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Barock und futuristisch

"Meine Platten sind oft wie ein Labyrinth aufgebaut", sagt der französische Stilvirtuose - und ist stolz auf die für seine Musik typische Mischung aus verschiedenen Genres. Jetzt erscheint sein neues Album "Toutes directions".

Von Cornelius Wüllenkemper | 14.04.2012
    Manchen gilt er als "französischer Phil Spektor" – jedenfalls ist der gebürtige Korse Bertrand Burgalat der "maître du pop francais" und einer der umtriebigsten Musiker des Landes. Davon zeugen nicht zuletzt Kooperationen mit so unterschiedlichen Künstlern wie mit der slowenischen Klangkunstgruppe Laibach - für die er bereits mit 23 Jahren ein Album produzierte - oder Nick Cave, dem Popduo Air oder den Einstürzenden Neubauten. Neben seiner Arbeit als Produzent und Labelmanager veröffentlicht Burgalat seit einigen Jahren auch Soloplatten. Sein neues Album "Toutes directions" vereint den typischen Burgalat-Popsound mit hochinteressanten Ausflügen in "Toutes directions – in alle Richtungen". Das Ergebnis ist wie immer bei Burgalat zeitgenössisch, barock und futuristisch zugleich: anspruchsvolle und zugleich eingängige französische Popmusik jenseits des Mainstreams.

    Corrnelius Wüllenkemper: Bertrand Burgalat, Sie gelten ja allgemein als Stilvirtuose, der Elemente fast aller Musik-Genres in einem Popsong verarbeitet. Wenn Sie jetzt ihr viertes Soloalbum "Toutes directions", also "Alle Richtungen" nennen, heißt das dann, dass sogar Sie dieses Mal die Orientierung verloren haben?

    Bertrand Burgalat: Ich habe dieses Album "Toutes directions - Alle Richtungen" genannt, weil meine Platten oft wie ein Labyrinth aufgebaut sind. Mit vielen verschiedenen Schichten, fast so wie ein Blätterteig. Ich liebe es, Platten zu hören, bei denen man jedes Mal aufs Neue Dinge entdeckt, die man vorher nicht bemerkt hat. "Alle Richtungen", das heißt für mich, dass ich an einer Kreuzung stehe, an der ich mich entscheiden muss, wie genau ich meine Ideen musikalisch noch direkter und klarer ausdrücke, wie ich weiter komme als beim letzten Mal.

    Wüllenkemper: Vor fünfzehn Jahren haben Sie das Label Tricatel gegründet, bekannt für ziemlich eigenwillige Pop- und Rockproduktionen. Früher haben Sie mit Depeche Mode, den Einstürzenden Neubauten, Jamiroquai oder Nick Cave gearbeitet, später gab es Projekte unter anderem mit dem Schriftsteller Michel Houellebecq, und sogar die unterkühlte Schauspielerin Isabelle Huppert haben sie dazu gebracht, einen Song einzuspielen. Manchmal fragt man sich, wie Sie neben dem Job als Labelmanager, Produzent, Remixer und Komponist überhaupt noch Zeit haben für Ihre eigene Musik.

    Burgalat: Um ehrlich zu sein: Meine Solo-Alben finden ja kein Massenpublikum. Wenn ich also ins Studio gehe, dann nicht, weil die Fans oder die Plattenindustrie mich dazu drängen. Es liegt also nur an mir. Ich arbeite ziemlich viel nebenbei, allein um das Label am Leben zu erhalten - für Automarken, Modelabel oder als Filmkomponist. Manchmal machen mir diese Auftragsarbeiten die Musik madig - dann frage ich mich, wie mir Musik überhaupt jemals wieder Spaß machen kann. Ich mache mich an die Arbeit für ein neues Album, wenn ich Zeit und Geld dafür habe. Früher habe ich an Songs gearbeitet, die erst Jahre später erschienen sind. Das ist frustrierend. Heute gehe ich nur dann ins Studio, wenn ich weiß, dass das Album gleich darauf erscheint.

    Wüllenkemper: Nach über 30 Jahren im Geschäft haben Sie sich erst kürzlich Ihr erstes professionelles Studio eingerichtet, und zwar mitten in den Pyrenäen, weit weg von Paris. Wieso diese Flucht aufs Land?

    Burgalat: An dem Studio habe ich über Jahre gearbeitet, und als es endlich fertig war, hatte ich plötzlich keine Zeit mehr, weil ich kürzlich Vater geworden bin. Wenn man lange Zeit in einer Stadt wie Paris wohnt, geht das ganz schön an die Energiereserven. In den Pyrenäen kann ich einfach besser arbeiten. Andererseits brauche ich die Anspannung der Stadt, die Bewegung, um gute Ideen zu haben. Und in den Bergen kann ich das dann ganz in Ruhe umsetzen.

