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Barbara Hendricks
"Halte Klimaabgabe für ausgewogen und vorsichtig"

Bei der Suche nach einem geeigneten Atommüll-Zwischenlager strebe sie eine "ausgewogene Verteilung" an, sagte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks im DLF. Es könnten bundesweit vier Standorte werden, so die SPD-Politikerin. Im Interview der Woche geht Hendricks auch auf die Einführung der Klimaabgabe und die neue Fracking-Gesetzgebung ein.

Barbara Hendricks im Gespräch mit Barbara Schmidt-Mattern | 17.05.2015
    Bundesumweltministerin Barbara Hendricks
    Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) am 12.1.2015 im Kölner Deutschlandfunk-Studio. (Deutschlandfunk/Bertolaso)
    Schmidt-Mattern: Die Bundesumweltministerin ist bei uns zu Gast im Deutschlandfunk. Frau Hendricks, schönen guten Tag.
    Hendricks: Guten Tag.
    Schmidt-Mattern: Lassen Sie uns vielleicht mit einem Bild einsteigen. Ich erinnere mich an die vielen Filme und Fotos, die es von Ihren Vorgängern im Amt gibt – von Peter Altmaier und Norbert Röttgen, beide Christdemokraten, die hier im Berliner Regierungsviertel immer wieder Fahrrad fahrend gesichtet worden sind. Von Ihnen gibt es überhaupt keine Radl-Bilder – wie kommt das eigentlich?
    Hendricks: Weil ich in Berlin nicht mit dem Fahrrad fahre. Ich bin andererseits wirklich – ich komme ja vom Niederrhein – eine Fahrradfahrerin und bin im letzten Jahr in meinem Urlaub von den Schweizer Bergen bis zu mir nach Haus an den Niederrhein rund 1.000 Kilometer Fahrrad gefahren, immer am Rhein entlang. Also Fahrradfahren tue ich viel, aber nicht demonstrationsweise in Berlin.
    Schmidt-Mattern: Sie könnten das ja durchaus für Ihre politischen Botschaften aber positiv ausnutzen. In einem Eckpunktepapier von Ihrem Ministerium – das habe ich nachgelesen – heißt es, dass gerade der Fahrradverkehr ziemlich bedeutsam sei für Treibhausgas-Minderung. Das ist ja auch einleuchtend. Nun hat man aber von dieser Großen Koalition – deren Mitglied Sie sind – das Gefühl, dass verkehrspolitisch eher der Berliner Flughafen oder die Maut interessieren, aber überhaupt nicht der klimafreundliche Fahrradverkehr. Müssten Sie da ein bisschen aktiver werden als Umweltministerin?
    Hendricks: Ich habe mich dazu schon sehr eindeutig positioniert. Es gibt zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen die Planung einer etwas über 100 Kilometer langen Schnellradfahrstrecke, auf der die Menschen zur Arbeit fahren. Die fahren natürlich dann nicht 100 Kilometer, sondern die zwölf oder 15 Kilometer, die sie sonst mit dem Auto fahren. Und das ist gerade vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der E-Bike-Verkehr so zunimmt, auch für Berufstätige interessant.
    Das ist übrigens der Grund, warum ich bisher auch nicht in Berlin mit dem Fahrrad fahre. Weil, wenn man so in Businesskleidung unterwegs ist und kommt schon verschwitzt im Büro an, das ist nicht das Beste, was man haben kann. Aber wenn man zum Beispiel ohne Anstrengung Fahrrad fahren kann, dann kann man damit natürlich auch gut ins Büro oder sonst in den Betrieb fahren.
    "Bei den Erneuerbaren Energie arbeite ich nicht im Windschatten"
    Schmidt-Mattern: Frau Hendricks, Ihr Ministerium, das musste bei der Regierungsbildung vor zwei Jahren einen gehörigen Anteil Macht und Einfluss an das Bundeswirtschaftsministerium abgeben, nämlich den Bereich Erneuerbare Energien. Dafür ist jetzt nicht mehr das Umweltministerium zuständig, sondern eben Sigmar Gabriel, Ihr Parteichef. Wie sehr frustriert Sie das eigentlich, dass Sie da im Moment im Windschatten des Wirtschaftsministeriums und auch Ihrer Parteichefs arbeiten müssen?
    Eine Solarzelle in Form eines Puzzleteils
    Eine Solarzelle in Form eines Puzzleteils (imago/Science Photo Library)
    Hendricks: Nein, das frustriert mich gar nicht. Und ich glaube auch nicht, dass ich da im Windschatten arbeiten muss. Ich habe ja andere Aufgaben hinzubekommen; ich bin auch Klimaministerin. Und wenn Sie so wollen, ist ja der Klimaschutz das obere Ziel. Die Erneuerbaren Energien dienen ja dazu, dass wir unsere Klimaziele einhalten.
