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"Bayern braucht mehr Autonomie"

In seinem Buch "Bayern kann es auch allein" plädiert Wilfried Scharnagl, der frühere Chefredakteur des "Bayernkurier", für eine Abwendung Bayerns von Deutschland. Mit dem Buch wolle er einen Weckruf an die Bayern richten, "ihr Schicksal wieder in die eigenen Hände zu nehmen", so Scharnagl.

Wilfried Scharnagl im Gespräch mit Martin Zagatta | 18.08.2012
    Martin Zagatta: "Bayern kann es auch allein", das ist der Titel eines Buches, dass Sie spätestens seit heute in den Buchhandlungen finden, geschrieben hat es Wilfried Scharnagl, der frühere Chef des "Bayernkuriers", ein langjähriger Weggefährte des legendären Franz Josef Strauß und – da übertreibe ich wohl nicht – auch heute noch ein Vordenker der CSU. Schönen guten Morgen, Herr Scharnagl!

    Wilfried Scharnagl: Schönen guten Morgen, Herr Zagatta, nach Köln!

    Zagatta: Herr Scharnagl, "Bayern kann es auch allein" – in diesem Buch plädieren Sie für eine Abwendung Bayerns von Deutschland. Das ist ja im Grundgesetz gar nicht vorgesehen, dass sich ein Bundesland abspalten kann. Herr Scharnagl, sind Sie ein Fall für den Verfassungsschutz?

    Scharnagl: Es ist eine originelle Bemerkung, die mir noch gar nicht eingefallen ist, aber ich werde darüber nachdenken. Ich glaube aber eigentlich nicht. Erstens ist es in diesem Lande doch immer noch möglich, seine Meinung frei zu sagen, und ich habe in diesem Buch zu einem mir wichtigen und existenziellen Thema Gedanken gemacht und meine freie Meinung bekundet. Ich glaube, der Verfassungsschutz sitzt in Köln – vielleicht sind Sie deshalb auf diesen Gedanken gekommen.

    Zagatta: Fragen wir nach. Also wir machen uns jetzt nicht strafbar, wenn ich mir von Ihnen erläutern lasse, warum Sie die Zeit reif halten, so schreiben Sie, für ein großes Aufbegehren der Bayern?

    Scharnagl: Ich glaube, dass es auf Dauer dieses prachtvolle und stolze und erfolgreiche und in seiner Attraktivität allen anderen Bundesländern überlegene Land Bayern in dieser doppelten Transferunion zwischen Berlin und Brüssel nicht die angemessene Zukunft hat, die ihm zusteht.

    Zagatta: Sie begründen das in Ihrem Buch, so habe ich das zumindest gelesen: Bayern sei zwei Zentralgewalten ausgeliefert, Berlin, beziehungsweise Berlin und Brüssel, Berlin haben Sie gerade angesprochen. Wer ist denn aus Ihrer Sicht jetzt für dieses wunderbare Bayern schlimmer, der EU-Kommissionspräsident Barroso oder Kanzlerin Merkel?

    Scharnagl: Ich glaube, ein näheres Übel ist immer ein geringeres Übel als ein ferneres Übel.

    Zagatta: Und Bayern bekommt dann, wenn Ihnen das fernere Übel da … wenn Sie das irgendwie loswerden, Bayern bekommt dann statt des Euro einen Bayro, oder was schwebt Ihnen vor?

    Scharnagl: Das ist viel zu weit gesprungen. Das geht zunächst einmal darum, dass ich einen Weckruf an Bayern selbst gerichtet habe, dass sich dieses Land und die Menschen dieses Landes seiner Bedeutung, seines politischen, seines wirtschaftlichen, seines kulturellen Gewichtes, seines geschichtlichen Ranges bewusst werden und sich überlegen, ihr Schicksal wieder in die eigenen Hände zu nehmen und nicht von anderswo fremdbestimmt zu werden.

    Bayern ist also in besonderer Weise auch deshalb qualifiziert, weil es allein schon von seiner Bevölkerungsentwicklung her das attraktivste, mit Abstand das attraktivste aller Bundesländer ist. In den letzten 20 Jahren sind 1,5 Millionen Menschen aus allen anderen deutschen Ländern nach Bayern gekommen, um hier Existenz, Beruf, Zukunft, Glück, Erfüllung zu finden, weil es in Bayern sich anders und offensichtlich besser leben lässt als anderswo.

