Dienstag, 19. März 2024

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Barrierefreies Planen und Bauen
Im Blick haben, wie sich das Leben verändern wird

Unsere Städte sind für schnelle, fitte Menschen gebaut - am besten ohne Rollatoren, Kinderwagen oder Koffer. Doch durch einen Unfall oder im Alter ändert sich die Perspektive zwangsläufig. In Hamburg-Altona entsteht ein neues Stadtviertel - mit einem Verkehrsleitsystem für Blinde, abgeflachten Bürgersteigen, Aufzügen und Rampen für Rollstuhl- und Rollator-Fahrer.

Von Katharina Jetter | 27.05.2017
    Zwei betagte Senioren steigen eine Treppe mit rotem Teppich herunter.
    Im Alter, durch einen Unfall aber auch als Eltern mit Kinderwagen bekommt man einen anderen Blick für die Barrieren im Alltag. Architekten und Planer suchen nach neuen, zukunftsträchtigen Lösungen für Barrierefreiheit. (imago / EQ Images)
    Rudolf Gabler ist auf dem Weg zur Arbeit, läuft durch eine Parkanlage. Sein Langstock gleitet gleichmäßig zwischen Plattenweg und Rasenfläche hin und her. Das gibt ihm Orientierung. Der Weg ist alt, viele Platten haben sich verschoben. Für Sehende kein Problem, aber für einen blinden Mann wie Rudolf Gabler schon:
    "Wenn die Platten soweit hochstehen, dann bleibt man mit dem Stock in jeder Lücke hängen, und dann rammt man sich den hier in den Bauch rein, dann gibt’s einen Ruck in die Muskulatur. Und das ist nicht schön."
    Auch die Ampelkreuzung, die er jetzt passieren muss, ist nicht barrierefrei.
    "So, jetzt haben wir nämlich die Situation, dass man hier kein akustisches Signal hat. Das heißt, ich weiß nicht, wann rot oder grün ist. Kann das nur feststellen anhand der Autos. Und Passanten sind hier auch relativ wenig unterwegs, da kommt gerade einer, glaube ich, also denn könnte ich jetzt fragen, wann denn Grün ist."
    "Endstation" für Leute mit Rollatoren oder Rollstühlen
    Er hat die Treppe zur U-Bahnstation erreicht. Einen Aufzug oder eine Rolltreppe gibt es hier nicht. Für Leute, die mit Rollatoren oder Rollstühlen unterwegs sind, ist hier Endstation.
    "Ich kenne viele Blinde, die würden sich jetzt an der Bahnsteigkante orientieren, ist mir aber zu gefährlich. Ich halte mich da lieber in der Mitte auf. Hier zum Beispiel, wo die Schaukästen und Plakatwände sind, da weiß ich auf jeden Fall, ich bin nicht zu nah an der Bahnsteigkante. Hier könnte man jetzt so ein Leitsystem installieren, so einen Leitstreifen, wie sie es auch in vielen Bahnhöfen schon gemacht haben."
    Der neue U-Bahnhof "Kienberg - Gärten der Welt" wird am 11.04.2017 in Berlin von der BVG vorgestellt. Der Bahnhof an der Linie U5 wurde für die Internationale Gartenausstellung IGA barrierefrei ausgebaut.
    Der neue U-Bahnhof "Kienberg - Gärten der Welt" wurde im April 2017 in Berlin von der BVG vorgestellt. Der Bahnhof an der Linie U5 wurde für die Internationale Gartenausstellung IGA barrierefrei ausgebaut. (dpa / picture alliance)
    Bevor er an seinem Arbeitsplatz ankommt, gilt es noch eine weitere Gefahrenquelle zu umschiffen.
    "Jetzt muss man den Stock super einsetzen, weil man sonst gleich gegen das Schild dengelt, was gleich kommt. (Kling) Und wenn man jetzt hier oben dran kommt, schön gegen die scharfe Kante, dann kann man sich richtig verletzen."
    "Unsere Städte sind für Sehende und Gehende gebaut"
    Ein Verkehrsschild mitten auf dem schmalen Bürgersteig. Die scharfe Metallkante des Dreiecks, genau in Kopfhöhe. Rudolf Gabler wendet sich der Straße mit dem holprigen Pflaster zu, konzentriert sich, hört genau hin und wagt das nächste Abenteuer:
    "So, gehen wir mal über die Straße ..."
