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Bayern
Big Brother auf dem Schulhof

Auf Bahnhöfen, in Rathäusern, in S-Bahnen – Überwachungskameras scheinen allgegenwärtig in Deutschland. Mittlerweile auch vor und in Schulgebäuden. In Bayern steigt die Zahl der Schulen mit Videokameras. Häufig sogar ohne jegliche rechtliche Legitimation, sagt Bayerns oberster Datenschützer.

Von Susanne Lettenbauer | 04.12.2014
    Eine Überwachungskamera hängt an der Fassade der Bayerischen Staatskanzlei in München.
    Kameras auf Schulhöfen: zum Schutz der Schüler oder ein massiver Missbrauch des öffentlichen Raumes? (Picture Alliance / dpa / Rene Ruprecht)
    Die Liste erscheint wie ein Ausschnitt aus einem Orwellschen Roman. Neben Straßenunterführungen, Behördengebäuden, Museen und Parkanlagen finden sich Schulen, viele Schulen: An Punkt 1236 der Aufzählung findet sich die Schule von Wackersdorf mit sieben Kameras, an Punkt 1267 die Schule von Weissenhorn eine Kamera, Punkt 1224 die Schule von Vilseck 5 Kameras, Punkt 1194 die Schulen von Traunstein 3 Kameras. Rund 200 Schulen in Bayern setzen auf Videoüberwachung, die Dunkelziffer könnte auch bei 300 liegen, sagt der Datenschutzbeauftragte des Freistaates Bayern, Thomas Petri. Bei rund 6000 im ganzen Freistaat nur ein einstelliger Prozentbereich betont er, aber:
    "Es gibt allerdings Einzelfälle, bei denen Schulen Kameras einrichten aufgrund allgemeiner Besorgnis, ohne die gesetzlichen Voraussetzungen für den Einsatz von Kameras geprüft zu haben und das geht natürlich nicht."
    So genau wisse keiner, wie viele Überwachungskameras auf bayerischen Schulhöfen bis hin zu Hausgängen das Schulleben aufzeichnen. Ob Lehrer ihre Arbeitszeiten einhalten, Schüler den Unterricht heimlich schwänzen oder fremde Personen das Gelände betreten – alles lässt sich mit den Überwachungskameras festhalten. Zum Schutz der Schüler, argumentieren Schulleiter und Kommunen. Ein massiver Missbrauch des öffentlichen Raumes, kritisiert Bayerns Datenschutzexperte, zumindest wenn Schüler, Eltern und Lehrer nicht deutlich auf die Überwachung hingewiesen werden.
    Nach bayerischem Datenschutzgesetz unzulässig
    "Was vor allem nicht geht ist, dass es wohl auch Schulen gibt – dem Vernehmen nach zumindest – die geheime Aufzeichnungen und Tonaufzeichnungen anfertigen. Beides ist nach dem bayerischen Datenschutzgesetz unzulässig."
    Mit seinen 30 Mitarbeitern könne er leider nur stichprobenartig kontrollieren, so Petri. Gerechtfertigt sei eine technische Überwachung allenfalls in Wohngegenden mit hoher Kriminalitätsrate oder bei früheren Straftaten auf dem Schulgelände. Nicht jedoch zur Prävention, betont der Datenschutzexperte. Das Kultusministerium sieht sich bei der Kontrolle der Installation nicht in der Pflicht. Das Ministerium muss nicht gefragt werden, sagt Sprecher Henning Giessen. Sein Haus sei nur zuständig für die rechtliche Information der Schulen und die offiziellen Datenschutzbeauftragten für Schulen:
    "Das ist nichts, was an uns zwingend berichtet werden muss. Das ist etwas was zwischen der Schulleitung und der Kommune vor Ort – das sind die beiden verantwortlichen Akteure – abgestimmt werden muss. Der Datenschutzbeauftragte der jeweiligen Schule ist hier einzubinden, der kennt ja die Schulen. Wir werden nur eingebunden, wenn wir von Missständen erfahren."
    Datenschutzbeauftragte sind meist nicht für Aufgabe ausgebildet
    Der Freistaat habe zwar ein Aufbauprogramm für Datenschutzbeauftragte aufgelegt, sagt der Präsident des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes Klaus Wenzel. Bis 2016 soll an jedem Gymnasien ein Zuständiger für Datenschutz arbeiten, an Mittel-, Real- und Grundschulen ein Verantwortlicher je Schulamt. Schon heute seien die sogenannten Datenschutzbeauftragten einfach nur Lehrer, die diese Funktion auch noch übernommen haben, kritisiert der BLLV. Klaus Wenzel:
    "Der Datenschutzbeauftragte ist in der Regel dafür nicht ausgebildet, er hat auch keine Ressourcen, das heißt er ist Lehrer und hat keine Stunde Anrechnung, um etwas zu tun. Also, was uns ärgert vom BLLV ist, dass man Symbolpolitik betreibt und sich mit Marketing begnügt, bestimmte Begriffe in die Welt setzt und glaubt, damit sei das Problem gelöst. Im Bereich Datenschutz ist das Problem damit überhaupt nicht gelöst."
    Die Schulen gingen sogar soweit, Kameraattrappen in den Toiletten zu installieren – als pädagogische Maßnahme, kritisiert Bayerns Datenschutzexperte Petri. Überwachung als Prävention, dafür gebe es keine rechtliche Grundlage.
    Wenn Schüler vermummt das Schulgelände betreten, weil sie befürchten, gefilmt zu werden, dann stimme da was nicht, sagen die Kritiker. Das Kultusministerium will jetzt noch einmal an alle Schulen herantreten und auf die Datenschutzbestimmungen hinweisen. Zur Not helfe ja schon ein Schild auf dem Schulhof, dass Überwachungskameras eingesetzt werden, heißt es aus dem Ministerium. Das Unbehagen bleibt trotzdem.