    Zagatta: Und welche Konsequenzen soll das jetzt dann haben politisch? Was wollen Sie damit erreichen?

    Scharnagl: Ich will sagen, dass … Bayern braucht mehr Autonomie, selbstverständlich unter Wahrung seiner deutschen Solidarität und Verantwortung, an der es Bayern noch nie in seiner Geschichte hat fehlen lassen. Aber es hat sich auch gezeigt, dass zentralistische Großmächtefantasien Bayern, und nicht nur Bayern, immer geschadet haben. Es ist ja auch der geschichtliche Ausgangspunkt meines Buches, das Jahr 1871, als mitten im Deutsch-Französischen Krieg und zudem noch in der Hauptstadt des Feindes das preußisch-militaristisch dominierte Deutsche Reich ausgerufen wurde, und dass allein schon wegen des Umstandes, des Zeitpunktes und der Lokalität, mitten in einem Krieg, in der Hauptstadt des Feindes, auf diesem Unterfangen kein Segen liegen konnte.

    Und was damals im bayrischen Parlament debattiert und argumentiert wurde und die Gegner dieses Eintritts, die in der Minderheit waren, was die prophezeit haben, welche Entwicklung Deutschland und Europa nehmen wird, ist im Ersten Weltkrieg und in den folgenden Jahrzehnten eingetreten.

    Zagatta: Also das war ein Fehler: Bayern hätte selbstständig bleiben sollen?

    Scharnagl: Selbstverständlich.

    Zagatta: Kann man dazu irgendwie – so wird Ihr Buch ja immer wieder interpretiert jetzt in ersten Rezensionen –, kann man dazu irgendwie zurückkehren?

    Scharnagl: Ich weiß es nicht, aber auf jeden Fall muss es erlaubt sein, auch das eigentlich Undenkbare zu denken, und man muss es aussprechen. Und wenn man das ausspricht, dann kann man auch darüber reden.

    Zagatta: Haben Sie das schon länger gedacht? Sind Ihnen diese Gedanken jetzt erst gekommen?

    Scharnagl: Das Thema geht mir seit geraumer Zeit durch den Kopf und aber irgendwie hat sich das angesichts auch der europäischen Entwicklungen, diese Entwicklung eines Europas, das überhaupt nichts mit dem Europa zu tun hat, dessen glühender Anhänger ich mein Leben lang war, nämlich ein Europa zwar in der Einheit, aber in der Vielfalt in der Einheit, oder in der Einheit in der Vielfalt, und nicht ein zentralistisches Monster, … Ich meine, das ist doch bemerkenswert, dass ein Mann wie Hans Magnus Enzensberger mit einer reichen intellektuellen Lebenserfahrung von über 80 Jahren Brüssel als das "sanfte Monster" bezeichnet und die hier die neue Art, die Demokratie abzuschaffen – dass hier doch ein Aufbegehren angebracht ist, ist doch klar.

    Zagatta: Diese Kritik äußern ja auch andere, vor allem jetzt in der Euro-Schuldenkrise, und wenn man auf die Finanzen blickt – glauben Sie, dass die Bayern das besser könnten mit ihrer famosen Bayerischen Landesbank?

    Scharnagl: Also ich glaube, die Bayern können es auf jeden Fall besser, denn ich erinnere Sie daran, dass Bayern das einzige Bundesland ist, das seit 2006 einen ausgeglichenen Haushalt hat, dass Bayern das einzige Bundesland ist, das mit der Rückzahlung seiner Schulden begonnen hat. Und es wäre ganz schnell damit fertig, wenn es nicht in skandalöser Weise in einem aus dem Ruder gelaufenen Finanzausgleich geschröpft würde Jahr für Jahr.

    Bayern weiß auch und ist dankbar dafür und hat es immer akzeptiert, dass es insgesamt in etwa 30 Jahren 3,4 Milliarden Euro Finanzausgleich bekommen hat. Aber dieses Jahr 2012 eingeschlossen, hat Bayern bereits mehr als 40 Milliarden Euro Steuern an andere Länder überwiesen. Im nächsten Jahr werden es wieder 4,2 Milliarden sein. Und wenn ich … Länder gibt es, die erkennen das an, die machen dann auch was draus, andere machen es sich bequem in der von Bayern geknüpften und finanzierten Hängematte.

