Samstag, 20. April 2024

Archiv

Baustellenroman
Japanischer Ofen und deutsche Kartoffeln

In dem neuen Roman von Christoph Peters prallen Kulturen aufeinander: In Ostholstein soll ein alter japanischer Keramik-Brennofen gebaut werden. Auf der Baustelle treten erwartbare interkulturelle Probleme auf, aber auch Überraschungen. Wie zum Beispiel die Liebe von Herr Yamashiro zur deutschen Küche.

Von Dina Netz | 01.10.2014
    Der Schriftsteller Christoph Peters liest aus einem seiner Bücher vor.
    Der Schriftsteller Christoph Peters schreibt in seinem neuen Buch über deutsch-japanische Begegnungen. (picture alliance / Erwin Elsner)
    Christoph Peters ist fasziniert von Japan. Aber nicht vom grellen, bunten heutigen Japan mit seinen Hello-Kitty-Kleidchen, plappernden Spielautomaten und blinkenden Leuchtreklamen. Christoph Peters ist fasziniert vom alten Japan und seinen Traditionen. Bereits in seinem Roman "Mitsukos Restaurant" von 2009 schrieb er über eine deutsch-japanische Begegnung, genauer: über die Begegnung zweier Deutscher mit japanischer Küche und Keramik. Schon damals schlug Peters erzählerische Funken aus der Konfrontation deutscher Japan-Sehnsucht mit der Wirklichkeit. In "Herr Yamashiro bevorzugt Kartoffeln" entfacht er daraus ein ganzes Feuerwerk – durchaus auch im Wortsinne.
    Es geht nämlich um den Bau eines japanischen Keramik-Brennofens, allerdings nicht in Japan, sondern an der ostholsteinischen Küste, zwischen Wiesen, Ackerflächen, Hügeln.
    "Entlang der Straße hinauf zur Insel Vrätgarn, umgeben von kleineren Stücken Wald, das Dorf Rensen, 740 Einwohner, Bäckerei, Postamt mit Schreibwarenverkauf, Sparkassenfiliale, das Gasthaus Pit's Schollenkutter, wo Herta Mölders ganzjährig Bier und Schnaps ausschenkt. Während der Saison hat sie einen Rumänen in der Küche, der ihr Schnitzel und Fisch brät. Das Zentrum des Ortes bilden, umgeben von Wassergräben, eichenbestandenen Wällen, die beträchtlichen Reste der Klosteranlage, Backsteingotik."
    Japanischer Ofen in Ostholstein
    In dieses Milieu hinein will der Deutsche Ernst Liesgang also einen japanischen Anagama-Ofen bauen, einen traditionellen japanischen Brennofen, der mit Holz befeuert und wahnsinnig heiß wird – die Brenntemperatur liegt um 1300 Grad. Überhaupt steht japanische Keramik in Christoph Peters' Roman natürlich für weit mehr als nur für hübsche Teeschalen:
    Peters: "Die ältesten Keramiken sind 10.000 Jahre alt. Es ist sozusagen der Beginn der Hochtechnologie. Keramik und Schmiedekunst basieren beide auf der Zähmung des Feuers. Das ist sozusagen der erste Schritt in Richtung auf eine Zivilisation, dass man lernt, mit dem Feuer einerseits Eisen oder Kupfer auszuschmelzen und auf der anderen Seite Keramiken zu brennen. Damit werden ganz neue Bauformen möglich. Das ist nicht nur so ein nettes Hobby; Keramik führt dazu, dass man richtige Häuser bauen kann."
    "'Alles hat mit der Keramik angefangen', fuhr Ito Hidetoshi fort. 'Die ganze Kultur. Auf dem Weg der Keramik haben die Menschen sich die Feuergeister zu Verbündeten gemacht. Nur in der Keramik wirken die vier Elemente harmonisch zusammen und nur dort findet sich bis heute die Einheit von Kunst, Wissenschaft und Technologie.'
    Nakata Seiji nickte.
    'Man muss sich die Keramik anschauen, wenn man etwas über den geistigen Stand eines Volkes erfahren will.'"
    Peters: "Wir umgeben uns mit Unmengen von Ramsch, von Schrott, von schlecht produziertem, irgendwie designtem Zeugs und das wird immer mehr, das verbraucht Unmengen von Ressourcen. Aber wenn man sich tatsächlich darauf besinnen würde, ernsthaft von Hand hergestellte, gute Gegenstände wieder mehr in den Blick zu nehmen und zu benutzen, das würde sowohl der Geistigkeit unseres Alltags guttun, es würde die Ressourcen schonen, weil man zufriedener wäre mit dem, was man an guten Gegenständen hätte und es würde, jetzt mal ganz utopisch, visionär gedacht auch eine große Menge von Arbeitsplätzen schaffen, die nicht idiotisch wäre. Alle diese ganzen Fragen, des wie wir Leben wollen, sind sozusagen in dieser Auseinandersetzung mit der Handwerkskunst des alten Japan eigentlich enthalten. Insofern auch heute fast noch gegenwärtiger als in den 80er-Jahren, weil wir viel mehr mit der Nase gestoßen werden, dass wir weit über unsere Verhältnisse leben mit der Massenproduktion, der wir frönen."
