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Barocke Opernarien legendärer Kastraten

Der Sänger Franco Fagioli gehört zu den Shootingstars der jüngeren Countertenöre. Die Gesangstechnik von David Hansen ist fulminant. Philippe Jaroussky singt mit unverwechselbarer lyrischer Stimme. Allesamt bieten sie Opernarien legendärer Kastraten dar.

Am Mikrofon: Christiane Lehnigk | 13.10.2013
    Die Konkurrenz ist groß und das Weihnachtsgeschäft ist offensichtlich in vollem Gange. Das bescherte uns im Abstand von nur wenigen Wochen gleich drei CD-Produktionen, die barocke Opern-Arien der legendären Kastraten des 18. Jahrhunderts zum Thema haben und von drei Countertenören der Spitzenklasse zusammen mit italienischen Orchestern aufgenommen wurden.

    Das sind Franco Fagioli beim französischen Label Naïve mit ‚Arias for Caffarelli‘, die Debüt Aufnahme mit David Hansen bei Sony Music Switzerland/Deutsche Harmonia Mundi und dem Titel ‚Rivals. Arias for Farinelli & Co‘ sowie die neueste Veröffentlichung von Philippe Jaroussky ‚Farinelli. Porpora Arias‘, jetzt erschienen bei Erato/Warner Classics.
    Im Studio begrüßt Sie dazu Christiane Lehnigk.

    "1.MUSIK:
    Domenico Sarro
    Arie: ‚Un cor che ben ama‘
    Aus der Oper ‚Valdemaro‘
    Franco Fagioli, Countertenor
    Il Pomo d’Oro
    Leitung und Violine: Riccardo Minasi
    CD <9>"

    Dies war zu Beginn unserer Sendung ‚Die Neue Platte‘ Franco Fagioli mit der Arie ‚Un cor che ben ama ‘, ‚Ein Herz, das zu lieben weiß‘ aus der Oper ‚Valdemaro‘ von Domenico Sarro.

    Der argentinisch-spanische Sänger Franco Fagioli, der zu den Shootingstars in der Reihe der jüngeren Countertenöre zählt, hat sich zusammen mit dem italienischen Ensemble
    Il Pomo d’Oro unter der Leitung des Geigers Riccardo Minasi auf die Spuren des neben Farinelli und Carestini bekanntesten Kastraten der Opera Seria gemacht. Gaetano Majorano, genannt Caffarelli war, obwohl mit Farinelli befreundet, sein berühmt-berüchtigter Gegenpart und Rivale.

    Auch er wurde von Nicola Porpora ausgebildet, und konnte schließlich über einen Stimmumfang von 2 Oktaven verfügen, vom a bis zum dreigestrichenen c‘‘‘. Seine Spezialität waren solche Bravour-Arien, wie diese aus seiner Debüt-Oper von Sarro, mit all ihren unglaublichen Trillern, Koloraturen und chromatischen Skalen, wobei auch noch gegen Trompeten angesungen werden musste. Wenn er natürlich auch die langsamen Arien mit ihren fließenden Melodien beherrschte, die ebenfalls eine perfekte Atemtechnik benötigten, so schienen doch solche heroische Rollen besser zu Caffarellis Charakter zu passen. Er gab sich sehr exzentrisch und arrogant, benahm sich wie eine Diva, machte sich sogar auf der Bühne über seine weiblichen Kolleginnen lustig und nahezu jedes seiner Engagements war mit einem Skandal verbunden. Der Kult um heutige Popstars hat demnach Vorbilder auch schon im 18. Jahrhundert.

    Franco Fagioli, dessen Karriere sich seit 2003, als er den Bertelsmann Gesangswettbewerb ‚Neue Stimmen‘ gewann, stetig entwickelte, hat dieses Repertoire von Caffarelli erstmals vorgestellt. Ihn interessierten daran sowohl die große Virtuosität der Bravour-Arien wie auch das Pathos der langsamen Melodien, die durch alle Register gehen.

    ‚Engelsgleich‘, das war eine der beliebtesten Bezeichnungen für den Gesang der Kastraten der damaligen Zeit, ein Klang, den man heute nur noch teilweise nachempfinden kann. Aber Franco Fagioli gelingt es immer, den Zuhörer in seinen Bann zu ziehen, von der ersten Note an. Seine Stimmtechnik ist atemberaubend und erweckt den Eindruck von Mühelosigkeit, doch es geht ihm nicht um reine Kehlkopfakrobatik, sondern um das Abbild der Musik der Zeit, - Wohlklang und gezügelter Ausbruch. Das Ensemble Il Pomo d’Oro unter der Leitung des Geigers Riccardo Minasi erweist sich hier einmal mehr als stilvoller und enthusiastischer kongenialer Begleiter, der niemals auch nur die kleinste Nuance des Sängers unbeachtet lässt. Dabei kann man allerdings davon ausgehen, dass Caffarellis Bühnenerscheinung mit Sicherheit nicht so beherrscht distinguiert, so nobel war, wie die von Fagioli.

