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Baustelle Bologna-Prozess

Viele Studenten haben im vergangenen Jahr gegen die Bologna-Reform protestiert. 1999 von 29 europäischen Bildungsministern unterschrieben, sieht er vor, das Studium in Europa anzugleichen. Zehn Jahre wird daran inzwischen gearbeitet - und ein Ende ist nicht in Sicht.

Von Jörg Sauerwein | 05.01.2010
    "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut."

    So war es in vielen Städten, in vielen Universitäten im letzten Jahr immer wieder zu hören. Viele der Studierenden sehen sich als Opfer einer Studienreform, die zu schnell realisiert und zu wenig durchdacht wurde. So wie die 21-jährige Christina, die im dritten Semester Ernährungswissenschaften studiert. Schon die ersten zwei Semester waren richtig anstrengend und glücklich ist sie mit dem Bachelor nicht:

    "Nee, es funktioniert eigentlich überhaupt nicht. Die Zeit ist einfach viel zu knapp. Es wird auf drei Jahre beschränkt, von fünf Jahren, wie das Diplom vorher war und es passt alles noch nicht genau. Die Dozenten stellen sich auch nicht richtig drauf ein, weil sie nicht richtig überzeugt sind. Benutzen den gleichen Lehrstoff, den sie für fünf Jahre vorher benutzt haben und minimieren das Ganze jetzt auf drei Jahre. Dadurch wird es sehr anstrengend für die Studenten. Es gibt viele Abbrüche und gerade das ist bei uns ziemlich auffällig."

    Durch den Bologna-Prozess sollte der Wechsel an andere Hochschulen erleichtert werden - mit den aktuell sehr unterschiedlichen Umsetzungen der einzelnen Universitäten wurde ein Wechsel aber selbst innerhalb Deutschlands noch schwieriger. Kein Wunder, bestätigt zum Beispiel der Rektor der Universität Bonn Jürgen Fohrmann:

    "Wir haben ja im Grunde das Problem, dass dieser Bologna-Prozess relativ - es gab zwar Rahmenregelungen - aber relativ naturwüchsig in der Weise gelaufen ist, dass jede Hochschule selber versucht hat, jetzt mit diesen Rahmenbedingungen fertig zu werden. Es hat nur eine minimale Form von Koordination gegeben."

    Zu viel Stoff in zu kurzer Zeit und eine zu starke Verschulung wurden als weitere Hauptkritikpunkte am Bachelor häufig genannt. Nach wochenlangen Protesten und besetzten Hörsälen in ganz Deutschland reagierten die Kultusminister auf ihrer Konferenz im Dezember in Bonn: NRW-Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart versprach danach...

    " ..., dass man die Stofffülle hier reduziert, dass man auch die Vielzahl an Klausuren, die verlangt werden, zurücknimmt, so dass die Studiengänge einfacher studierbar werden."

    Aber das Vertrauen der Studenten in die Versprechen der Kultusminister und Hochschulrektoren ist nach vielen Jahren Bologna-Prozess nicht sonderlich groß:

    "Ich halte das nicht für ausreichend - auf keinen Fall."

    "Wenn man zum Beispiel sagt, weniger Prüfungen sollen stattfinden, dann ist schon die Frage, heißt das dann, das vielleicht nur eine Prüfung im Semester ist, dafür aber der Stoff von drei verschiedenen Veranstaltungen in diese Prüfung gesteckt wird, weil so was gibt's heutzutage auch schon - das würde keinem was bringen."

    Und auch für den Präsidenten des Deutschen Hochschulverbands Bernhard Kempen gehen die Beschlüsse der Kultusminister zur Reform der Reform nicht weit genug. Bereits zwei Generationen von Akademikern seien nahezu verschlissen worden, ohne dass auch nur eines der Bologna-Ziele erreicht worden wäre, sagte er in einem Interview. Die Vorgaben der Politik seien zu bürokratisch und bei der Frage nach dem ungehinderten Zugang zum Master-Studiengang hätten sich die Minister um eine klare Aussage gedrückt, so Kempen weiter.

    Bei allen Diskussionen um Bologna und die Studierbarkeit an deutschen Hochschulen kommt unweigerlich irgendwann auch das Stichwort Geld. Die meisten Studierenden wollen keine Studiengebühren zahlen - die Hochschulen klagen dagegen über zu wenig finanzielle Mittel. Er wolle sich zwar an den gegenseitigen Schuldzuweisungen nicht beteiligen, aber das Argument Geld lässt Sachsen-Anhalts Kultusminister Jan-Hendrik Olbertz beim Thema Bologna-Prozess nicht gelten:

    "Da wehre ich mich auch ein bisschen. Das ist ein schnelles Argument, hinter dem man sich eben auch leider verstecken kann. Eine chaotische Prüfungsordnung hat zunächst mal nichts mit Geld zu tun, sondern mit akademischer Selbstdisziplin und gesundem Menschenverstand."

    Jetzt sollten die Hochschulen nach ihren Möglichkeiten die Prüfungsordnungen durchforsten und studierbarer machen, mehr Mobilität ermöglichen und die Prüfungen reduzieren. Aber auch der Minister aus Sachsen-Anhalt ahnt, dass an der Bologna-Baustelle wohl noch weiter gearbeitet werden muss - als nächstes beim Berliner Bildungsgipfel, der für April geplant ist:

    "Inwieweit das in der Praxis nachher auch alles funktioniert oder ob man noch mal nachsteuern muss, dass würde ich ganz bewusst gerne offen lassen, denn das ist ein sehr tiefgreifender und mehrjähriger Umstellungsprozess, der im übrigen in ganz Europa läuft und keineswegs überall reibungslos. Ich hätte gar keine Scheu im April zu sagen, das haben wir gut gemacht, aber folgendes müssen wir noch nachbessern, dann muss das halt geschehen."

    Bundesbildungsministerin Annette Schavan hat Forderungen nach grundlegenden Veränderungen bei der Bologna-Reform bereits zurückgewiesen. Es werde keine Generalrevision geben. Aber die Korrekturen, die die Reform der Reform vorsieht, gehen vielen Studenten nicht weit genug. In einigen Universitäten wurden deshalb schon in den letzten Wochen wieder Hörsäle besetzt. Die Studenten wollen, dass die Arbeiten an der Baustelle Bologna schnell und umfassend angegangen werden und geben sich kämpferisch:

    "Also wir werden so lange weiter demonstrieren und so lange weiter auf die Barrikaden gehen, bis uns wirklich zugehört wird und wirklich die Dinge umgesetzt werden, die wir fordern. Weil, das ist bisher noch nicht der Fall."

    "Wir kämpfen weiter."

    "Bildung - Bildung - Bildung - Streik, Streik, Streik."