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Barock am Bass

Auf dem Programm stehen heute "Deutsche Barock-Kantaten" von Telemann, Buxtehude und Bach, die Debüt-CD des vom Bassisten Stephan MacLeod gegründeten Ensemble Gli Angeli Genève. Diese Aufnahme vom Februar 2007 erschien jetzt bei Vivarte/Sony Classical/BMG.

Von Christiane Lehnigk | 08.06.2008
    Für Alte-Musik-Formationen ist es nicht so einfach, bei den großen Major-Labels unter zu kommen, zumal, wenn man noch nicht zu den Stars der Szene gehört. Und wenn, dann ist es bei den meisten Firmen kaum möglich, die Verantwortlichen davon zu überzeugen, weitgehend unbekanntes oder wiederentdecktes Repertoire einzuspielen, was ja mit zu den faszinierendsten Facetten dieses Genres gehört. In diesem Fall zog wohl der Name des bekannten Bassisten Stephan MacLeod, der schon an über 35, mit vielen Preisen ausgezeichneten CD-Produktionen mitgewirkt hat. Doch ging man auch hier auf Nummer sicher und stellte ein Programm mit Kantaten zusammen, die zwar nicht unbedingt zum Standart-Repertoire gehören, aber alle schon von prominenten Interpreten aufgenommen wurden. Ihnen stellte man dann als Höhepunkt Johann Sebastian Bachs "Ich habe genug" Kantate zur Seite. MacLeods neues, eigenes Ensemble Gli Angeli Genève stellt sich hier in verschiedenen Besetzungen vor, die sich um das 'Quartett' Johanette Zomer - Sopran, Jan Kobow - Tenor, Pascal Bertin - Altus und Stephan MacLeod - Bass gruppieren.

    Hier zu Beginn ein Ausschnitt aus der Lied-Kantate Jesu, meines Lebens Leben von Dietrich Buxtehude, der ein Chaconne-Bass zugrunde liegt.

    Der Text von Ernst Christoph Hombach hat den nicht enden wollenden, ewigen Dank an Jesus Christus zum Thema, der für die Menschheit gelitten hat. Wie homogen die acht Stimmen miteinander harmonieren können, ist gerade hier gut auszumachen.

    " Musikbeispiel: Dietrich Buxtehude, aus: Jesu, meines Lebens Leben BxWV 62 "

    Bei dem Namen des Ensembles, Gli Angeli Genève, würde man spontan vielleicht eher an einen Knaben- oder Kinderchor denken. Der Bassist Stephan MacLeod hat aber hier noch weitere sieben erwachsene Sänger und acht Instrumentalisten um sich gruppiert, deren Fokus, in unterschiedlicher Besetzung, auf der vokalen und instrumentalen Kammermusik des 17.und 18.Jahrhundert liegt. "Engelsgleicher Gesang", das würde den Stil des Ensembles nicht ganz treffen, denn es geht hier zwar um höchste Gesangskultur, deren Ideal liegt allerdings nicht unbedingt im reinen Wohlklang, dazu wird den unterschiedlichen Affekten in dieser Musik zu sehr Rechnung getragen. Die Motivation für die international zusammengesetzte Formation war, auf der Grundlage wissenschaftlicher Forschung, "in Genf und dem Umkreis des Genfer Sees zu einem hochkarätigen Kammermusik-Ensemble zu verhelfen, das einerseits in der Gesamtregion auftritt und andererseits zum Kulturleben der Stadt bei trägt." Es galt also eine Tradition zu schaffen, die es bis dahin in dieser Region nicht gab. Dabei wird auch mit Hilfe pädagogischer Konzepte Basis-Arbeit für Kinder und Jugendliche geleistet, so soll zum Beispiel eine Beziehung zu Bach und dem historischen Instrumentarium geschaffen werden. Doch alle Ensemble-Mitglieder beschäftigen sich daneben auch mit Musik aus anderen Epochen, was der Interpretation nur zugute kommt. Mit ihrer ersten CD-Einspielung haben sich Gli Angeli Genève auf eine, so formulierte ‚Kantatenreise' begeben, bei der aufgezeigt werden soll, dass Telemann und Bach zwar die Meister der deutschen geistlichen Kantate sind, aber nicht den Blick verstellen sollten "auf die fein ziselierten Schätze anderer Komponisten". Zu den Vorläufern gehören auch Nicolaus Bruhns' Vokalwerke, die den Übergang vom geistlichen Konzert zur Madrigal-Kantate darstellen. Hier ein Ausschnitt aus "Jauchzet dem Herren alle Welt" für Solo-Tenor und zwei Violinen sowie Basso continuo. Der Text ist eine deutsche Übertragung des 99.Bibel-Psalms, Jubilate Deo, ein demütiger Aufruf zur Lobpreisung Gottes. Es singt Jan Kobow.

