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Barbecue
Das Schwein als Leinwand

Barbecue ist in den USA eine Art Volkssport - und wir in manchen Staaten äußerst ernst genommen: In Tennessee gibt es sogar eine Barbecue-Weltmeisterschaft, wo sich die Teilnehmer auch mal als Künstler verstehen.

Von Marion Trutter | 11.05.2014
    Eine Schweinfigur steht vor der amerikanischen Flagge.
    Barbecue ist in den USA eine Art Volkssport – so ähnlich wie bei uns das Grillen. (Deutschlandradio / Marin Trutter)
    Ein Freitagabend im Mai. Oder besser: DER Freitagabend im Mai. Zumindest für die Teams, die wie jedes Jahr zum World Championship Barbecue Cooking Contest antreten. Kurz: zur Barbecue-Weltmeisterschaft. Drei Tage lang dreht sich jetzt in Memphis alles um Spareribs, Schultern, ganze Schweine. Zu finden ist das Event ganz einfach: immer der Nase nach. Oder dem Lärm. Klingt nach einem Riesenspaß. Aber ganz so einfach ist das nicht. Ed Wilson aus Connecticut, seit zwölf Jahren Juror, erklärt, wie er das als Insider sieht:
    "Barbecue ist eine Kunstform. Was ich blau nenne und was du als Künstler blau nennst, kann sehr unterschiedlich sein. Wie wir zum gleichen Ergebnis kommen, kann verschieden sein: die Art, wie du dein Schwein einpinselst, wie du deine Gewürze mischt, wie dein Ofen brennt - manche brennen rechts heißer, manche eher links - je nach Design. Barbecue ist also nicht nur ein Ganzjahressport, sondern eine Kunstform."
    Also eine Art Kunstfestival. Das klingt verheißungsvoll. Hunderte Buden und Stände stehen - ordentlich nach Wettbewerbskategorien sortiert - auf einem riesigen Gelände direkt am Mississippi. Um die 250 Teams sind bei der Barbecue-Weltmeisterschaft dabei. Teams mit so vielsagenden Namen wie "Sweet Swine O’Mine", "Pork-o-saurus", "Smoking with an attitude" oder auch "Oinkin’ On The River". Ziel der meisten: der Gesamtsieg in einer der Hauptkategorien: Schweineschulter, Ribs oder "whole hog": ganzes Schwein.
    Los geht’s aber am Freitag ganz entspannt mit dem Wettbewerb "Anything but". Gebrutzelt und bewertet wird alles außer eben Schwein - also Rindfleisch und Geflügel, Fisch und Meeresfrüchte, Chicken Wings und Saucen, das beste Team-T-Shirt und der beste Stand. Dazu in der Kategorie "Exotic"-Spezialitäten von Rebhuhn über Büffel bis zu Alligator und Klapperschlange.
    "Wenn wir Barbecue sagen, meinen wir Schwein"
    Für die diejenigen, die Barbecue so richtig ernst nehmen, ist der Freitag allerdings nur ein seichtes Vorgeplänkel. Fisch, Huhn oder gar Gemüse kommen ihnen nicht in den Grill, so Diane Hampton, Vizechefin des Festivals Memphis in May: "Wenn wir Barbecue sagen, meinen wir Schwein. Viele Leute hier im Süden züchten Schweine als wichtiges Lebensmittel und bei großen Festen gehört das Schlachten traditionell dazu. Es wurde traditionell am Spieß über offenem Feuer gegrillt. Und wenn man so ein großes Tier schlachtete, musste man die ganze Familie oder die Nachbarn versammeln. Jemand brachte eine Gitarre, jemand spielte Mundharmonika - man kam einfach draußen zusammen."
    Schon bald aber wurde nicht mehr überm offenen Feuer gebrutzelt. Die Farmer bastelten aus alten Tanks oder Ölfässern Fleischbrat-Öfen. Und da wären wir schon beim großen Unterschied zwischen Grillen und Barbecue: "Der Hauptunterschied ist, dass wir in indirekter Wärme garen. Also langsam und bei niedriger Temperatur. Stellen Sie sich einen langen, breiten Grill vor: Sie machen das Feuer auf einer Seite des Geräts und lassen es eine Weile herunterbrennen. Die Hitze und der Rauch, die dabei entstehen, garen das Fleisch auf der anderen Seite des Ofens. Während es in Europa direkte Flamme abkriegt. Das ist die indirekte Hitze, die ihm den rauchigen Geschmack gibt."
    Zwei Männer und eine Frau stehen hinter einem Schild mit mehreren aufgereihten Schweinen.
    Ein Barbecue ist Team-Arbeit. (Marion Trutter / Deutschlandradio)
    Im Grunde ist echtes Südstaaten-Barbecue also kein Grillen, sondern Räuchern. Bei Wettbewerben sind allein schon die Stände eine Schau: aufgemotzte Eventbühnen mit Edelstahl-Öfen, aber auch witzige kleine Buden mit Gartenzaun und Kübelpflanzen, mit Biertischen und uralten Räucheröfen. Einer hat sich einen alten Rennwagen zum Barbecue-Ofen umgebaut, und den Stand von Big Bubba's Bar-B-Q-N Crew umgibt ein Zaun aus rosaroten Holzschweinchen.
