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Bartels: In der deutschen Mannschaft steckt noch viel mehr

Im Halbfinale gegen Italien habe die deutsche Mannschaft nicht auf dem höchsten Level gespielt, sagt Tom Bartels. Er schaut jedoch zuversichtlich in die Zukunft. Der ARD-Fussballkommentator ergänzt, dass viele große Talente aus den Nachwuchsabteilungen in Deutschland nachwachsen.

Tom Bartels im Gespräch mit Jürgen Liminski | 02.07.2012
    Jürgen Liminski: Spanien hat seinen Titel erfolgreich verteidigt und darf sich weiterhin die beste Mannschaft Europas und der Welt nennen. Hätten die Deutschen gegen diese Spanier eine Chance gehabt? Denn wenn sie erst mal zu ihrem Spiel finden, die Spanier, dann walzen sie alles nieder, nicht nur Italien, auch bei den Iren war das so, und als Irland im Gruppenspiel in Danzig 4:0 gegen die Spanier zurücklag, da stimmten die irischen Fans ihre Nationalhymne an, die von Leid, Not und Verzweiflung auf der grünen Insel singt. Das war wohl einer der bewegendsten Momente dieser Europameisterschaft und das klang im Fernsehen dann so:

    Liminski: Moderator dieses Spiels war Tom Bartels. Er wurde gelobt, weil er diese Szene wirken ließ und nichts, kein Wort gesagt hatte. Hoffentlich sagt er am Telefon jetzt mehr. Guten Morgen, Herr Bartels.

    Tom Bartels: Ja guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Bartels, Spanien - die beste Mannschaft, unschlagbar?

    Bartels: Auf keinen Fall unschlagbar, aber die beste Mannschaft. Das war gestern beeindruckend, wie sie gegen Italien gewonnen haben, aber ansonsten haben sie im Turnier durchaus auch Schwächen gezeigt und ich hätte mich auch sehr gefreut, wenn Deutschland die Chance gehabt hätte, im Finale gegen sie zu spielen. Vielleicht wäre es anders ausgegangen!

    Liminski: Was muss denn passieren, damit die deutsche Mannschaft diese Spanier schlägt? Einfach nur warten, bis die Spanier älter werden? Unsere Elf ist ja sehr jung.

    Bartels: Ja, das ist gar keine schlechte Maßnahme. Aber vielleicht können wir da lange warten, weil immer wieder was nachkommt, auch bei den Spaniern. Die haben ja mit Barcelona oder auch mit Madrid zwei ganz tolle Vereine, die sehr gut ausbilden, die super Nachwuchsabteilungen haben, wo wir auch in diesem Jahr viele tolle Spieler gesehen haben, die noch nachwachsen. Trotzdem: was muss passieren? - Die deutsche Mannschaft muss auf dem höchsten Level spielen, das ihr möglich ist. Das hat sie leider im Halbfinale gegen Italien nicht geschafft, in anderen Spielen angedeutet. Ich denke, dass in der Mannschaft, in der deutschen Mannschaft noch viel mehr steckt, als wir gesehen haben, und ich dachte eigentlich schon, dass es gestern in Kiew hätte so weit sein können, dass Deutschland Spanien schlägt.

    Liminski: Nach der EM ist vor der WM. Wo sehen Sie das größte Potenzial in Europa? Welches ist die kommende Mannschaft?

    Bartels: Aus meiner Sicht ist Deutschland die kommende Mannschaft, nach wie vor, weil ich glaube, dass nach wie vor große Talente nachrücken, die uns teilweise ja fast vorenthalten wurden - sicherlich auch zurecht: ein Mario Götze, der nicht wirklich fit war, andere, die nachrücken aus verschiedenen Vereinen. Ich denke, dass wir eine tolle Struktur haben in Deutschland. Da hat sich in den letzten zehn, zwölf Jahren enorm viel getan. Wir haben eine super Infrastruktur, wir haben tolle Nachwuchsleistungszentren, die hatten wir über Jahre davor nicht, das ist versäumt worden. Jetzt sieht man, wie viele große Talente aus diesen Mannschaften, aus diesen Nachwuchsabteilungen nachwachsen, und ich denke, dass wir auch zum Teil gesehen haben, wie gut die Mannschaft spielen kann, schon 2010 bei der WM, dass wir jetzt noch viele Spieler haben wie Marco Reus, die die Nationalmannschaft jetzt verstärkt haben, und ich denke, dass das so weitergeht. Auch Mats Hummels ist ein Beispiel. Die Mannschaft ist - Sie haben das selbst eben angesprochen - extrem jung, sie wird es bleiben und es sind noch viele gute junge Spieler, die nur darauf warten, spielen zu können, und ich denke, dass das die Mannschaft ist, die das meiste noch möglich machen kann, von allen, die mir im Moment einfallen.