    Schmidt-Mattern: Da haben Sie eben schon ein Stichwort genannt: "Mehr Erneuerbaren Energien". Das heißt, im Umkehrschluss auch, dass dringend die CO2-Emissionen gesenkt werden müssen: in Deutschland, in Europa, weltweit. Die Bundesregierung hat sich in Ihrem Klimaschutzpaket dazu verpflichtet, dass der deutsche CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent sinken soll gegenüber 1990.
    Das bringt mich zu dem Stichwort "Kohle" – das ist eines der umstrittensten Themen im Moment bei Ihnen in der Großen Koalition. Ihr Kabinettskollege Sigmar Gabriel hat vorgeschlagen, eine sogenannte "Klimaabgabe", von der vor allem ältere Kohlemeiler betroffen wären. Sind sie älter als 20 Jahre, müssen sie eine Art Strafzahlung leisten. Diese Klimaabgabe stößt auf allergrößten Widerstand bei Gewerkschaften und auch beim Koalitionspartner. Kommt diese Klimaabgabe jetzt: Ja oder Nein?
    "Halte Klimaabgabe für ausgewogen und vorsichtig"
    Hendricks: Nun, wir sind natürlich noch in den Verhandlungen. Ich will aber zunächst mal darauf hinweisen, dass wir als Bundeskabinett noch im Dezember des letzten Jahres – also vor gerade mal fünf Monaten – beschlossen haben, ein Klimaaktionsprogramm, in dem festgelegt worden ist, dass der Energiebereich, die Energiewirtschaft bis zum Jahr 2020 zusätzlich 22 Millionen Tonnen CO2-Minderung leisten soll. Andererseits müssen natürlich auch andere Bereiche dazu beitragen, der Verkehr zum Beispiel zehn Millionen Tonnen, die Landwirtschaft sechs bis sieben Millionen Tonnen und jetzt müssen natürlich, um die Ziele zu erreichen auch Mittel benannt werden, wie es denn geht.
    Schmidt-Mattern: Das hat Herr Gabriel ja getan. Befürworten Sie die Klimaabgabe?atürlich auch andere Bereiche beitragen: Der Verkehr zum Beispiel zehn Millionen Tonnen; die Landwirtschaft sechs bis sieben Millionen Tonnen. Und jetzt müssen natürlich, um die Ziele zu erreichen, auch Mittel benannt werden, wie es denn geht.
    Hendricks: Ja, ich halte die für wirklich ausgewogen und vorsichtig. Und um eben auch Strukturbrüche zu vermeiden, sollte man eben jetzt sinnvollerweise einen Strukturwandel einleiten, der sicherlich 35 Jahre oder länger noch in Anspruch nehmen wird und der natürlich wirtschaftlich und sozial im Sinne auch von Arbeitsplätzen und regionaler Wirtschaftskraft gestaltet werden muss. Aber es nützt nichts, jetzt sozusagen den Kopf in den Sand zu stecken und zu sagen: 'Oh, das könnte aber gefährlich sein'. Nein, nach den Vorschlägen von Sigmar Gabriel sind 90 Prozent aller Kraftwerke sowieso nicht betroffen, und deswegen ist das ein vorsichtiger Strukturwandel, den wir als Politik verlässlich zu begleiten haben. Das wird ja immer von der Politik erwartet, dass sie verlässliche Rahmendaten gibt, anhand derer sich dann auch die Beteiligten – seien es die Unternehmen, seien es die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften – orientieren können, sodass die richtigen Entscheidungen auf Sicht gefällt werden und deswegen hilft es nichts, wenn jetzt manche aus der Union vor lauter Angst nicht mitmachen wollen.Das nützt nichts und deswegen muss man auch manchmal politische Entscheidungen fällen und dazu stehen.
    Schmidt-Mattern: Also ich verstehe Sie richtig: Die Klimaabgabe kommt, sie ist ...uf Sicht gefällt werden. Und deswegen hilft es nicht, wenn jetzt manche aus der Union vor lauter Angst oder so da einfach nicht mitmachen wollen. Das nützt nichts. Man muss auch politische Entscheidungen fällen und dazu stehen.
    Hendricks: Vielleicht auf eine abgewandelte Art und Weise.
    Schmidt-Mattern: Was heißt das konkret?