    Unsere Städte sind für Sehende und Gehende gebaut, für schnelle, fitte Menschen, am besten ohne Rollatoren, Kinderwagen und Koffer, kritisiert Verena Bentele, die blinde Behinderten-Beauftragte der Bundesregierung. Für sie ist Barrierefreiheit ein Thema, das uns früher oder später alle betrifft.
    "In meinen Augen muss vor allem eines passieren, die Menschen müssen mehr im Blick haben, wie sich auch ihr eigenes Leben verändern kann und verändern wird. Sei es durch eine Erkrankung, durch einen Unfall oder, vor allem, durch Alter."
    "Lösungen für möglichst alle Menschen passend"
    Eine Stadt, in der sich alle wohl und sicher fühlen und in der alle überall hinkommen, das ist in der Umsetzung gar nicht so leicht, denn Senioren haben andere Bedürfnisse als Kinder. Blinde Menschen andere als Rollstuhlfahrer. Die Behinderten-Beauftragte Verena Bentele gibt ein Beispiel: Ein blinder Mensch braucht die Bordsteinkante als Begrenzung zur Straße, für einen Rollstuhlfahrer kann die Bordsteinkante dagegen eine unüberwindbare Barriere sein.
    "Barrierefreiheit liegt in der Suche nach neuen innovativen Lösungen. Wenn zum Beispiel am Trottoir, am Bordstein, eine kleine Linie ist, die mit dem Langstock fühlbar ist, so ein kleiner taktiler Streifen, dann könnte man auch den Bordstein abflachen, und ich würde trotzdem nicht auf die Straße laufen. Also, in meinen Augen ist vor allem eins geboten, dass wir Lösungen überdenken, die für viele und für möglichst alle Menschen passend sind und die für alle Menschen in irgendeiner Weise ihr Leben erleichtern."
    "Stadtlabor" in Hamburg-Altona
    Das kann besonders dort gelingen, wo große Neubauprojekte anstehen, wie derzeit in Hamburg-Altona. Dort soll auf ehemaligem Bahngelände ein neues barrierefreies Stadtviertel wachsen. "Altona Mitte" soll ein Stadtteil für alle werden, zum Beispiel mit einem Verkehrsleitsystem für Blinde, abgeflachten Bürgersteigen für Rollstuhlfahrer, stufenlosen Hauseingängen, vielen Aufzügen und Rampen, eingeschränktem Autoverkehr, unterstützen Wohnangeboten und Arbeitsplätzen für Menschen mit Behinderung. Birgit Ferber, von der Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen, spricht von einem "Stadtlabor".
    "Das ganze Projekt Mitte Altona sind 3.500 neue Wohneinheiten, das bedeutet, es ist ein sehr großes Neubauprojekt, in dem wir auch neue Konzepte ausprobieren können. Wir haben uns angestrengt, dass in allen Straßen 30 Stunden-Kilometer sind, dass es Fußgänger-Zonen gibt zum Teil, und dass es nur eine Straße geben wird, auf der der Bus fährt, wo es ein sehr hohes Bord geben wird. Also, es geht um Barrierefreiheit für Menschen mit Rollstühlen oder Rollatoren und so weiter, dass eben in den meisten Straßen entweder ein drei Zentimeter Bord ist oder überhaupt kein Bord, also ein Null-Bord."
    Ein Mann hilft einer Rollstuhlfahrerin über den Bordstein eines Bürgersteigs hinauf.
    Ein Mann hilft einer Rollstuhlfahrerin über den Bordstein eines Bürgersteigs hinauf. Das soll sich in den neuen Quartieren erübrigen. (dpa/ picture-alliance/ Armin Weigel)
    Barrierefreiheit auf dem Gelände
    Mit den privaten Investoren auf dem Gelände hat die Stadt vereinbart, dass auch deren Häuser barrierefrei erreichbar sind, das heißt, vor und in den Eingangsbereichen gibt es keine Stufen. In allen Häusern, egal wie hoch sie sind, stehen Aufzüge zur Verfügung, und auch die Innenhöfe sollen barrierefrei gestaltet werden. Die Verhandlungen waren nicht immer ganz einfach, sagt Birgit Ferber. Denn es kommen teilweise mehr Kosten und mehr Planung auf die Bauträger zu.
    "Wir haben zum Beispiel auch Kindertagesstätten, die über zwei Geschosse sind. Also man muss dann wirklich im Detail schauen, dass kleine Höhenvorsprünge so überwunden werden, dass es mit Rampen geht und eben nicht mit Stufen, also es ist ein etwas höherer planerischer Aufwand, aber im Grunde genommen, waren alle willig, sich auf diesen Prozess einzulassen, weil das Ziel schon von allen akzeptiert wird."
