auch nicht unter Johannes Paul II., der zwar den in Italien sehr beliebten, aber nicht unumstrittenen Padre Pio verehrt hatte, aber nie auf die Idee gekommen wäre, so einen Volksheiligen in den Vatikan einzuladen. Papst Benedikt XVI. stand den Straßenpriestern besonders skeptisch gegenüber. Bei dem Argentinier ist das anders. Er wertet die Figur dieser volksnahen Glaubensexzentriker auf - wie kein anderer moderner Papst.
    26. Mai 2013 - Palermo, Italien - Der Sarg von Pater Puglisi wurde in der Kathedrale von Palermo aufgestellt ... Don Puglisi wurde von der Mafia getötet und seine Seligsprechung angekündigt eine Menschenmenge von über 80.000 Gebeten im Foro Italico von Palermo ... Der Märtyrer war ein Beispiel für jene, die die Mafia kontrastieren .....
    Don Puglisi kämpfte in Palermo gegen die Mafia und ließ sein Leben dafür (imago stock&people)
    In ihrem Buch stellen die beiden Kirchenhistoriker auch jene Seelsorger vor, die bereits verstorben sind, die aber posthum von Papst Franziskus gewürdigt werden - etwa indem er ihre Gemeinden und Wirkungsstätten besucht. Don Antonio Belli etwa, dem 1993 verstorbenen radikal-kommunistischen Arbeiterpriester im apulischen Alessano. Oder Don Puglisi, der in Palermo gegen die Mafia kämpfte und dafür sein Leben ließ. Oder auch Don Oreste Benzi, der bis zu seinem Tod 2007 in offenem Widerspruch zu seinen kirchlichen Vorgesetzten nachts jene Straßen in Rimini aufsuchte, auf denen illegale Einwanderinnen, von Menschenschmugglern dazu gezwungen wurden, als Prostituierte zu arbeiten.
    Papst vollzieht radikalen Bruch zu seinen Vorgängern
    Für den Kirchenhistoriker Federico Ruozzi, Ko-Autor des Buches über die Outsider der katholischen Kirche Italiens, versucht Franziskus die Rolle dieser ungewöhnlichen Geistlichen aufzuwerten, um seine Kirche volksnäher zu machen:
    "Im Vatikan zirkulieren immer noch viele Vorurteile gegenüber diesen kirchlichen Außenseitern. Franziskus will das ändern, sonst hätte er nicht zehn dieser Männer zu sich eingeladen. Er wollte damit ein Zeichen setzen. So wurden diese Geistlichen zum ersten Mal offiziell gewürdigt, von einem Papst, der damit einen radikalen Bruch zu seinen Vorgängern vollzieht."
    Italiens unbestritten radikalster Gottesnarr heißt Biagio Conte, Bruder Biagio genannt, und ist kein geweihter Priester und auch kein Ordensmann. Er ist ein selbsternannter Straßengeistlicher in Palermo, der sich wie ein mittelalterlicher Franziskaner kleidet. Mit seinen medial perfekt in Szene gesetzten Hungerstreiks gelingt es dem 54jährigen immer wieder, dass Stadt und Diözese Palermo ihm und seiner Gemeinschaft Wohnungen und ganze Gebäude gratis zur Verfügung stellen. Dort kümmert sich der auf Sizilien bereits wie ein Heiliger verehrte Pseudo-Mönch um Obdachlose, Arme, Prostituierte und andere sozial Ausgegrenzte. Seit kurzem auch mit dem Segen des Erzbischofs von Palermo und – wie es aus der Diözese heißt, auch inoffiziell mit dem Segen von Papst Franziskus.