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Baut neue Schulen statt Moscheen

Die in der Türkei gegründete Gülen-Bewegung zählt zu den einflussreichsten islamischen Gruppierungen in der westlichen Welt. Sie fördert vor allem die Bildung junger Muslime. Kritiker werfen der Bewegung mangelnde Transparenz und unterschwelligen Islamismus vor.

Von Thomas Klatt | 07.03.2012
    "Was bisher immer galt für Muslime, wenn sie sich sozial engagieren wollen, dass sie das nur im Moschee-Bereich oder Themen, die nur mit dem Islam zu tun haben, können. Gülen hat das soziale Engagement und das finanzielle Engagement ausgeweitet auch auf säkulare Bereiche."

    Der Soziologe Ercan Karakoyun leitet unweit des Potsdamer Platzes das Berliner "Forum für interkulturellen Dialog". Er will von hier aus nicht nur mit anderen Religionen und Politikern ins Gespräch kommen, sondern vor allem den Muslimen die Idee des türkischen Laien-Theologen Fetullah Gülen nahe bringen.

    "Ein Muslim kann sein Zakat, die islamische Abgabe, auch auf Bildungsinstitutionen leisten. Dazu zählt auch Engagement für die Umwelt, Engagement für Menschenrechte, gewerkschaftliches Engagement. Gülen hat den Bereich des Engagements von den traditionell islamischen Bereichen auch auf die weltlichen Bereiche gelenkt."

    Karakoyun selbst etwa sei erst durch Gülens Ideen dazu motiviert worden, sich in seiner Dortmunder Studentenzeit bei den Jusos zu engagieren. In der Türkei gilt der Islam den Kemalisten seit Staatsgründer Attatürk als rückständig und vernachlässigbar. Fetullah Gülen tritt hingegen für die Vereinbarkeit von Wissenschaft, Fortschritt und Islam ein. "Bildung", "Medien" "Dialog" sind die drei großen Themenfelder, in denen moderne Muslime sich seiner Meinung nach engagieren sollen. In den 1980er-Jahren begann Gülen in der Türkei damit, seine Predigten millionenfach unter das Volk zu bringen und erste Schulen zu gründen. Daneben baute Gülen unter dem Dach der World Media Group ein kleines Presseimperium auf, zu dem neben Radio- und Fernsehsendern auch die auflagenstärkste türkische Zeitung ZAMAN gehört. Gülen habe es mittlerweile geschafft, den wirtschaftlich potenten Mittelstand für den Islam zu interessieren. Auch in Deutschland entstehen bundesweit Gülen-nahe Kitas, Schulen und andere Bildungseinrichtungen, sagt Ercan Karakoyun.

    "Da sieht man halt, dass das nicht Institutionen und Vereine sind, wo ein Scheich aus den USA Millionen nach Deutschland überweist und dann 5-Sterne-Schulen eröffnet werden, sondern man sieht, dass das im Prinzip härteste Vereinsarbeit ist, die sich vor Ort über 15 Jahre entwickelt hat. In die Diskussion treten die erst dann, wenn daraus eine Schule wird. Das ist ein Prozess von über 20 Jahren Engagement. Eine riesige Bewegung ist das ja, wo kommt das Geld her. Es gibt Menschen, die für bessere Bildung bezahlen wollen, dass es innerhalb der türkischen Migranten so etwas wie die Entstehung einer neuen Mittelschicht gibt, die sich über Bildung etablieren will."

    Ende der 90er-Jahre ermittelte die türkische Staatsanwaltschaft gegen Gülen wegen des Verdachts auf islamistische Staatsgefährdung. Gülen ging in die USA, von wo aus er bis heute agiert, obwohl die Vorwürfe gegen ihn in der Türkei mittlerweile wieder fallen gelassen wurden.

    "Ihm gehört nichts, weil er sich selbst in dieser Rolle so sieht. Er ist nicht der Scheich, der Chef. Er sieht sich nicht als einen, der Befehle gibt. Er ist sogar jemand, der sich gegen den Namen Gülen-Bewegung wehrt. Er nennt das ganze Bewegung der Freiwilligen."

    Ist Fetullah Gülen also nur der geistige Vater einer ansonsten unabhängigen Bewegung? Friedmann Eißler, Islam-Referent in der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, kritisiert diese kaum zu durchschauende Struktur.

    "Wie die Gülen-Bewegung in Deutschland aufgestellt ist, wird nicht transparent gemacht. Es wird immer wieder nahe gelegt: Legt doch mal eure Strukturen offen, sagt doch mal, welche Vereine zu euch gehören, welche Pangäa und solche kulturelle Einrichtungen. Das wird nicht gemacht. Da heißt es nur, wir sind dezentral, wir sind inspiriert von Gülen, aber wir arbeiten jeder für sich. Auf der anderen Seite stellt man in Gesprächen sehr deutlich und sehr schnell fest, dass die Vernetzung untereinander sehr stark ist und gute Kommunikationsstrukturen aufgebaut sind. Das schafft Misstrauen."

