Donnerstag, 28. März 2024

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Baum: Fundamentale Grundrechte gelten für alle

In der Diskussion um Online-Durchsuchungen bei Terrorverdächtigen vermisst der FDP-Politiker Gerhart Baum bei Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) eine Sensibilität für Verfassungskonformität. Es gehe bei dem geplanten Gesetzentwurf nicht nur um eine E-Mail-Überwachung, sondern um "den Zugriff auf sämtliche auf einem Rechner gespeicherte Daten". Das Grundgesetz schütze aber die Privatheit der Bürger, fügte der ehemalige Bundesinnenminister hinzu.

Moderation: Stefan Heinlein | 03.09.2007
    Stefan Heinlein: "Wir treten kraftvoll auf der Stelle!" So freundlich umschreibt Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach den Koalitionsstreit um die Online-Durchsuchungen. Mit anderen Worten: Derzeit läuft überhaupt nichts zwischen Union und SPD mit Blick auf die Schäuble-Pläne. Die Fronten haben sich verhärtet, seit ein Gesetzentwurf bekannt ist, der die Ausspähung privater Computer auch ohne richterliche Anordnung möglich machen soll. Klare Rückendeckung erhält der Bundesinnenminister von Seiten des BKA-Chefs Ziercke. Die Datenschützer warnen dagegen vor einem Vertrauensverlust der Bürger. Mitte Oktober entscheidet das Bundesverfassungsgericht über ein Gesetz in Nordrhein-Westfalen, das Online-Durchsuchungen bereits erlaubt. Geklagt hat unter anderem der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP). Guten Morgen Herr Baum!

    Gerhart Baum: Guten Morgen!

    Heinlein: Herr Baum, wie wichtig ist Ihr privater Computer, sind E-Mails für Ihre persönliche Korrespondenz und die Verwaltung Ihrer Daten?

    Baum: Es ist ein Stück meiner Privatheit und ich wehre mich dagegen, dass der Staat künftig mit einem einzigen Zugriff ein vollständiges Bild von meinen Neigungen, Gewohnheiten machen kann. Es ist mein ausgelagertes Gehirn oder wenn Sie so wollen mein Seelendepot und deshalb ist der Eingriff, der geplant ist, so schwerwiegend. Ich wundere mich ja, dass diese Frage aus der Sicht von Herrn Ziercke und Herrn Schäuble eine solche überdimensionale Bedeutung erhält. Man hat das Gefühl, die Republik ist nur durch Online-Durchsuchungen zu retten. Es gibt aber ja ganz andere Möglichkeiten, die Telekommunikation über das Internet zu überwachen, die die Polizei heute schon hat. Ich zweifle also daran, dass die Maßnahme wirklich erforderlich ist, und ich bin nach wie vor fest davon überzeugt, dass der Grundrechtsschutz nicht gewährleistet ist: Schutz der Wohnung, Schutz der Privatheit, also fundamentale Grundsätze der Verfassung. Am 10. Oktober hat das Bundesverfassungsgericht zu einer mündlichen Verhandlung eingeladen, noch nicht zu einer Entscheidung, und hat unter anderem fünf Sachverständigen vor allen Dingen der Kommunikationstechnologie zehn Fragen vorgelegt. Es ist also ein ganz komplizierter Sachverhalt, wo die technischen Abläufe die verfassungsrechtliche Analyse weitgehend bestimmen.

    Heinlein: Ein komplizierter Sachverhalt sagen Sie, Herr Baum. Versuchen wir es einfach zu machen. Ihr Computer ist Ihnen heilig. Muss dieser Schutz der Privatsphäre umgekehrt auch für Islamisten gelten? Ist dieser Schutz der Privatsphäre wichtiger als die wirksame Bekämpfung des internationalen Terrorismus?

    Baum: Ich habe ja meine Zweifel, ob das zur wirksamen Bekämpfung überhaupt notwendig ist, und ich habe gar keine Zweifel, dass fundamentale Grundrechte für alle gelten. Übrigens wird nicht nur der Ausgespähte betroffen sein, sondern auch viele andere Dritte, die mit ihm in Kommunikation treten. Das Verfassungsgericht hat in einem sehr wichtigen Urteil zum so genannten Großen Lauschangriff festgestellt, dass es für alle einen Schutz privater Lebensgestaltung gibt, für alle Bürger dieses Landes oder hier Lebende. Nach allem was wir bis heute wissen gibt es keine praktikablen Mechanismen für den Schutz dieses Kernbereichs. Die SPD und die Justizministerin haben dem Innenminister eine ganze Serie von Fragen vorgelegt. Die sind nicht zufrieden stellend beantwortet worden. Es ist also vieles sehr offen. Ich nenne zum Beispiel nur eine Frage, wie die Ziel-Software durch die so genannte Späh-Software verändert wird, was man alles mit der Kommunikationstechnologie anstellen kann. Das ist Gegenstand des Gespräches. Ich vermisse die Sensibilität beim Verfassungsminister, Innenminister Schäuble für die Verfassungskonformität. Die ganze Geschichte ist eine Art Kräftemessen in der Koalition und dient eher zur politischen Profilierung als zur Aufspürung der wirklichen Gefahren.