    Dahinter wartet ein kleines Team aus vier Männern und einer Frau. Jay Walker und seine Leute sind ganz einfach Enthusiasten. Und Jay weiß, was - außer dem Schwein - die wichtigste Zutat zu einem guten Barbecue ist: "Liebe - wir geben ihm eine Menge Liebe - und dazu brauchen wir das ganze Team: Randy, Gary, Mollie, Jeff und mich. Wir sind alle schon um vier Uhr morgens da und feuern den Ofen an. Wir benutzen Apfelholz, um unser Fleisch zu räuchern, das gibt dem Fleisch eine süße Note. Wir machen unsere eigenen Gewürzmischungen. Damit reiben wir die Ribs ein und dann kommen sie für drei Stunden in den Ofen."
    So einfach kann es also sein: viel Liebe, Apfelholz, zwischendurch noch ein paar Gewürze - fertig. Manche legen rohe Zwiebeln in die Glut, und viele Teams setzen auf eine Art Schweine-Wellness: Spritzen und Einreibungen - so wie Gary Roark etwa vom Team Ubon’s: "Wir injizieren unsere Schweineschultern nach einem Ubon-Geheimrezept - eine Mischung aus Sojasoße, Whiskey, ein paar anderen Gewürzen und etwas Apfelsaft für guten Geschmack. Danach reiben wir das Fleisch auch noch mit einer trockenen Gewürzmischung und etwas grobem Zucker ein. Das gibt eine richtig schöne und süße Haut. Dann legen wir sie schlafen und nach 18 Stunden sind sie fertig."
    Neugierige Besucher sind schnell mittendrin
    Das heißt: viel Zeit zum Feiern. Jetzt kommen die Chicken Wings und Spareribs für die große Party am Abend in den Ofen. Das Gelände am Mississippi füllt sich immer mehr, Tausende Menschen flanieren zwischen den Barbecue-Ständen - die meisten Freunde, Kunden, Gäste der Teams. Und da liegt auch der Haken: Aufgrund von Hygienebestimmungen dürfen die Teams nichts verkaufen, sondern nur ihre eigenen Gäste bewirten.
    Allerdings siegt doch meistens die Southern Hospitality, die sprichwörtliche Gastfreundschaft des Südens. Wer neugierig und freundlich ist, sich als Besucher aus Europa outet und mit wachen Augen umhergeht, ist schnell mittendrin - als Teil der großen Barbecue-Familie.
    Aus jedem Stand dröhnt Musik - es gibt Bier und Cocktails, bis spät in die Nacht sitzen Leute am Mississippi-Ufer im Gras und schauen zu, wie Ol‘ Man River langsam vorbeirollt.
    Und dann ist er da - der große Tag. Dass dieser etwas Besonderes ist, wird schon auf dem Weg zum Festivalgelände klar: Keine laute Musik wie am Tag zuvor, dafür eine fast gespenstische Ruhe. Eine große Rauchwolke hängt über dem Mississippi-Ufer. Überall riecht es nach Barbecue und die Teams bereiten sich schon seit dem frühen Morgen auf ihre Bewertung vor. Da wird noch mal gedreht und gewendet, Löcher im Fleisch mit Sauce übertüncht und Schweine mit Zucker glasiert.
    Die Preisverleihung ist der Höhepunkt der Weltmeisterschaft
    Auch im Zelt der Wertungsrichter herrscht emsiges Treiben. Bis zu 500 Jurorinnen und Juroren sind bei der Weltmeisterschaft zu Gange. In gelben Schürzen sitzen sie an Tischen, vor sich pinkfarbene Wertungsbögen für die Blindverkostung: Die Juroren bekommen Fleisch verschiedener Teams zum Probieren, wissen aber nicht, wen sie gerade bewerten. Danach geht es raus zur Live-Verkostung an den Ständen - eine fast religiöse Zeremonie. Das Chaos vom Vortag ist wie von Geisterhand beseitigt. Kein Gewimmel mehr aus Tischen und Stühlen, aus Marinaden und Gewürzen. Bei den meisten Teams steht jetzt in der Mitte ein Tisch mit Porzellan und edlem Besteck, häufig noch hübsch dekoriert mit Schweinchen, Blumen oder Bändern. Sichtlich angespannt warten die Teams auf ihre Richter - fast so, als ginge es um Leben und Tod.
    Bei Bogarts Smokehouse wird gerade der Juror begrüßt: "Hi, Ed Wilson, I’m Skip Steele. Nice to meet you…" Der Wertungsrichter erfährt also, dass der Ofen hier Leroy heißt. Und das Schwein - recht makaber - Pat. Nach einem guten Freund der Familie. Skip stellt es vor: "Wie Sie sehen, haben wir die Haut entfernt, das Schwein gewürzt. Im Ofen war es dann für 20 Stunden bei wirklich niedriger Temperatur. Und zum Schluss haben wir es noch mit der Barbecuesauce bestrichen. Wie Sie sehen, mein Herr, bin ich ein Künstler. Das ist meine Leinwand. "
    Ein paar Stunden noch - dann ziehen die WM-Teilnehmer vor die große Bühne zur Preisverleihung. Freundlich wird jedes Team beklatscht - man jubelt auch für die Konkurrenz. Und nachdem die einzelnen Kategorien bewertet sind, ist nur noch eine Frage offen: Wer geht als Gesamtsieger in die Barbecue-Geschichte ein?