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Bau auf tönernen Füßen

Der italienische Architekt Franco Stella, dessen Entwurf zum neuen Berliner Stadtschloss den Wettbewerb der Bundesregierung gewonnen hatte, hätte womöglich gar nicht an dem Wettbewerb teilnehmen dürfen. Nach Recherchen des Stadtmagazins "Zitty" hat sein Büro die nötigen Vorgaben nicht erfüllt. Stella weist die Vorwürfe zurück.

Von Carsten Probst | 01.07.2009
    Je mehr man von den bislang gut gehüteten Einzelheiten über Ausschreibung und Planung des neuen Berliner Stadtschlosses erfährt, desto deutlicher wird, dass es sich tatsächlich um einen großen, symbolischen und identitätsstiftenden Bau der sogenannten Berliner Republik handelt, und zwar schon jetzt, lange bevor noch der erste barocke Fensterbogen gesetzt ist. Im 20. Jahr der Wiedervereinigung erinnern wir uns beispielsweise gern daran, dass Deutschland nunmehr ein völlig normales Land ist, die Wunden der Vergangenheit werden nach und nach getilgt, auch das Stadtschloss wird bekanntlich eine solche Wunde schließen, und es wird, wie es derzeit aussieht, auch durch seine Baugeschichte jene Normalität symbolisieren, die wir in Deutschland so lange vermisst haben.

    Blickte man jahrzehntelang beispielsweise nach Italien, dem Herkunftsland von Franco Stella, dem ausgewählten Schlossneubauarchitekten, konnte man immer nur schmunzeln über die Geschichten von kleinen und größeren Mauscheleien, die sich um die berühmtesten Bauten rankten. Besaß Michelangelo etwa eine Architektenlizenz, als er den Petersdom in Rom entwarf? Nein, er riss das Projekt einfach an sich, bootete die anderen Architekten einfach aus - und das war es. Große Projekte erfordern eben kompromisslose Genies. Wer redet da heute noch von Legalität? Doch nur die pedantischen Deutschen.

    Seit heute aber eben nicht mehr. Franco Stella erfüllte wahrscheinlich die Bedingungen für die Zulassung zum Architektenwettbewerb nicht, die die Bundesregierung selbst aufgestellt hatte. Die Bundesregierung, der es um Normalität schon von Amts wegen zu tun ist, wusste wahrscheinlich, dass er sie nicht erfüllt, und ließ ihn trotzdem zum Schlossbaumeister küren. So ist das eben bei den großen und epochalen Projekten der Weltgeschichte. Wenn man sich mit kleinkarierten Formalitäten aufhält, auch wenn man sie selbst aufgestellt hat, wird das nie was.

    Franco Stellas Architekturbüro war nicht groß genug, um die Zugangsvoraussetzungen zu erfüllen. Andere kleine Architekturbüros hätten vielleicht auch gern mitgemacht. Aber Hand aufs Herz: Wer fragt in tausend Jahren danach? Die Bundesregierung wusste eben genau, was sie wollte, Franco Stella wusste es auch. Das Gute ist, dass wir Italien oder andere Länder nun nicht mehr um ihre Normalität beneiden müssen. Irgendwie erkennt man eine Kulturnation schließlich auch an der Kultur ihrer Mauscheleien. Deutschland ist wieder wer. Die Neuigkeiten rund um das Schloss werden uns dessen wohl noch öfter versichern.