    Solch eine Charakter-Eigenschaft hätte wohl mehr zu Farinelli. Die Debüt-CD des hohen, australischen Counter-Tenors David Hansen mit der Academia Montis Regalis unter der Leitung des Cembalisten Alessandro de Marchi hat sich der Arien aus dem Repertoire von Farinelli und seiner Konkurrenten zum Thema genommen. Auch gibt es wieder Unbekanntes zu entdecken, darunter die fast eine Viertelstunde dauernde Arie des Arbace aus Johann Adolf Hasses Oper ‚Artaserse‘ mit den originalen wahnwitzigen Verzierungen von Farinelli selbst, aus der Sie gleich einen Ausschnitt hören können. Der Australier mit norwegischen Wurzeln David Hansen gehört zur neuen, selbstbewussten Generation von Countertenören, die ebenso fast keine Mühen mehr hat mit Registerwechseln, rasenden Tempi und höchsten Spitzentönen. Ihm wurde dabei ein Sexy-Image verpasst, so posiert er zum Beispiel mit blankem Oberkörper im Booklet und ist natürlich auch in den sozialen Medien präsent.

    Auch Hansens Gesangstechnik ist fulminant, wenn auch vielleicht noch nicht ganz auf ihrem Höhepunkt. Er hat sich in jedem Fall seinen Platz im Countertenor-Olymp gesichert. Die Academia Montis Regalis unter der Leitung von Alessandro De Marchi spielt vielleicht nicht ganz so perfektioniert wie Il Pomo d’Oro oder das Venice Baroque Orchestra, aber begleitet souverän und sehr musikalisch.
    "2.MUSIK:
    Riccardo Broschi
    Aus der Oper Artaserse
    Arie des Arbace
    Da Capo Teil
    CD <5>
    David Hansen, Countertenor
    Il Pomo d’Oro
    Leitung und Violine: Riccardo Minasi"

    Dies war der Countertenor David Hansen mit einem Ausschnitt aus der Arie des Arbace ‚Son qual nave‘ aus der Oper ‚Artaserse‘ von Riccardo Broschi.

    Die letzte CD, die ebenso Arien aus dem Repertoire des berühmten Kastraten Farinelli enthält, wurde mit dem französischen Countertenor Philippe Jaroussky und dem Venice Baroque Orchestra unter der Leitung von Andrea Marcon eingespielt. Hier geht es ausschließlich um die Opern von Nicola Porpora, dem Lehrer und Freund Farinellis.

    Das ist neapolitanischer Opern-Stil par excellence und die große Fan-Gemeinde von Jaroussky wird auf eine solche Veröffentlichung schon lange gewartet haben, denn er hat sich Zeit gelassen, diese hochvirtuosen Stücke der ‚großen Legende‘ Farinelli in Angriff zu nehmen. Er hatte einige davon schon seit einiger Zeit in seinem Repertoire und hat nach eigener Aussage bemerkt, dass vor allem die Porpora-Arien sich besonders für seine unverwechselbare lyrische Stimme eignen. Jaroussky hat sich auf die Spurensuche dieser fruchtbaren Lehrer-Schüler-Beziehung gegeben, über die es allerdings kaum historische Zeugnisse gibt. In einem Brief an Farinelli, so Jaroussky, schrieb Metastasio, dass sein Lehrer Porpora einsam und verarmt gestorben sei. Porporas Geschöpf aber, der Mythos Farinelli, lebe noch heute – es sei höchste Zeit, auch seinen Schöpfer bekannter zu machen.

    Bei diesem Programm hat Cecilia Bartoli nicht nur Pate gestanden, sondern ist in zwei Arien gleich selbst vertreten. Hören Sie hier das unvergleichliche Duett aus Porporas Oper Mitridate ‚La gioia ch’io sento‘, Die Freude, die ich empfinde‘. Das drückt sicherlich auch die Stimmung aus, die man bei dieser hochkarätigen Einspielung mit dem Venice Baroque Orchestra unter der Leitung von Andrea Marcon empfindet.

    "3.MUSIK:
    Nicola Porpora
    Aus der Oper: Mitridate
    ‚La gioia ch’io sento‘
    CD <6>
    Philippe Jaroussky, Countertenor
    Cecilia Bartoli, Sopran
    Venice Baroque Orchestra
    Leitung: Andrea Marcon"

    Die Neue Platte im Deutschlandfunk, wir stellten Ihnen heute drei CDs mit Countertenören vor mit süditalienische Opernarien, die aus dem Repertoire der berühmtesten Kastraten des 18.Jahrhunderts stammen. Das waren Franco Fagioli mit ‚Arias for Caffarelli‘ erschienen bei Naïve, David Hansen ‚Rivals. Arias for Farinelli & Co‘ bei Sony Music Switzerland/Deutsche Harmonia Mundi und Philippe Jaroussky mit ‚Farinelli. Porpora Arias’veröffentlicht bei Erato/Warner Classics.