    Hendricks: Nun, da werden zur Zeit noch Verhandlungen geführt. Der entscheidende Punkt ist, dass die "minus 22 Tonnen" auch erreicht werden. Wenn zum Beispiel andere in der Lage wären zu sagen, dass man das auf andere Weise in der Energiewirtschaft hinbekommen könnte, wären wir selbstverständlich offen dafür. Aber wir haben bisher noch keine richtig tragfähigen Vorschläge bekommen.
    Schmidt-Mattern: Na ja, es heißt ja zum Beispiel aus der Union, man könnte das besser steuern über den Emissionshandel und überhaupt hätte es jetzt keinen Sinn, noch mehr nationalstaatliche Regulierung vorzunehmen, sondern man müsse in Sachen Klimapolitik viel stärker auf europäischer Ebene denken. Das ist doch richtig, Sie schaden doch möglicherweise dem Industriestandort Deutschland mit dieser Politik, oder nicht?
    Hendricks: Aber nein, wir schaden nicht dem Industriestandort Deutschland. Im Übrigen haben wir uns natürlich auch auf europäischer Ebene schon längst verpflichtet, diese "minus 40 Prozent" hinzubekommen bis zum Jahr 2020. Die Bundeskanzlerin hat sich für den G7-Gipfel in Elmau das Thema Klimawandel ganz prominent vorgenommen und will dafür werben, dass wir tatsächlich zu einem guten Ergebnis kommen. Da kann sie ja nicht mit leeren Händen hinfahren und jetzt so tun, als hätte alles das, was wir schon längst beschlossen haben seit dem Jahr 2007, auf den Weg gebracht haben, als hätte das alles keine Gültigkeit mehr.
    Schmidt-Mattern: Frau Hendricks, Sie sind promovierte Historikerin. Sie haben Ihre Dissertation geschrieben über die Margarineindustrie am unteren Niederrhein im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, ein Stück Industriegeschichte also.
    Hendricks: Ja.
    Schmidt-Mattern: Was sagen Sie denn Ihren Parteifreunden in den ostdeutschen Bundesländern jetzt, in den Braunkohleregionen? Was sagen Sie den Gewerkschaften, die Sturm laufen gegen die Klimaabgabe? Gibt es die industriepolitischen Wurzeln der SPD noch, oder gibt Ihre Partei diese Wurzeln auf?
    Hendricks: Nein, selbstverständlich nicht. Wenn Sie das über einen längeren Zeitraum beobachten, dann können Sie eigentlich feststellen, dass die SPD die einzige Partei ist, die immer tatsächlich einen industriepolitischen Ansatz verfolgt hat und dies auch weiter tun wird.
    Schmidt-Mattern: Die Gewerkschaften sehen das gerade ganz anders.
    Hendricks: Na ja, die Gewerkschaften sehen das nicht anders. Es gibt auch durchaus unterschiedliche Positionen innerhalb der Gewerkschaften. Ich will jetzt nicht die verschiedenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegeneinander ausspielen, aber die Tatsache, dass Braunkohlekraftwerke andere hocheffiziente Kraftwerke aus dem Markt verdrängen, hat natürlich auch Folgerungen bei diesen Arbeitnehmern; hat Folgerungen bei vielen Stadtwerken, weswegen die sich ja auch für Klimaabgabe ausgesprochen haben; hat Folgerungen für die Produzenten von Gaskraftwerken – Stichwort: Siemens baut in Mülheim Arbeitsplätze ab. Also das ist alles nicht so eindimensional. Man muss sich der Verantwortung schon, sowohl regionalwirtschaftlich als auch im Verhältnis zu allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, stellen.
    "Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags sollte Selektorenlisten bekommen"
    Schmidt-Mattern: Nun ist ja die Kohle nicht das einzige Streitthema in diesen Tagen in Ihrer Koalition mit der Union im Bund. Es gibt kräftige Auseinandersetzungen zwischen dem Kanzleramt und Ihrer Partei, der SPD, was den Umgang mit den Geheimdienstaktivitäten betrifft, also konkret die Frage: Hat der Bundesnachrichtendienst im Auftrag der Amerikaner illegale Spionage betrieben und wenn ja, was wusste das Kanzleramt darüber? Frau Hendricks, was fordern Sie jetzt von der Kanzlerin?
    Hendricks: Nun, meine persönliche Forderung geht in die Richtung, wie sie auch vom Deutschen Bundestag erhoben worden ist. Der Deutsche Bundestag möchte alle Unterlagen haben, um sich ein vernünftiges, fundiertes Urteil bilden zu können. Und deswegen werden irgendwann diese sogenannten Selektorenlisten dem Bundestag zur Verfügung gestellt werden müssen. Nicht dem ganzen Bundestag, dem Untersuchungsausschuss vielleicht auch nicht, übermittelt werden, sondern es gibt ein Verfahren, wo dann Mitglieder des Untersuchungsausschusses Einsicht nehmen können und nicht Notizen machen können und auch nicht fotografieren und so. Also solche Verfahren sind anwendbar und anwendungsfähig. Und da stehe ich an der Seite des Deutschen Bundestages.