    Liminski: Was waren denn für Sie die spannendsten, die bewegendsten Momente dieser EM?

    Bartels: Sie haben das auch schon vorweggesagt: die irischen Fans, die gesungen haben. Das hat auch mich sehr beeindruckt, da habe ich auch Gänsehaut bekommen. Ansonsten war für mich erstaunlich, wie gut sich Italien geschlagen hat. Das hätte ich der Mannschaft ganz sicher so nicht zugetraut, dass sie so weit kommen können und vielleicht sogar, wenn sie diese unglückliche Verletzung gestern von Chiellini früh nicht gehabt hätten, auch noch am gestrigen Tag eine bessere Rolle spielen hätten können. Danach haben sie ja zu zehnt weitergespielt, als auch noch Motta sich verletzt hat. Also Italien ist sicherlich eine der spannendsten Mannschaften in diesem Turnier gewesen. Sehr spannend ist für mich immer wieder, wenn ich Barcelona oder auch Spanien sehe, ob es wieder gelingt, dass sie ihr Spiel durchdrücken, weil man auch als Fan, als Anhänger des Sports immer darauf wartet, gibt es jetzt eine Mannschaft, die diesen Code knackt, und da sind einige sehr nahe gekommen - Italien im Gruppenspiel, auch Kroatien. Es gab viele, die nahe dran waren, Portugal nicht zu vergessen, auch eine große Überraschung. Und vielleicht noch, wenn man das zusammenfassen darf oder abrunden darf: Es gibt immer wieder Nationen, die begeistern, kleine Nationen wie Kroatien, die gerade mal gut vier Millionen Einwohner haben, aber sich mit den Großen messen können, und das immer wieder. Und wie sie das machen, das, finde ich, ist das große Geheimnis. Wir haben 20 Mal so viele Einwohner fast und sind trotzdem manchmal nur ein Tor besser. Das finde ich auch bemerkenswert.

    Liminski: Wir wollen jetzt hier nicht einen weiteren Stammtisch aufmachen, aber finden Sie nicht, dass in den Medien zu viel genörgelt und kritisiert und zu wenig gelobt und Begeisterung gezeigt wird in Deutschland?

    Bartels: Ich glaube nicht, dass es die Aufgabe der Medien ist, permanent zu jubeln und alles zu überhöhen. Ich denke, dass vielleicht sogar in dem Fall einige Medien übers Ziel hinausgeschossen sind, die jetzt allerdings genauso draufprügeln auf das, was nicht geklappt hat. Ich denke schon, dass ein Land wie Deutschland, was nach Russland, glaube ich, bei so einem Ereignis wie der EM die meisten Einwohner hat - und Russland hatte sicherlich auch strukturell ganz andere Voraussetzungen, also viel größere Probleme. Wir sind ein relativ kleines Land mit vielen, vielen Fußballern, und auch meine Erwartung ist im Prinzip schon, dass wir mindestens das Halbfinale erreichen müssten. Von den Spielern, die wir haben, ist das sicherlich allemal zu erwarten und möglich. Es verdienen auch alle gut genug, deswegen dürfen sich sicher auch alle der Kritik stellen. Vielleicht hat sogar das eine oder andere Medium die Leistung der deutschen Mannschaft lange Zeit zu gut gesehen. Sie waren für mich in keinem Spiel wirklich herausragend oder so herausragend, wie bei der WM 2010, und es ist auch Aufgabe der Medien, das immer wieder auch kritisch zu beleuchten und zu hinterfragen. Wenn denn alles passt, wie bei der WM 2010 in einigen Spielen, gegen England oder gegen Argentinien, dann haben Sie, glaube ich, auch nicht gelesen, dass irgendjemand genörgelt hätte. Aber hier hat nicht immer alles gepasst. Deutschland hat eine gute EM gespielt, aber keine sehr gute, für mich zumindest nicht.

    Liminski: Fußballexperte Tom Bartels, Moderator mit Auszeichnungen, heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Besten Dank für das Gespräch, Herr Bartels.

    Bartels: Sehr gerne. Danke schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.