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Bartels zum Bundeswehretat
"Deutschland muss ein bisschen mehr für Verteidigung tun"

Zur aktuellen Debatte um den Bundeswehr-Etat sagte der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD) im Dlf: "Was im Koalitionsvertrag fehlte, war eine konkrete Zahl." Er forderte Planbarkeit für den Verteidigungsetat und eine perspektivische Erhöhung auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes.

Hans-Peter Bartels im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 02.05.2018
    Fallschirmjäger bei der Großübung "Red Griffin/Colibri 50" in der Nähe von Ahrenviölfeld
    Fallschirmjäger bei der Großübung "Red Griffin/Colibri 50" (picture alliance / dpa / Carsten Rehder)
    Tobias Armbrüster: Wenn sich heute die Minister im Bundeskabinett treffen, dann könnte es dort zu einigen Verstimmungen kommen. Denn auf der Tagesordnung steht der Haushalt für das kommende Jahr 2019 und außerdem die Finanzplanung bis 2022. Es geht also um Geld, und da hat in den letzten Tagen vor allem die Bundesverteidigungsministerin, Ursula von der Leyen von der CDU, klargemacht, dass sie für ihr Ressort, für die Bundeswehr mehr will, als bislang geplant. Ganz konkret: Die CDU-Politikerin will in den kommenden Jahren eine Aufstockung um zwölf Milliarden Euro. Der Bundesfinanzminister, Olaf Scholz von der SPD, der will ihr nur sechs Milliarden Euro mehr geben.
    Das müssen wir besprechen. Am Telefon ist der Wehrbeauftragte des Bundestages, der SPD-Politiker Hans-Peter Bartels. Schönen guten Morgen.
    Hans-Peter Bartels: Guten Morgen.
    Armbrüster: Herr Bartels, wer von den beiden hat denn recht?
    Bartels: Ganz klar: Die Bundeswehr braucht zusätzliches Geld. In den letzten Jahren, in den letzten Jahrzehnten seit 1990 war die Bundeswehr Gegenstand von Sparmöglichkeiten. Nach dem Ende des Kalten Krieges war sie immer kleiner geworden: immer weniger Soldaten, weniger Gerät, weniger Standorte, weniger Verbände. Da haben wir jetzt eine neue Situation. Seit 2014 muss die Bundeswehr auch kollektive Verteidigung in Europa wieder können, nicht nur die Auslandseinsätze mit überschaubar großen Kontingenten, und dafür braucht es nun eine besser ausgestattete, ein klein bisschen größere Bundeswehr, also auch mehr Geld.
    "Was im Koalitionsvertrag fehlte, war eine konkrete Zahl"
    Armbrüster: Und das hat Ihr Parteikollege Olaf Scholz noch nicht so ganz verstanden?
    Bartels: Na ja. Man hat im Koalitionsvertrag diese Einsicht ja sogar schon formuliert. Die Bundeswehr soll angemessen ausgestattet werden. Sie soll das bekommen, was sie braucht. Das soll auch zusätzliche Haushaltsmittel einschließen. Was im Koalitionsvertrag fehlte, war eine konkrete Zahl. Für andere Projekte der Koalition sind Haushaltszahlen vereinbart worden im Koalitionsvertrag; für die Verteidigung aber nur ein Mechanismus, dass, wenn Haushaltsüberschüsse da sind, die im Verhältnis eins zu eins auf Entwicklung und Verteidigung aufgeteilt werden. Mal gucken, wie eigentlich die finanzpolitische Situation dieses Jahr aussieht. Ich glaube, das was jetzt im Entwurf der Regierung steht, ist ein Anfang, aber noch nicht das Ende der Diskussion.
    Armbrüster: Dann müssen wir trotzdem über diese Zahlen reden, die da jetzt im Raum stehen. Die Verteidigungsministerin sagt, sie braucht unbedingt zwölf Milliarden Euro mehr für die Truppe. Ist das Ihrer Ansicht nach eine korrekte Zahl, eine angemessene Aufstockung?
    Bartels: Ich will nicht selber Zahlen in die Welt setzen. Aber dass es deutlich mehr Geld braucht, als im Moment zur Verfügung steht, ist unbestritten. Richtig ist aber auch, dass das Verteidigungsministerium eine Struktur schaffen muss, das Geld auch ausgegeben zu bekommen. Es sind in den letzten Jahren immer wieder gerade Beschaffungsmittel nicht abgeflossen, weil die Bürokratie nicht darauf eingestellt war, mit diesen wieder wachsenden Summen umzugehen. Man muss auch den Apparat in Gang kriegen. Dann allerdings wird es einige Milliarden zusätzlich brauchen, insbesondere für die Beschaffungsmaßnahmen.