    Schmidt-Mattern: Und wie sehr entzweit das Ihre Koalition im Moment? Fordern Sie nicht auch, dass Frau Merkel jetzt endlich Farbe mal bekennen muss, was da gelaufen ist in Sachen Geheimdienstzusammenarbeit in den letzten Jahren?
    Hendricks: Ich will mich da ein bisschen zurückhalten – ich denke, da ist das Notwendige gesagt worden.Schmidt-Mattern: Eine Rückfrage, die Selektorenliste betreffend, also diese Liste mit E-Mail- oder auch IP-Adressen, die eben Aufschluss darüber geben könnte, welche Firmen und politischen Institutionen abgehört wurden in Europa. Müssen wir da eigentlich wirklich als Deutsche oder Sie als Bundesregierung auf die Erlaubnis der Amerikaner warten?Hendricks: Ich kenne die Grundlagen der Zusammenarbeit nicht so genau. Soweit ich weiß, gehen die Grundlagen auf die 1960er-Jahre zurück.Schmidt-Mattern: Das ist lange zurück, ja.Hendricks: Ich kenne den völkerrechtlichen Vertrag nicht, und deswegen kann ich von mir aus nicht sagen, wie die Aussagen dieses völkerrechtlichen Vertrages sind.Schmidt-Mattern: Aber Sie werden dazu eine Meinung haben, Frau Hendricks?Hendricks: Im Zweifelsfall steht natürlich das deutsche Verfassungsrecht auf der einen Seite und der völkerrechtliche Vertrag auf der anderen Seite. Und ich denke, dass es dann auch irgendwann zu einer auch rechtlich fundierten Entscheidung kommen wird. Ich bin persönlich der Auffassung, dass mindestens die Untersuchungsgremien des Deutschen Bundestages informiert werden müssen, ja.Schmidt-Mattern: Treibt Sie gelegentlich die Sorge um, solange es so sehr hapert mit der Aufklärung dieser Affäre, dass die SPD in diesen ganzen Schlamassel mit reingezogen wird?Hendricks: Nein, die Sorge treibt mich nicht um. Das ist völlig klar, dass das also in Jahren passiert ist, als wir keine Verantwortung in diesem Zusammenhang hatten. Nicht, dass ich mich vor Verantwortung drücken will, aber man muss eben zu den Verantwortungen, die man hat, stehen. Und das gilt für alle."Bremische CDU gehört nicht zu den Impulsgebern"Schmidt-Mattern: Wir hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit der Bundesumweltministerin Barbara Hendricks. Lassen Sie uns noch einen Moment lang bei Ihrer Partei verweilen. Die Landtagswahl in Bremen liegt genau eine Woche zurück. Eine historische Niederlage für Ihre Partei und minus 13 Prozent für das rot-grüne Bündnis. Sind die Zeiten von Rot-Grün jetzt allmählich endgültig vorbei in Deutschland?Hendricks: Ach, das sehe ich eigentlich nicht so. Dass die SPD etwas verloren hat, einige Prozentpunkte, finde ich natürlich auch sehr bedauerlich, das hat aber sicherlich auch ...Schmidt-Mattern: Das schlechteste Ergebnis überhaupt bisher. Das muss Sie doch beunruhigen?Hendricks: Ja, ich weiß. Ja, natürlich. Natürlich beunruhigt mich das auch. Das ist das schlechteste Ergebnis seit dem Zweiten Weltkrieg, das ist mir klar. Dass man in Stadtgesellschaften noch mal anders mit den Wählerinnen und Wählern korrespondieren muss, als in ländlichen Räumen, das liegt auf der Hand. Aber normalerweise ist die SPD da weitaus erfolgreicher als die Union.Schmidt-Mattern: Kann sich Ihre Partei ein bisschen besser erholen vielleicht, wenn man jetzt erst mal eine Große Koalition in Bremen eingeht mit der CDU?Hendricks: Dazu will ich mich nicht äußern. Aber ich glaube nicht, dass sich die SPD erholen muss, also auch nicht im Verhältnis zur Union. Also die Bremische CDU gehört jedenfalls nicht zu denjenigen, die irgendwelche Impulse geben würde.Schmidt-Mattern: Würden Sie denn sagen, dass von dieser Wahl in Bremen, die eine schmerzhafte Niederlage für die SPD ja vor allem gewesen ist, dass das eine gewisse Signalwirkung hat, die über diesen kleinen Stadtstaat hinaus auch weit in den Bund hinaus wirkt?Hendricks: Nein. Also das sehe ich nicht so. Es ist allerdings in der Tat so, dass natürlich erstens die