    "Baugemeinschaft von Blinden, Sehbehinderten und sehenden Menschen"
    In ersten Bauabschnitt von Mitte Altona werden auf 20 Prozent der Flächen auch kleinere Gemeinschaften bauen. Sie wurden in die Planungen miteinbezogen.
    "Unter anderem auch eine Baugemeinschaft von Blinden, Sehbehinderten und sehenden Menschen, BLISS genannt, und dass ist zum Beispiel eine Baugemeinschaft, die haben uns jetzt auch beraten. Bei der Auswahl des Blindenleitsystems, sie haben es auch gemeinsam mit uns getestet."
    Das alles war so ursprünglich nicht geplant. Zu verdanken ist die neue Ausrichtung des künftigen Stadtteils dem Forum "Eine Mitte für alle". Einem Zusammenschluss von Bürgern mit und ohne Behinderung, Stiftungen, Initiativen und Baugemeinschaften. Mit guten Vorschlägen hat das Forum großen Einfluss auf Politik und Behörden in Hamburg genommen und wurde als "Innovative Practice 2015" im Headquarter der Vereinten Nationen gewürdigt.
    "Die Menschen, die sich dort engagieren, waren einfach immer sehr klar in ihren Forderungen, sie haben sehr strikt und von Anfang an gesagt, das Projekt Mitte Altona soll inklusiv werden, soll besonders barrierefrei sein und ohne diesen Druck und ohne diese Menschen, die diese Forderungen immer gestellt haben, wären wir nicht so weit."
    Mit-Initiatorin von "Eine Mitte für alle" ist Agathe Bogacz, sie arbeitet für die Stiftung Alsterdorf und hat 2012 eine Auftaktveranstaltung organisiert zum Thema: Wie kann Mitte Altona für alle gestaltet werden.
    "Und da kamen über 200 Leute und sagten: Ja, das Thema interessiert uns. Da könnten wir uns vorstellen einen Beitrag zu leisten, um das mit zu entwickeln."
    Denkmalschutz trifft auf Barrierefreiheit
    Neu bauen ist einfacher als nachzubessern. Vielleicht wollen deshalb so viele das neue Viertel in Altona mitgestalten. Doch in der Regel muss mühsam nachgebessert werden, wenn es darum geht öffentliche Plätze barrierefrei zu machen. Wie aufwändig das ist, lässt sich gut am Beispiel des historischen Rathausplatzes in Verden zeigen. Landschaftsarchitekt Oliver Keil, von Latz und Partner Landschaftsarchitekten in Kranzberg, hat den Platz mit umgestaltet.
    "Es gab Bereiche zum Parken. Es gab Bereiche fürs Auto, es gab Bereiche für die Auslagen, für die Fahrradfahrer, und ganz wenig Raum für die Fußgänger. Und das Ganze auf einer sehr unebenen Oberfläche, die auch noch mehrere Stufen hatte auf dem Platz, die oft zum Stolpern geführt haben bei den Leuten bei Festveranstaltung und auch im Alltag. Unser Ziel war natürlich erstmal: alle Stufen raus."
    Fehlen Stufen, brauchen Autofahrer, Radfahrer, Rollstuhlfahrer, Fußgänger, Sehende wie Blinde, aber eine neue Orientierung. Als suchten die Landschaftsarchitekten nach visuellen und haptischen Lösungen, um einen Kontrast zwischen Gehweg und Fahrweg herzustellen:
    "Und das haben wir hergestellt durch unterschiedliche Material-Größen und unterschiedlichen Material-Farben. Die Gehwege haben wir einfarbig hergestellt, mit einem Material, das in sich eine gewisse Strukturierung hat, aber einfarbig ist und sich dadurch kontrastiert durch die Mittelfläche, die durch kleinteilige Pflaster und Platten-Bänder hergestellt wurde."
    Die Stufen an den Eingängen der Läden wurden durch Rampen ersetzt. Die durften jedoch im historischen Stadtbild nicht stören. Eine besondere Herausforderung, die immer besteht, wenn Denkmalschutz auf Barrierefreiheit trifft.
    "Ja, da sprechen sie genau den Spagat an, den man als Planer eben schaffen muss. Gestaltung hat was mit Ästhetik zu tun. Da verstehen wir uns als Planer natürlich aufgerufen, eine ästhetische Gestaltung aufzubringen, die aber gleichzeitig natürlich alle Funktionen abdeckt. Es sollte als selbstverständlich erfahren werden."