    " Musikbeispiel: Nicolaus Bruhns, aus: Geistliches Konzert "

    Während die Kantaten von Buxtehude und hier von Bruhns noch von einer Art intimer Frömmigkeit geprägt sind und die Instrumentalbegleitung klein gehalten wird, so entwickelte sich diese Vokalform protestantischer geistlicher Musik hin zu kleinen dramatischen Werken.

    Die Besetzung wird erweitert, die freie Form erhält engere Strukturen durch den Wechsel von Rezitativen und Arien und auch die Frömmigkeit erfährt einen Wandel. Jetzt bekommt die Behandlung des Todes eine neue Dimension, erleichtert verlässt man das Elend auf der Erde, um im Himmelreich sein Glück zu finden.

    In der für diese Produktion ausgesuchten Trauer-Kantate von Georg Philipp Telemann gibt es noch einen Stilmix zwischen alter und neuer Kantatenform und es sind schon die Stilmittel der italienischen Barockoper auszumachen, wie sie für die weitere Entwicklung bestimmend werden sollte. Diesem Werk liegt die biblische Geschichte Daniels zugrunde, der zur ewigen Ruhe findet, nachdem er endlich die Wechselfälle seines irdischen Lebens verlassen hat. Es singt die Sopranistin Johannette Zomer, kongenial begleitet von dem Gambisten Emmanuel Balssa.

    " Musikbeispiel: Georg Philipp Telemann, aus: Kantate "Du aber Daniel, gehe hin" "

    Im Zentrum der Instrumentalgruppe von Gli Angeli Genève stehen der Blockflötist Bart Coen und der Oboist Marcel Ponseele. Der Bassist Stephan MacLeod hat es geschafft, ein exquisites kleines Ensemble zusammen zu stellen, das sicher schnell seinen Platz in der hart umkämpften internationalen Szene finden wird. Der konzentrierte, spannungsgeladene Ausdruck, der der Musik nichts von ihrer großen Leichtigkeit nimmt, beeindruckt ebenso wie der versierte Umgang mit den spezifischen Artikulationselementen der Zeit. Der ausgewogene Klang der Aufnahme unterstützt die Klarheit der Interpretation. Einziges Manko sind vielleicht die Violinen des Ensembles, die noch ein wenig homogener und intonationssicherer sein könnten.

    Mit diesem Ensemble hat sich Stephan MacLeod selbst einen lang gehegten Wunsch erfüllt und seiner Heimatstadt Genf zugleich ein Geschenk gemacht.

    MacLeod hat seine musikalische Ausbildung am dortigen Konservatorium absolviert, zunächst 10 Jahre Violine und 7 Jahre Klavier studiert, bis er sich dem Gesang widmete.

    Er ging dann noch zu Kurt Moll nach Köln, studierte Liedgesang bei Hartmut Höll schloss seine Ausbildung in Lausanne bei Gary Magby ab. Anfang der 90er Jahre begann MacLeods Konzertkarriere, die Zusammenarbeit mit Reinhard Goebel und seinem Ensemble Musica Antiqua Köln war hier einer der Eckpunkte. Seitdem singt Stephan MacLeod regelmäßig bei vielen der renommiertesten Alte-Musik-Ensembles, war fünf Jahre lang der erste Bass beim Huelgas Ensemble und wirkt unter anderem an der Gesamteinspielung der Bach-Kantaten mit Suzukis Bach Collegium Japan mit. Wenn auch das oratorische Schaffen im Mittelpunkt steht, so beschränkt er sich bei weitem nicht nur auf die diese Musik und ist auch in prominenten Opern-Inszenierungen zu erleben. Hören Sie Stephan MacLeod abschließend mit einem Ausschnitt aus Johann Sebastian Bachs Kantate: "Ich habe genug" Werkverzeichnis 82. Hier spricht Simeon, der das Jesuskind in den Armen halten konnte. Ihm war geweissagt worden, er werde nicht eher sterben, als bis er den Heiland gesehen habe.

    " Musikbeispiel: Johann Sebastian Bach, aus: Kantate Ich habe genug BWV 82 "

    Die Neue Platte im Deutschlandfunk, heute mit deutschen geistlichen Barockkantaten. Die Debüt-CD des Ensembles Gli Angeli Genève unter der Leitung des Bassisten Stephan MacLeod erschien jetzt bei Vivarte/Sony Classics/BMG.


    Titel: German Baroque Cantatas
    Ausführende: Gli Angeli Genève
    Stephan MacLeod
    Label: LC 06868
    Vivarte/Sony Classical/BMG 88697225032