Wahlbeteiligung nicht unbedeutend ist und zum anderen es auch immer so ist, dass ein Trend, ein bundesweiter Trend schon auch prägt. Also es gelingt in vielen Ländern der Bundesrepublik, dass die SPD stärker ist, als der allgemeine Bundestrend, selbstverständlich. Aber auch bei Landtagswahlen oder Kommunalwahlen ist man vom allgemeinen Bundestrend immer abhängig und kann sich nur in gewissem Umfang davon absetzen. Und das gilt eigentlich auch für alle Länder – das ist so. Umgekehrt profitieren manche Unions-Landesverbände eben auch vom Bundestrend, obwohl sie nicht eigentlich aus eigenen Kräften was zugelegt hätten. Also ich mache mir jetzt wegen Bremen keine Sorgen um die Sozialdemokratie. Es ist zwar wirklich das Schlechteste ...Schmidt-Mattern: Aber wegen was dann?Hendricks: Entschuldigung. Es ist zwar wirklich das schlechteste Ergebnis seit dem Zweiten Weltkrieg, aber trotzdem immer noch gut zehn Prozentpunkte vor der nächst stärksten Partei. Also es ist auch noch kein Weltuntergang, um das mal so zu sagen.Schmidt-Mattern: Frau Hendricks, Sie sind als Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit viel in der ganzen Republik unterwegs. Sie haben Ihren Wahlkreis am Niederrhein, Sie stammen aus Nordrhein-Westfalen. Das heißt, Sie bekommen über das Berliner Regierungsviertel hinaus mit, wie die Bevölkerung im Moment so denkt über die Bundespolitik und auch über Ihre Partei. Ich spiele an auf das 25-Prozent-Tal, in dem die SPD verharrt in den Umfragen. Haben Sie persönlich eine Erklärung dafür, warum es der SPD trotz einiger politischer Projekte – Beispiel Mindestlohn – nicht gelingt, aus diesem Umfragetief herauszukommen?Hendricks: Natürlich machen wir uns dazu Gedanken, aber ich mache mir persönlich auch nicht die meisten Sorgen. Meine Aufgabe ist, anständige Arbeit abzuliefern. Das tue ich auch. Und ich gehe davon aus, dass das, was die SPD in der Regierungsverantwortung macht, dass das von den Bürgerinnen und Bürgern auch wahrgenommen wird.Fracking: "Wir werden nur Probebohrungen erlauben"Schmidt-Mattern: Gut. "Anständige Arbeit" – kommen wir mal auf das Thema Fracking zu sprechen. Das Gesetz, dass Sie zusammen mit dem Bundeswirtschaftsminister auf den Weg gebracht haben, wird im Moment im Bundestag debattiert. Fracking ist eine der umstrittensten Fördermethoden für Erdgas, die es gibt.Allein das Wort löst bei vielen in der Öffentlichkeit schon so eine Art Schauern aus. Sie haben jetzt ein Gesetz auf den Weg gebracht, das Fracking erlauben soll, trotz der massiven Gefahren für Mensch und Umwelt. Wieso wollen Sie Fracking in Deutschland trotzdem erlauben?Hendricks: Sehen Sie, wir müssen genau andersherum anfangen: Jetzt ist Fracking erlaubt, und zwar ziemlich unbegrenzt. Wenn jetzt ein Unternehmen einen Antrag bei einer Bergbehörde stellen würde, müsste die Bergbehörde nach dem geltenden Bergrecht Fracking erlauben und könnte nicht mal eine Umweltverträglichkeitsprüfung verlangen. Wir machen jetzt genau das Gegenteil: Wir haben ein Gesetzespaket vorgelegt, das dem Fracking in Deutschland sehr enge Grenzen setzt. Also wir machen es viel schwieriger, als es bisher ist.Schmidt-Mattern: Warum verbieten Sie es nicht einfach, Frau Hendricks?Hendricks: Also wir habe ja zwei Sorten von Fracking. Also bis jetzt haben wir eine Sorte, die schon praktiziert wird, das sogenannte "konventionelle Fracking". Das wird seit ungefähr 50 Jahren in Niedersachsen praktiziert und holt also Gas und auch Öl aus Sandgestein. Das sogenannte "unkonventionelle Fracking", das bis jetzt Deutschland noch nicht stattfindet, für das es aber ein Interesse in der Tat gibt – das ist jetzt nicht mein persönliches Interesse, aber es gibt ein wirtschaftliches und wissenschaftliches Interesse an dieser Technologie. Dieses sogenannte "unkonventionelle Fracking" soll also stattfinden in Schiefer- und