    Wohnen in einer inklusiven Anlage
    Barrierefreiheit betrifft den öffentlichen Raum, aber auch das Wohnen. Die Architektin Karin Kellner hat die inklusive Wohnanlage "Wohnen am Thie" in Hannover Kronsberg geplant, ein drei - bis viergeschossiges Gebäude, in dem inklusiv gelebt werden soll. Tür an Tür werden hier sowohl Menschen mit Behinderung, Senioren, Familien und Alleinlebende wohnen. Es gibt einen Garten und eine Gemeinschaftsterrasse. In drei Wohnungen sollen jeweils sieben schwerbehinderte Menschen, die E-Rollstühle fahren, einziehen. Was brauchen sie, was brauchen sie nicht? Um das zu beantworten, hat die Architektin die künftigen Bewohner befragt, und auch versucht, sich in ihre besonderen Bedürfnisse als Rollstuhlfahrer hineinzuversetzen.
    "Jaja, das ist ein völlig andere Perspektive. Ein Beispiel, ich bin Radfahrer, und dann stelle ich mich auf die Pedale, und wenn man sich auf die Pedale stellt, ist man ja faktisch 30 Zentimeter größer. Sie haben einen völlig anderen Blick auf die Welt. Und das ist natürlich in der umgekehrten Wahrnehmung, wenn man sitzt, noch mal wiederum ganz anders. Das heißt, dieser Herausforderung muss man sich stellen und wenn man für andere Leute plant, muss man sich auch in deren Situation hineinbegeben und gucken, wie bekommt man das Passend."
    Animation des neuen mehrstöckigen Foyers, das einen barrierefreien Zugang ermöglicht
    Animation des neuen mehrstöckigen Foyers, das einen barrierefreien Zugang ermöglicht. (Planetarium Hamburg)
    Ladestation für die E-Rollis, Raum zum Manövrieren der Rollstühle
    Das Problem liege da oft im Detail, sagt Karin Kellner, das fange schon beim den Fenstern an.
    "Weil die Griffe natürlich so angeordnet sind, dass sie im Stehen an das Fenster herantreten und den Griff öffnen. Wenn sie sitze, ist der Griff faktisch zu hoch angebracht. Sie müssen ihn tiefer setzen, das geht aber oft mit der Konstruktion des Fensters an sich nicht einher. Wir haben im Moment relativ stringente energetische Anforderungen. Die Fensterkonstruktionen, die werden immer schwerer, wir haben hier Drei-Scheiben-Verglasung. Und dann muss der Griff einfach konstruktiv höher sitzen als es eigentlich für Behinderte geeignet ist. Aber der Wunsch das Fenster selbstständig öffnen zu können, der hat natürlich Relevanz."
    Stühle brauchen die Bewohner in ihrer Gemeinschaftswohnung nicht, da sie ja Rollstuhlfahrer sind, trotzdem soll der Gemeinschaftsraum gemütlich wirken, also platzierte die Architektin Bänke an den Wänden, sodass Besucher dort Platz nehmen können und trotzdem noch genug Raum zum Manövrieren der Rollstühle um den großen Esstisch bleibt. Bestandteil des Konzeptes für die behindertengerechten Gemeinschaftswohnungen ist auch, dass die Ladestation für die E-Rollis, die Wäscherei, das Büro und die Toilette für die Mitarbeiter ausgelagert sind.
    "Also es so, diese Mieter, die in diese Anlage einziehen werden, die Mieter mit Handicap, die haben quasi eine 24-Stunden-Betreuung. Und wir haben die Nutzräume, die die Gruppe braucht, außerhalb der Wohnung extern, in unmittelbarer Nachbarschaft auf der Etage angeordnet. Also, damit die Wohnung wirklich wie eine Wohngemeinschaftswohnung in Erscheinung tritt. Dass man durchaus auch die Möglichkeit hat, diese Einheit für den Fall, dass die Nutzer irgendwann ausziehen, umzunutzen und eine ganz normale Wohnung daraus zu bauen."
    15 bis 18 Prozent Mehrkosten durch barrierefreies Bauen
    Extrabreite Eingangstüren, Fluchtwege, die mit E-Rollstühlen zu bewältigen sind, Aufzüge, bodentiefe Fenster, große stufenfreie Duschbäder, solche Besonderheiten kosten. Die Architektin schätzt: 15 bis 18 Prozent Mehrkosten sind durch den barrierefreien Bau entstanden. Bauherr des Projektes ist die Gesellschaft für Bauen und Wohnen Hannover, die knapp kalkulieren muss und den Wohnraum öffentlich fördert, die Kaltmiete liegt bei 8,50 Euro pro Quadratmeter. So waren am Ende doch einige Kompromisse nötig. Aber mit denen kann die Architektin ganz gut leben, anders als mit der, ihrer Meinung nach, zu starren Bauordnung.