    "Das muss auf einer planbaren Grundlage sein"
    Armbrüster: Einige Milliarden zusätzlich über die zugesagten sechs Milliarden Euro hinaus?
    Bartels: Über die sechs Milliarden, auf die man sich schon geeinigt hat, was ja schon mal gut ist, hinaus zusätzliches Geld, und das muss auch auf einer planbaren Grundlage sein. Es nützt nichts, wenn das von Jahr zu Jahr schwankt, sondern insgesamt muss sich der Plafond, die Grundlage, auf der dann solche Verträge gemacht werden können für langfristige Beschaffungen, insgesamt muss sich das erhöhen – nicht in der Größenordnung zwei Prozent, wie wir das im Bundestagswahlkampf zum Beispiel diskutiert haben oder wie man es aus Amerika hört. Deutschland gibt jetzt 1,2 Prozent seines Bruttosozialprodukts für Verteidigung aus. Wenn wir in die Richtung 1,5 Prozent kämen, wäre schon viel gewonnen, um die Lücken bei Material und Personal in der Bundeswehr zu schließen.
    Armbrüster: Das heißt aber, Herr Bartels, nur dass wir das klar feststellen können heute Morgen: Sie sagen, Olaf Scholz muss da noch mal etwas drauflegen?
    Bartels: Ich gehe davon aus, dass die Verteidigungsministerin jetzt noch mal sehr präzise argumentieren wird und darlegen wird, für welche Projekte, in welchem Zeitraum Geld gebraucht wird. Insgesamt gibt es ja eine Menge Projekte; manche davon sind auch erst viel später mit Geld zu unterlegen. Das neue Kampfflugzeug, deutsch-französisch, oder ein neues Gefechtsfahrzeug. Aber andere Projekte brauchen sofort Geld, mal angefangen bei der Kampfbekleidung, Schutzwesten für Soldaten. Da ist immer noch keine Vollausstattung. Wir sind weit entfernt von einer Vollausstattung. Das kann man sofort beschaffen. Die neuen Fregatten für die Marine sind eigentlich vergabereif. Wir sind seit über 15 Jahren dabei, ein Luftverteidigungssystem zu konzipieren. Da müssen die Aufträge jetzt langsam mal raus.
    "Jetzt geht es um die Summen"
    Armbrüster: Ich will nur noch mal auf den Vorschlag oder auf die Zahlen von Olaf Scholz, vom Bundesfinanzminister kommen, der gesagt hat, sechs Milliarden. Da sagen Sie, da muss er noch mal nachlegen, der Minister?
    Bartels: Die Diskussion wird weitergehen. Sie sehen es ja auch daran, dass Verteidigung und Entwicklungszusammenarbeit …
    Armbrüster: Herr Bartels, mich interessiert Ihre Meinung. Sie sagen, da muss noch mal was drauf?
    Bartels: Mehr als ein Jahr können wir ja nicht erwarten. Ich sage, ja, das muss weitergehen. Heute wird aber nicht der Bundeshaushalt beschlossen. Jetzt wird erst mal der Bundeshaushalt für 2018 gemacht. Der wird relativ unstrittig sein, weil da niemand Erhöhungen verlangt. Das, was im letzten Jahr mal von der Großen Koalition damals aufgeschrieben wurde, das wird reichen in diesem Jahr. Strittig ist der Haushalt für 2019, der dann gemacht wird, im Herbst im Parlament sein wird, und da wird es noch eine Diskussion geben. Das merken Sie auch daran, dass die beiden Minister mit einem gemeinsamen Vermerk diesen Kabinettsbeschluss heute versehen wollen. Das ist auch genau richtig. Aber Frau von der Leyen wird diese Diskussion öffentlich auch mit einer Präzisierung der Projekte und der Zeitschienen führen müssen. In den Koalitionsverhandlungen ist ja nicht so sehr über Geld gestritten worden, jedenfalls nicht über Geld in diesem Bereich, sondern nur ein Mechanismus festgelegt worden. Jetzt geht es um die Summen in welchem Zeitraum.
    "Die Bundeswehr ist materiell in einer Zwickmühle"
    Armbrüster: War das ein Fehler, das nicht klar festzulegen?
    Bartels: Vielleicht war das auch ein bisschen mit Rücksicht darauf, dass es in der SPD noch eine Mitgliederabstimmung über den Koalitionsvertrag geben sollte und man dachte, da nichts zumuten zu wollen. Ich persönlich glaube ja, dass Sozialdemokraten sehr gut in der Lage sind, Realitäten, auch veränderte weltpolitische Realitäten zur Kenntnis zu nehmen und in Beschlüsse zu fassen. Auch in der ganzen deutschen Bevölkerung gibt es inzwischen eine Wahrnehmung, das Bedrohungsniveau ist gestiegen, Deutschland muss ein bisschen mehr für Verteidigung tun. Es geht ja nicht um Aufrüstung wie im Kalten Krieg. Damals haben wir 3,5 Prozent für Verteidigung ausgegeben, heute sind wir bei 1,2 Prozent.