Kohleflözgestein.Wäre neu, kennen wir bisher noch nicht, haben wir keine Erfahrungen damit. Es ist nicht so einfach, vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, etwas zu verbieten, von dem man noch nicht so recht weiß, wie es überhaupt wirkt. Und deswegen werden wir auch in sehr engen Grenzen vorerst nur Probebohrungen erlauben, nach ganz klaren, engen Bezügen. Also zum Beispiel ein Verbot in allen schützenswerten Gebieten, Trinkwassergewinnungsgebiete und alles, was dazu gehört. Aber es ist nicht so einfach vor dem Hintergrund des Grundgesetzes und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, den wir eben auch in der Rechtsetzung einzuhalten haben, etwas vollständig zu verbieten.Schmidt-Mattern: Ich zähle mal die Argumente der Fracking-Kritiker oder Fracking-Gegner auf: Diese Fördermethode verseucht möglicherweise das Grund- und Trinkwasser durch Chemikalien ...Hendricks: Wir erlauben ja gar keine Zugabe von Chemikalien. Wir sagen, dass, also wenn diese Probebohrungen stattfinden sollen, dass das nur mit Flüssigkeiten geschehen darf, die der Wassergefährdungsklasse Null angehören. Wassergefährdungsklasse Null, das ist allenfalls Wasser, Sand und Salze, aber bestimmt keine Chemikalien.Schmidt-Mattern: Aber dennoch, Frau Hendricks, Fracking genießt ungefähr so viel Akzeptanz in der Öffentlichkeit, wie Atomkraft. Wie wollen Sie diesen Vorwurf ausräumen, dass Ihr Gesetz am Ende nicht einfach ein Geschenk an die Fracking-Lobby ist beziehungsweise an den Wirtschaftsflügel der Union, also Ihren Koalitionspartner, damit wenigstens an dieser Front mal Ruhe herrscht in der Großen Koalition?Hendricks: Sehen Sie, wir werden das Gesetzgebungsverfahren ja noch gemeinsam optimieren.Schmidt-Mattern: Können Sie das konkretisieren? Wird es Verschärfungen geben beim Fracking-Gesetz?Hendricks: Es wird sicherlich noch weitergehende Überlegungen geben, denen ich auch offen gegenüber stehe. Also ich will aber jetzt nicht vorhersagen, wie das genau gehen wird.Schmidt-Mattern: Schade.Hendricks: Ja, die Koalitionsfraktionen müssen sich darauf verständigen. Mir läge daran, wenn die Menschen wahrnehmen würden – auch übrigens die Grünen zum Beispiel –, dass wir eben genau von der umgekehrten Situation ausgehen: Jetzt ist alles erlaubt und zukünftig wird ganz viel verboten sein, was jetzt erlaubt ist, wenn auch kein vollständiges Verbot.Das Zeitalter der fossilen Rohstoff muss zu Ende gehenSchmidt-Mattern: Sie selbst haben mehrfach – eigentlich klang es auch jetzt wieder durch – den Eindruck erweckt – unter anderem bei Ihren Reden im Bundestag, auch im Bundesrat –, dass Sie als Klimapolitikerin Fracking eigentlich eh für das völlig falsche Signal halten. Damit führen Sie Ihr eigenes Gesetz ein bisschen ad absurdum.Hendricks: Also ich habe wirklich Zweifel, ob wir diese Technik überhaupt brauchen. Als Klimaministerin ist mir doch völlig klar, dass das Zeitalter der fossilen Rohstoffe zu Ende gehen muss, zu Ende gehen soll. Darauf haben wir uns auch alle eigentlich gemeinsam schon verständigt. Als Klimaministerin ist mir klar, dass wir es eigentlich nicht brauchen, dass wir eigentlich darauf verzichten können.Schmidt-Mattern: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit Barbara Hendricks, der Bundesumweltministerin. Kommen wir mal von einem Streitthema zum nächsten, nämlich vom Fracking zum Atommüll. Es gibt eine Kommission im Deutschen Bundestag, die nach einem Endlager suchen soll für den deutschen Atommüll oder treffender, sie soll die Kriterien für die Suche erarbeiten. Das klingt ganz gut gemeint, aber am Ende wird es doch Gorleben als deutsches Endlager, oder Frau Hendricks?Hendricks: Nein, natürlich nicht. Also Gorleben ist zwar sozusagen weiterhin im Spiel. Die Kommission muss ihre Vorschläge bis zur Mitte des nächsten Jahres vorlegen – da kann ich im Moment gar nicht