    "Ich wünsche mir, durch diese Leuchtturmprojekte, die es im Moment landauf landab gibt, dass das Bewusstsein in den Köpfen der Entscheider auch in Richtung inklusive Gesellschaft geschärft wird, weil: Dann haben wir die Flexibilität, die es braucht, um Konzepte, die sich der Herausforderung stellen, auch individueller anzufassen. Wir leiden im Augenblick bei den Projekten unter den Anfordernissen, die von der niedersächsischen Bauordnung, von den DIN-Vorschriften an uns herangetragen werden. Und da kann man eben nicht mal sagen, gebt uns da mal ein Stück weit Spiel, das ist jetzt in dem Fall einfach erforderlich."
    Ein Rollstuhl steht unter einer Treppe in einem Wohnhaus.
    Ein Rollstuhl steht unter einer Treppe in einem Wohnhaus. (dpa/ Arno Burgi)
    Digitalisierung schafft Mobilität
    Mobilität ist ein neben Wohnen und dem Aufenthalt im öffentlichen Raum ein weiterer Aspekt beim Thema Barrierefreiheit. Die Hamburger Trendforscherin Birgit Gebhardt geht davon aus, dass durch die Digitalisierung unsere Umgebung immer intelligenter wird, so könnten künftig zum Beispiel auch Menschen mit geistiger Behinderung Auto fahren, weil der PKW sich eigenständig durch den Verkehr bewegen kann, und Assistenzsysteme zum Beispiel blinde Menschen, die zu Fuß unterwegs sind, rechtzeitig auf Hindernisse aufmerksam machen.
    "Ja, das glaube ich schon: Diese Roboter, diese Assistenten, die Assistenzsysteme, die intelligenten Umgebungen, das spielt für jeden eine Rolle. Das spielt für Behinderte eine Rolle, das spielt für ältere Menschen eine Rolle, das spielt auch für junge Menschen eine Rolle, die jung und dynamisch und überall aktiv sind. Wir alle werden das nutzen, wenn wir das Gefühl haben, wir können uns besser orientieren, besser navigieren, sind schneller am Ziel, mit dem, was wir wollen. Haben eine intelligente Umgebung, die mitdenkt, was Tolleres kann man sich ja eigentlich gar nicht wünschen, Und das bedeutet, dass die Umgebung eigentlich nur fragt: Was brauchst du jetzt? Wo kann ich dich hinbringen? Was ist eigentlich dein individuelles Ziel? Und fragt nicht mehr nach Barriere oder Rollstuhl oder nach dem Führerschein, sondern eigentlich nur noch nach dem Vorhaben."
    Intelligente Assistenten für ein selbstständiges Leben
    Intelligente Assistenten können das selbstständige Leben für Menschen mit Behinderung künftig einfacher machen, aber das Ziel von Barrierefreiheit ist auch ein inklusives Miteinander, betont Agathe Bogacz, vom Forum "Eine Mitte für Alle". Deshalb hat sich die Interessengemeinschaft auch von Anfang an Gedanken darübergemacht, wie eine inklusive Nachbarschaft im neuen Stadtteil Altona Mitte gefördert werden kann:
    "Wir haben ja 20 Prozent der Fläche, die an Baugemeinschaften vergeben wurde. Und das sind Baugemeinschaften, die das Thema Nachbarschaft und Inklusion sehr aktiv mit unterstützen und mit tragen. Und die haben schon allerlei Ideen, was sie vor Ort machen werden. Von Nachhilfe-Unterricht für Schüler, Bewerbungstrainings, gemeinsame Kulturveranstaltungen, Musikveranstaltungen, bis hin zu Tandemfahrten von Blinden und Sehenden im Quartier."
    Barrierefreiheit in all ihren baulichen und sozialen Aspekten wird bald kein Randthema mehr sein. Gutachten aus Deutschland und den europäischen Nachbarländern kommen zu dem Schluss, dass eine barrierefrei zugängliche Welt für etwa zehn Prozent der Bevölkerung zwingend erforderlich ist. "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden", steht im Grundgesetz. Doch nicht nur Rechtsansprüche von Menschen mit Behinderung werden unsere gebaute Umwelt verändern, sondern auch der Alterungsprozess der Gesellschaft und die - ganz schlicht - allgemein steigenden Ansprüche an die Bequemlichkeit.