    Heinlein: Aber Herr Baum, noch einmal zur Kernfrage dieses Konflikts. Hat der Staat nicht die Pflicht, die Bürger vor Terroranschlägen mit allen Mitteln zu schützen, das heißt die Planung von Anschlägen aufzudecken durch die Online-Überwachung von Computern, denn das Internet und E-Mails, gelten ja lange als Fernhochschule der Terroristen?

    Baum: Im Internet ist die Überwachung der Telekommunikation, also zum Beispiel E-Mail, Voice over IP, Chats, bereits nach dem geltenden Recht möglich. Hier geht es ja um den Zugriff auf sämtliche auf einem Rechner gespeicherte Daten. Das ist etwas anderes. Und es ist eben nicht jedes Mittel recht. Sonst kämen wir sehr schnell zur Folter. Der Zweck rechtfertigt nicht jedes Mittel. Das ist die Grundposition des Bundesverfassungsgerichts bisher gewesen.

    Heinlein: Sie sagen dies sei auch eine politische Debatte, aber umgekehrt ist diese Aufregung, diese Hysterie, wie manche sagen, um die möglichen Online-Durchsuchungen nicht übertrieben, denn laut BKA soll diese Methode ja sehr, sehr selten, acht- bis zehnmal im Jahr nur angewandt werden?

    Baum: Der Schutz unserer verfassungsrechtlichen Grundrechte hängt nicht davon ab, wie viel Menschen betroffen sind. Der beginnt nicht erst, wenn 100 betroffen sind. Außerdem sind insgesamt 32 Gesetze des Bundes und der Länder betroffen. Das heißt die warten nur auf den Bund und die Verfassungsschutzbehörden und die Polizeibehörden unserer 16 Länder werden solche Gesetze machen. Wie ich die Sicherheitspolitik kenne: Wenn man es einmal zugelassen hat, wird sich eine Dynamik entwickeln. Deshalb verstehe ich und teile ich die Sorgen der Bevölkerung. Das was wir hier erleben geht über den Lauschangriff in der Wohnung hinaus und die Sensibilität erfordert eine gründliche Diskussion.

    Heinlein: Sie haben den Lauschangriff, Herr Baum, jetzt mehrfach angesprochen. Was spricht denn gegen die Online-Durchsuchungen unter strikter richterlicher Kontrolle, wie es ja jetzt schon in ähnlicher Form beim Lauschangriff der Fall ist?

    Baum: Der Lauschangriff ist sehr beschränkt worden. In dem Urteil von 2004 sind der Politik die Flügel gestutzt worden.

    Heinlein: So beschränkt, dass die Ermittler dieses Mittel gar nicht mehr einsetzen?

    Baum: Ja oder mit Recht unter großen Schwierigkeiten, denn das Gericht hat gesagt, es gibt einen privaten Bereich, aus dem Informationen überhaupt nicht aufgenommen werden dürfen. Das darf der Staat gar nicht wissen und der Staat muss dafür Sorge tragen, dass dieser Privatbereich, etwa das Gespräch mit dem Priester, mit dem Arzt, im Kernbereich der Familie, geschützt ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Wenn eine unmittelbar drohende Gefahr vorhanden ist, ist eine Ausnahme gegeben, aber das Prinzip ist richtig und das Prinzip muss auch hier angewandt werden. Der Grundrechtsschutz dieser Maßnahmen ist bisher trotz dieser heftigen Diskussion nicht gewährleistet und bleibt offen. Ich kann die SPD nur ermuntern, hart zu bleiben. Ein Urteil in Karlsruhe ist für das Frühjahr zu erwarten.

    Heinlein: Eine kurze Frage noch aus aktuellem Anlass zu einem anderen Plan aus dem Hause Schäuble: Lockerung des Waffenrechtes, Absenkung des Alters auf 18 Jahre. Machen jetzt Schützenvereine Politik in Berlin?

    Baum: Es ist absolut das falsche Signal, mehr Waffen zuzulassen. Ich frage mich, warum dürfen Sportschützen überhaupt Waffen zu Hause lagern. Es ist ja immer so: Nachdem der Pulverdampf der Amokläufe sich verzogen hat, dann gilt das, was damals die Politiker uns zugesichert haben, nicht mehr. Ich würde das nicht machen, denn die Feststellung des Innenministeriums, dass die Maßnahmen von 2002 keine zusätzliche Sicherheit gebracht habe, die bezweifle ich. Es ist das falsche Signal. Man sollte die Finger davon lassen.