sagen, wie die Vorschläge aussehen werden. Vielleicht sagt die Kommission: ‚Salz kommt nicht in Frage und dann ist Gorleben sofort raus – ich weiß es noch nicht.Schmidt-Mattern: Nun gibt es ja neben der verzweifelten Suche nach einem Endlager noch ein zweites Problem, nämlich die Frage: Wohin eigentlich mit diesen 26 Castoren voller deutschem Atommüll, die absehbar aus Frankreich und Großbritannien wieder zurückgeliefert werden müssen aus den Wiederaufbereitungsanlagen dort."Wir wollen einen Neustart bei der Endlagersuche"Hendricks: Ja.Schmidt-Mattern: Wo, Frau Hendricks – Sie haben ja gesagt, Sie werde das jetzt entscheiden, nachdem die Bundesländer, salopp gesagt, nicht "zu Potte kommen" mit Standort-Vorschlägen, Sie wollen das jetzt entscheiden –, wo wollen Sie denn den deutschen Atommüll künftig zwischenlagern?Hendricks: Also es ist klar, es geht um 26 Castoren und die werden nicht nach Gorleben kommen, um das vorweg zu schicken. Das war schon sozusagen vereinbart, auch vor zwei Jahren.Schmidt-Mattern: Ich wollte gerade fragen.Hendricks: Also wir wollen wirklich einen Neustart bei der Endlagersuche machen.Schmidt-Mattern: Sie schließen Gorleben aus als Zwischenlager-Standort?Hendricks: Gorleben ist ausgeschlossen, darauf haben wir uns schon vor zwei Jahren verständigt. Und ich werde dafür sorgen, dass wir eine ausgewogene Verteilung über die Bundesrepublik Deutschland hinbekommen, und Gorleben ist ausgenommen.Schmidt-Mattern: "Eine ausgewogene Verteilung", das hätten wir gerne noch ein bisschen genauer. Ich nenne Ihnen mal ein paar Vorschläge: Schleswig-Holstein hat sich grundsätzlich bereit erklärt, Baden-Württemberg, der dritte Standort könnte in Hessen liegen zum Beispiel.
    Hendricks: Das könnte sein, aber es müssen auch nicht unbedingt drei Standorte sein, es können auch sehr gut vier Standorte sein.Schmidt-Mattern: Haben Sie eigentlich in letzter Zeit mal mit Horst Seehofer gesprochen? Es gibt ja kaum ein Bundesland, das so viel Atomkraft produziert hat wie Bayern, und die CSU wehrt sich bisher erfolgreich, überhaupt ein Zwischenlager anzubieten. Müssen Sie da jetzt mal mit den Bayern ein Machtwort sprechen?Hendricks: Ach, wir sind ja durchaus im Gespräch, so ist es ja nicht. Und ich bin auch sehr zuversichtlich, dass wir das alles gut hinbekommen.Schmidt-Mattern: Also Sie haben mit Horst Seehofer doch über die Zwischenlagerfrage gesprochen?Hendricks: Ja, schon vor längerer Zeit.Schmidt-Mattern: Und, was hat er gesagt?Hendricks: Sie wissen doch, dass man solche Gespräche nicht übers Radio verbreitet.Schmidt-Mattern: Trotzdem kann man sich ja gelegentlich des Eindrucks nicht erwehren, dass Horst Seehofer bei überhaupt dem ganzen Thema Energiewende auf die Bremse tritt – Stichwort "Trassenausbau in Bayern". Können Sie die Energiewende mit der CSU eigentlich noch ansatzweise voranbringen derzeit?Hendricks: Nun, das ist eine Frage, die sich insbesondere an die Union in Ihrer Gesamtheit richtet.Schmidt-Mattern: Ja, das frage ich Sie.Hendricks: Und nach allem, was entschieden worden ist bis jetzt, auf den Weg gebracht worden ist, sollen alle grundsätzlichen Entscheidungen im Koalitionsausschuss im Juni diesen Jahres, also im nächsten Monat gefällt werden. Dazu gehören dann eben auch Trassenführungen und anderes. Die Energiewende ist ja nicht das Steckenpferd von irgendwelchen verrückt gewordenen Sozialdemokraten, sondern die Energiewende ist eine Gemeinschaftsaufgabe der gesamten Bundesregierung und der ...Schmidt-Mattern: Davon merkt man im Moment nicht so viel.Hendricks: Ja, sehen Sie, wenn Sie das schon so sagen, dann wäre immer die Frage: Wie ist denn das Koalitionsklima und wie sieht es denn da aus?Schmidt-Mattern: Genau.Hendricks: Vielleicht an der Stelle immer mal ein bisschen besser aufgehängt, als zum Beispiel an der Frage: Wie gehen wir mit diesen Selektorenlisten