    Ernst Liesgang hat die Keramikkunst in Japan gelernt. Für sein Vorhaben in Ostholstein kommen ihm seine Kontakte dorthin zugute - und die Tatsache, dass es ein viele Jahrzehnte altes Versprechen gibt, einen Ofen dieser Art in Deutschland zu bauen. Solche Zufälle oder Fügungen oder geheimnisvolle Wendungen sind ohnehin das Räderwerk des Romans. So gewinnt Liesgang den berühmten Ofenbaumeister Herrn Yamashiro und eine kleine japanische Entourage für sein ambitioniertes Projekt.
    Mikrokosmos der Ofen-Baustelle
    Und dann beginnt, was Christoph Peters augenzwinkernd einen Baustellenroman nennt: Im Mikrokosmos der Ofen-Baustelle kommt ein japanisch-deutscher Bautrupp inklusive begleitendem Filmteam zusammen, bei dem die deutschen Beteiligten ihre Gäste deutlich neugieriger beäugen als umgekehrt:
    Peters: "Das spirituelle Herangehen an die Wirklichkeit und die Auseinandersetzung mit den nichtsichtbaren Kräften ist in der deutschen Kultur zur Zeit nicht das Hauptthema, würde ich sagen. Und insofern bringen die natürlich etwas mit, mit dem sonderbaren Geisterglauben, den sie das aus dem Schintoismus haben und mit der buddhistischen Strenge, die sie aus dem Zen haben. Was uns hier eigentlich fehlt. Insofern öffnet es einfach Welten, die so in Ostholstein und auch überhaupt in Deutschland nicht mehr in der Weise vorhanden sind, dass sie wirklich sinnstiftend wirken. Auf der anderen Seite gehen die Japaner, glaube ich, traditionell - und insofern ist es da auch japan-kritisch - natürlich davon aus, dass sie eigentlich mit ihrer Kultur das geistige Zentrum der Welt bilden. Und insofern auch kein wirkliches Interesse daran haben, jetzt nun irgendetwas aus anderen Kulturen zu adaptieren. Technik schon und man kann auch alles testen, aber eigentlich ist das Japanische irgendwie doch allem anderen auf der Welt weit überlegen."
    Auf der Baustelle treten zum Teil die erwartbaren interkulturellen Probleme auf, zum Teil ganz andere, zum Teil aber auch zu Ernst Liesgangs Überraschung - keine. Herr Yamashiro entdeckt zum Beispiel seine Liebe zur deutschen Küche:
    "Während sie die Schnapsflasche aus dem Korb zog und einen Satz sechseckiger Gläschen füllte, erklärte Ernst Herrn Yamashiro, dass die Dame Herta Mölders heiße, eine Schenke in der Nachbarschaft betreibe und ihm heute als Ehrengast des Ortes und des Landes ein besonderes Gericht zubereitet habe, das in Deutschland bevorzugt auf Baustellen gegessen werde. Es handele sich um rohes, gewürztes Schweinehackfleisch auf weißem Brötchen mit Zwiebeln. Wenn er es jedoch nicht probieren wolle, sei es keine Beleidigung oder ...
    Herr Yamashiro hatte schon zugegriffen, furchtlos hineingebissen und nach ersten Kaubewegungen begann er abwechselnd zu lachen und zu nicken, hob immer wieder den Daumen und sagte: 'Oishi!'"
    Zusammenprall der Kulturen
    Das Charmante an Christoph Peters' Roman ist, dass er keine vordergründige Botschaft hat: Es geht um den Bau eines alten japanischen Brennofens, um die Hingabe an die eine Aufgabe, die man sich gestellt hat – auch wenn sie schier unlösbar scheint. Natürlich geht es eigentlich trotzdem um viel mehr – um Kompromissbereitschaft, um Sehnsüchte, um den Glauben an eine Utopie, um nichts weniger als die Frage: Wie wollen wir leben? Aber Christoph Peters ist ein zu raffinierter und kluger Erzähler, als dass er die großen Fragen laut aussprechen würde.
    Der Tonfall des Romans ist immer dort witzig und leicht, wo Peters den Zusammenprall der Kulturen mit seinem unterschnittenen Witz auskostet, besonders in den Dialogen. In den erzählerischen Passagen gerät er manchmal ein wenig ins geheimnisvolle Raunen.
    Den Anagama-Ofen, den Herr Yamashiro im Roman baut, gibt es tatsächlich, zumindest so ähnlich: Christoph Peters' Freund Jan Kollwitz betreibt einen in Zismar an der Ostsee. Peters war mehrfach beim Brand dabei. Er hat viel gelesen und auf anderen Wegen Wissen zusammengetragen. Aber und das ist kaum vorstellbar: In Japan war Christoph Peters immer noch nicht:
    Peters: "Ich wollte an der Ostsee diese Begegnung von dem japanischen Meister mit dem deutschen Baurecht und mit deutscher Dorfkultur und deutschem Handwerk beschreiben. Dafür musste ich nicht nach Japan. Ich hoffe jetzt aber doch sehr, dass ich im nächsten Jahr endlich mal nach Japan komme und mir dort dann das Japan von heute angucke, woraus dann vielleicht eine völlig andere Geschichte mit einer völlig anderen Sicht aus Japan entsteht."
    Christoph Peters: "Herr Yamashiro bevorzugt Kartoffeln", Luchterhand Literaturverlag, 224 Seiten, 18,99 Euro.