    Armbrüster: Wir hören heute Morgen, Herr Bartels, außerdem diese Nachricht, die "Der Spiegel" verbreitet, eine "Spiegel"-Meldung, dass nur zehn Kampfjets vom Typ Eurofighter derzeit einsatzbereit sind. Die Bundeswehr hat aber bei der NATO 82 Eurofighter als einsatzbereit gemeldet. Nur zehn Kampfjets einsatzbereit. Was sagt das aus über den Zustand bei der Bundeswehr?
    Bartels: Das sind die Meldungen, wie wir sie in den letzten Jahren eigentlich schon fast gewohnheitsmäßig zur Kenntnis genommen haben. Gerät, für das Ersatzteile fehlen, neue Systeme, die eingeführt werden mit jeder Menge Kinderkrankheiten, altes Gerät, für das man eigentlich gar keine Wartungslinien mehr hat. Die Bundeswehr ist materiell in einer Zwickmühle. Sie muss die Auslandseinsätze, die jetzt laufen, Mali, Afghanistan, möglichst gut bedienen und sie muss gleichzeitig als Ganzes fit gemacht werden für die Teilnahme an kollektiver Verteidigung in Europa. Das ist ein Minimum an Abschreckung, auf das sich die NATO wieder geeinigt hat, und dafür sind wir materiell überhaupt nicht aufgestellt.
    "Es braucht auch bessere Strukturen"
    Armbrüster: Fehlt es denn da wirklich nur an Geld?
    Bartels: Ohne Geld geht es nicht. Es braucht auch bessere Strukturen. Ich sagte ja schon, das Beschaffungswesen ist in den letzten Jahren nicht immer in der Lage gewesen, selbst das Geld, was zur Verfügung gestellt wurde, komplett auszugeben. Das muss besser werden. Aber klar ist, es braucht zusätzliches Geld für das Schließen der erheblichen materiellen Lücken und für auch das Schließen einer personellen Lücke. Etwa 12.000 zusätzliche Stellen für Soldaten sollen geschaffen werden bis 2024. Auch die muss man gewinnen und bezahlen.
    Armbrüster: Herr Bartels, wir müssen noch ganz kurz über eine andere Meldung an diesem Mittwochmorgen sprechen. Das Friedensforschungsinstitut SIPRI sagt, die weltweiten Rüstungsausgaben steigen derzeit auf ein Niveau, das wir zuletzt im Kalten Krieg gesehen haben. Sind wir in Deutschland mit diesen Milliarden-Steigerungen bei der Bundeswehr jetzt Teil dieser unglückseligen Entwicklung?
    Bartels: Na ja, ich sagte es schon: Deutschland ist mit 1,2 Prozent Verteidigungsausgaben, also nicht Rüstung im Sinne von Beschaffung von Material, sondern Verteidigung, alles was die Bundeswehr kostet, von Personal über Betrieb bis zum Material, beteiligt. 1,2 Prozent ist echt die untere Kante. Viel weniger haben wir noch nie ausgegeben in unserer Geschichte. Hingegen im Kalten Krieg haben wir, ich sagte schon die Zahl, 3,5 Prozent unseres Bruttosozialprodukts in den 80er-Jahren ausgegeben. Da wollen wir überhaupt nicht hin. Niemand will da hin. Auch eine Zwei-Prozent-Bundeswehr wird nicht wirklich geplant, nicht im Verteidigungsministerium, nicht an anderer Stelle, sondern eine Bundeswehr in der Größenordnung, wie wir sie jetzt haben, aber voll ausgerüstet, und dafür braucht man einige Milliarden mehr.
    "Das Zwei-Prozent-Ziel ist eine Orientierung"
    Armbrüster: Habe ich Sie da richtig verstanden? Das Zwei-Prozent-Ziel, das haben Sie schon abgeschrieben?
    Bartels: Ich weiß nicht, wer konkret daran planen sollte. Das Zwei-Prozent-Ziel ist eine Orientierung. Es geht darum, die Ausgaben in diese Richtung zu entwickeln. Aber eine Bundeswehr, die zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts verbrauchen sollte, dürfte, müsste, müsste deutlich größer sein und dann auch ganz andere Dinge können, als wir heute in der NATO zugesagt haben, als das Fähigkeitsniveau der Bundeswehr nach den heutigen Planungen ist.
    Armbrüster: … sagt hier bei uns im Deutschlandfunk der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.
    Bartels: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.