    In den schätzungsweise mehr als 180 Gülen-nahen Kitas, Schulen und Lernhilfezentren finde in der Regel gute naturwissenschaftlich orientierte Bildungsarbeit statt, attestiert Eißler. So werde auch meist Ethik- statt Religionsunterricht erteilt. Aber zur Gülen-Bewegung zählen auch die sogenannten "Lichthäuser", streng religiös ausgerichtete Wohngemeinschaften und Hauskreise. Gülen ist ein Schüler des 1960 verstorbenen türkischen Gelehrten Said Nursi. Die Schriften beider Laien-Theologen werden dort intensiv studiert. Es geht um Hizmet, den Dienst für höchste religiöse Werte, um Dava, die Einladung zum Islam, um das Engagement im friedlichen Djihad, um grenzenlose Opferbereitschaft und Selbstlosigkeit und eben Bildung. Der Berliner Islamwissenschaftler Ralph Ghadban:

    "Said Nursi hat sich Ende des 19. Jahrhunderts profiliert... Das ist die sehr reaktionäre Strömung, die hat gesagt: Nein, der Islam steht nicht im Widerspruch zu der Wissenschaft. Die Wissenschaft ist schon im Koran. Sie versuchen die Wissenschaft zu islamisieren. Wenn sie zum Beispiel behaupten, dass auch die Dampfmaschine und Elektrizität schon im Koran erwähnt sind. Und Fetullah Gülen spricht von der Mondlandung als im Koran vorhanden. Man kann sagen, das ist so eine Art von Verdummung."

    Islam-Experte Friedmann Eißler warnt, dass die säkular ausgerichtete Schulen der Gülen-Anhänger der Rekrutierung für die inneren Zirkel und Kreise der Bewegung dienen.

    "Es scheint zur Strategie der Gülen-Bewegung zu gehören, gerade im öffentlich zugänglichen Bereich und in Schulen nicht mit der Religion hausieren zu gehen, aber in diesen Bereich sehr wachsam zu sein für Menschen, die darauf ansprechbar sind ... Die werden dann parallel zur Schule, außerhalb der Schule vor dem Schulhof angesprochen, hättest Du nicht Lust mal mitzukommen."

    Besorgniserregend sei auch manche Lektüre der Schriften aus dem Gülen-nahen Fontäene-Verlag. Dort wird etwa auch eine eigene Koran-Übersetzung und -Kommentierung von Ali Ünal verbreitet. Bei aller Bildung werde den jungen Muslimen vor allem beigebracht, dass der Islam dem Westen überlegen sei.

    "Wenn wir genauer hinsehen, werden sehr stark auch Stereotype bedient, die im demokratischen Kontext problematisch sind. Da wird ein sehr starker Gegensatz zwischen Islam und dem Westen aufgemacht. Der wird in sehr negativen Farben immer wieder geschildert. Das ist kein Einzelfall, dass das als materialistische dekadente Kultur dargestellt wird. Dem muss der Islam durch seine Werte aufhelfen. Durch seine Orientierung an beständigen Werten, und das sind Scharia-Werte. Das Frauen-Bild in der Koranausgabe von Ali Ünal ist hochproblematisch. Die Polygamie wird in bunten Farben verteidigt. Es werden auch charakterliche Defizite der Frau benannt."

    Das vermeintliche Bildungsideal Fetullah Gülens stehe immer unter dem Vorbehalt, dass das Wissen und die Forschung niemals den Werten des Korans und der Lehre der Sunna widersprechen dürfen. Gesellschaftlicher Fortschritt kann immer nur ein muslimischer sein.

    Auch Islamwissenschaftler Ralph Ghadban findet in den Predigten und Büchern Fetullah Gülens durchaus bemerkenswerte Spitzen und Polemiken gegen die Demokratie.

    "Was er vermittelt, ist, wie in der Türkei eine Islamisierung der sozialen Verhältnisse und des Staates. Das steht in seinen Schriften, das ist kein Geheimnis. Die werden das aber nicht ausdrücklich sagen und zugeben. Ihr Ziel ist es, schrittweise das Gesetz Gottes einzuführen. Jetzt formell akzeptieren sie die Demokratie, aber sie sagen, die Demokratie ist noch nicht vollständig. Das Verständnis ist bestimmt nicht das, was die Grundlage unseres demokratischen System bildet."

    Leider würden viele Kirchenvertreter bis heute nicht wagen, Gülens Aussagen zu hinterfragen. Man sei froh, überhaupt muslimische Dialog-Partner zu finden. In Berlin-Mitte etwa will die Evangelische Kirche nun mit Gülen-Anhängern als einzige muslimische Vertreter ein interreligiöses Begegnungszentrum errichten. Für Ghadban ist völlig unverständlich, wieso Kirchenvertreter sich noch nicht einmal die Mühe machen, Gülens Schriften und Aussagen ernsthaft zu lesen und zu prüfen.

    "Ein Blick in die Werke von Fetullah Gülen hätte sie besser belehrt, wie er das Christentum ständig kritisiert als falsche Religion. Das sind Aussagen übersetzt in Deutsch. Er zieht gegen das Christentum und Judentum ausgehend von dem klassischen Verständnis des Islam. Man redet mit den Christen und Juden in der Hoffnung, sie irgendwann auf den richtigen Weg zu bringen. Und deshalb kommt der Islam mit dem letzten update und das ist die wahre Religion."