    Wüllenkemper: Die meisten tun sich ja schwer damit, Ihre Musik einzuordnen. Ihre Einflüsse gehen von den Bee Gees und afro-amerikanischer Funkmusik aus den 60ern über Serge Gainsbourg, Kraftwerk und David Bowie bis hin zu psychedelischem Experimentalrock. Nach all dem: Ist an Ihrer Musik eigentlich noch irgendetwas typisch französisch?

    Burgalat: Ich weiß noch, dass ich mein erstes Soloalbum um die Jahrtausendwende in den Geschäften unter der Rubrik "Chansons Francaises'" gefunden habe. Ich wollte auf der Stelle sterben! Was ich wirklich nicht mag in Frankreich, ist das, was wir "variété-rock" nennen. Dieser massentaugliche Rock-Pop wird seit zwanzig Jahren durch unsere Radioquote künstlich gepusht. Die Quote sollte ursprünglich französische Musik fördern, hat aber bewirkt, dass heute viel Zeug im Radio gespielt wird, das es eigentlich nicht verdient hätte. Das Einzige, was mich mit Chanson-Musik verbindet, sind die Texte. Die spielen auch auf "Toutes directions" eine wichtige Rolle. Ich versuche über unsere Zeit zu singen, ohne diesen typischen Einschlag des mahnenden Weltverbesserers. Zum Glück habe ich gute Autoren, die mir dabei helfen.

    Wüllenkemper: Bei Ihrer Platte hat man den Eindruck, Popmusik aus mindestens drei Jahrzehnten zu hören. Gitarren aus den 70ern, Synthesizer aus den 80ern, elektronische Beats aus den 90ern. Manche bezeichnen Sie auch als Ewiggestrigen. Andere sehen Sie als Zukunftsvisionär. Wie passt das alles für Sie zusammen?

    Burgalat: Für Musik gilt das Gleiche, wie für viele andere Dinge: Um weiterzukommen, muss man wissen, woher man kommt. Heute muss in der Musik, in der Architektur, im Design oder in der Mode alles neu wirken, und trotzdem soll es ständig auf die Vergangenheit verweisen. Denken Sie allein an die Sample-Technik in der Rap-Musik! In der Musik gilt aber genau das Gegenteil: Um weiterzukommen, muss man zu seinen Einflüssen stehen, um daraus dann etwas wirklich Neues zu machen. Ich zeige ganz offen frühere Stile, die mir gefallen - und gelte deswegen als Ewiggestriger. Dabei fühle ich mich einfach frei, mit der musikalischen Vergangenheit zu spielen.

    Wüllenkemper: Sie haben mal gesagt, dass es einen Song eigentlich schon geben muss, bevor Sie ihn komponieren können. Das klingt ja irgendwie mysteriös. Was meinten Sie damit?

    Burgalat: Wenn ich komponiere, muss mir der Song von sich aus sagen, wo die Reise hingeht. Das, was ich ausdrücken will, ist ja schon vorher in der Welt, zum Beispiel meine Gefühle. Nur kann ich sie nicht ausdrücken, außer durch die Musik. Sie können mir glauben: Das macht die Arbeit nicht leichter!

    Wüllenkemper: Auch bei der Single-Auskoppelung von Ihrem Album "Toutes directions" spielen Sie mit der Vergangenheit: "Bardot's Dance" spielt ja ganz eindeutig auf die 60er-Jahre und Brigitte Bardot an.

    Burgalat: Da geht's mir um das Bild. Wenn ich singe "Mach mir die Bardot", dann denkt man an ein Mädchen, das mit den Hüften schwingt und sich gehen lässt. In dem Song geht's ums Tanzen, auf diesem coolen Philadelphia Soul aus den 60ern. Wir haben das Schlagzeug live eingespielt, wie damals, als man im Studio noch nicht die Möglichkeiten hatte, so einen Sound künstlich herzustellen, und die Musiker unheimlich dicht zusammengespielt haben. Das hatte mehr Seele und mehr Spannung als vieles, was man heute hört. Ich habe mit meinem Schlagzeuger Julien Barbagello lange daran gearbeitet, dass der Rhythmus handgespielt und gleichzeitig nach moderner Popmusik klingt. Sodass man kaum noch sagen kann, ob das elektronisch generiert oder live eingespielt ist. "Bardot's Dance" ist einfach ein moderner Popsong, mit einem Augenzwinkern an Brigitte Bardot.

    Wüllenkemper: Bertrand Burgalat, Danke für das Gespräch!

    Burgalat: Danke für die interessanten Fragen. Es war mir ein Vergnügen.