um?Schmidt-Mattern: Also ich habe jetzt nicht wahrgenommen, dass das Koalitionsklima beim Thema Energiewende besser ist, als bei den Selektorenlisten.Hendricks: Nein, das ist ja auch richtig. Also was heißt, "Koalitionsklima"? Wir gehen ja eigentlich immer verhältnismäßig sachlich mit den Fragen um und machen daraus jetzt nicht eine Koalitionskrise. Aber es muss in der Tat entschieden werden, und es ist verabredet, dass dies im Juni – also vor der parlamentarischen Sommerpause – geschehen soll.Schmidt-Mattern: Zum Schluss unseres Interviews, Frau Hendricks, wollen wir den Blick noch einmal ein bisschen weiten. Und zwar findet Anfang der kommenden Woche der Petersberger Klimadialog hier in Berlin statt. Am Dienstag wird der französische Staatspräsident erwartet, Francois Hollande, der sich gemeinsam mit der Kanzlerin zur Klimapolitik äußern wird. 35 Staaten kommen auf Ihre Einladung hierher nach Berlin und Sie wollen die Weltklimakonferenz Ende des Jahres in Paris vorbereiten. Was konkret wollen Sie jetzt beim Petersberger Klimadialog denn erst einmal erreichen?Hendricks: Nun, wir können natürlich die Verhandlungen nicht ersetzen. Der Pariser Gipfel ist eine UNO-Veranstaltung und da können wir nicht mit anderen Gruppierungen sozusagen schon Beschlüsse fassen. Aber wir wollen eben den Boden bereiten für einen Erfolg in Paris und uns annähern bei der Frage, wie das Abkommen von Paris aussehen soll und wie wir am besten dahin kommen.Dazu gehört natürlich auch die Tatsache, dass noch nicht alle Staaten angemessene und faire Beiträge ihrer eigenen Anstrengungen vorgelegt haben. Wir brauchen das klare Bekenntnis dazu, dass wir maximal zwei Grad Erderwärmung zulassen wollen. Und wir brauchen Fortschritte bei der Frage, wie wir mehr Investitionen in den Klimaschutz und auch in die Anpassung des schon stattfindenden Klimawandels hinbekommen. Denn der Klimawandel kommt ja von der industriellen Produktionsweise, und damit haben die Entwicklungsländer ja bis jetzt sehr wenig zu tun.Schmidt-Mattern: Nun haben wir außer der UN-Klimakonferenz in diesem Jahr auch einen Gipfel der G7 Industrienationen. Deutschland hat die Präsidentschaft inne. Im kommenden Monat wird es den G7-Gipfel im bayerischen Elmau geben. Und man hat im Moment den Eindruck, dass es energiepolitisch noch nicht so richtig voran geht mit dieser G7-Präsidentschaft, was die Deutschen da auf Weg voranbringen. Wird das Ganze eine "lahme Ente"?Hendricks: Nein, davon gehe ich nicht aus. Der G7-Gipfel ist natürlich gut vorbereitet und die Themen, die da behandelt werden, werden im Vorhinein abgestimmt. Und da gibt es einen vorbereitenden Prozess, der sogenannte Sherpa-Prozess. Die Sherpas sind sozusagen die Chefunterhändler der Chefs, um das mal so zu sagen, und die treffen sich in vielen vorbereitenden Runden. Das findet statt, das hat stattgefunden und findet weiterhin statt. Und da verständigt man sich im Vorhinein darauf, in welche Richtung es gehen wird. Und ich bin sehr zuversichtlich, dass es zu guten Ergebnissen kommt. Denn wenn da die sieben zusammensitzen, dann repräsentieren die ja auch mehr als 50 Prozent des Weltbruttosozialproduktes. Und wenn die sich verständigen, dann können die andere schon mitnehmen.Schmidt-Mattern: Klingt noch nach viel Arbeit. Frau Hendricks, vielen Dank für dieses Gespräch.Hendricks: Gerne.Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Ein Fracking-Bohrturm in der Abenddämmerung. 
    Fracking-Gesetzgebung engt das Verfahren in Deutschland ein, sagt Umweltministerin Hendricks. (dpa/picture alliance/Jim Lo Scalzo)
    Castor-Behälter werden im November 2011 in Dannenberg mit einem Verladekran vom Zug auf Tieflader umgeladen.
    Umweltministerin Barbara Hendricks setzt auf drei oder vier Standorte bei der Zwischenlagersuche für Atommüll. (picture alliance / dpa / Foto: Kay Nietfeld)