    Zagatta: Herr Scharnagl, da würden andere jetzt sagen: Wenn man die Inflation dann noch mit reinrechnet, dann sehen die Zahlen schon ein bisschen anders aus. Aber lassen Sie mich mal zu der Frage kommen: Wie kommt denn Ihr Buch in der CSU an? Wissen Sie denn, was Horst Seehofer, was die CSU über Ihr Buch denken? Teilen die Ihre Ansichten?

    Scharnagl: Sie wissen, zurzeit herrscht in Bayern – weil wir ja die Letzten sind mit den Sommerferien – auch politische Ruhe. Auf jeden Fall habe ich noch von keiner politischen Seite Widerspruch gegen mein Buch bekommen. Ich lese heute gerade, heute Morgen jetzt in dem Moment, wenn ich mit Ihnen telefoniere, dass die bayerischen Grünen sogar Sympathie für mein Buch bekunden.

    Zagatta: Ist das vielleicht auch ein bisschen bayerische Solidarität, vielleicht auch Methode? Denn das ist man ja eigentlich aus München gewöhnt: Der bayerische Löwe brüllt ein bisschen, und dann wird er in Berlin zum Bettvorleger und stimmt allen Eurohilfen, zum Beispiel für Griechenland, zu.

    Scharnagl: Also ich hoffe, dass dieser Eindruck oder dass in Zukunft so gehandelt wird, dass dieser Eindruck überhaupt nicht aufkommen kann.

    Zagatta: Aber Horst Seehofer trägt ja auch den Spitznamen "Crazy Horst" oder "Horst Drehhofer", also so ganz eindeutig ist es ja nicht, was da aus München kommt?

    Scharnagl: Da kann ich nur sagen: Bayern ist überhaupt das einzige Land, das war es bei der Einführung des Euro, als sich Theo Waigel in unendlich beeindruckender Weise um die Stabilität des Euro bemüht hat, um den Stabilitätspakt. Leider ist er permanent gebrochen worden, auch von Rot-Grün in Deutschland, aber auch von allen anderen. Und Bayern ist wenigstens das Land und die CSU die Partei, die sich um den Euro kümmert, die debattiert, die sich den Streit um den Euro nicht leicht macht, während andere Parteien alles nur akzeptieren, was gefordert wird.

    Zagatta: Wie sieht es da in München aus beziehungsweise in Bayern bei Ihnen? Da gibt es ja eine Bayernpartei, die ähnliche Ansichten vertritt. Hat man Ihnen da schon einen Parteiübertritt oder eine Mitgliedschaft angeboten?

    Scharnagl: Diese Partei ist nicht auf dem politischen Bildschirm bei uns.

    Zagatta: Aha, das ist für Sie kein Thema?

    Scharnagl: Nein.

    Zagatta: Herr Scharnagl, der "Münchner Merkur", der unkt: Jetzt, mit diesem Buch, das Sie da jetzt geschrieben haben, werden weite Teile der Republik jetzt vermuten, Sie, Herr Scharnagl, hätten einen Sprung in der Schüssel. Nehmen Sie das der Zeitung übel?

    Scharnagl: Fragen sind erlaubt, die Antworten sind anders, ich kann nur sagen, das, was ich bisher höre, hört sich ganz anders an. Und wenn ich denke, das Gespräch, das wir beide gerade führen – Sie fragen mich auch ernsthaft, ich vermute nicht, dass wir uns gegenseitig einen Sprung in der Schüssel attestieren wollen.

    Zagatta: Aber auf keinen Fall. Und Sie haben den "Merkur" auch noch nicht abbestellt?

    Scharnagl: Nein, durchaus nicht.

    Zagatta: Und Sie hören weiterhin den Deutschlandfunk?

    Scharnagl: Das werde ich auch tun, und vor allem, wenn ich immer mit vergnüglichen Unterhaltungen wie mit Ihnen rechnen kann.

    Zagatta: Na, da freuen wir uns.

    Scharnagl: Eingespielt von der Bayern-Hymne, das hat mich schon sehr beeindruckt.

    Zagatta: Na, das ist doch schön, dann freuen wir uns heute Morgen, ich denke, das wird nicht das letzte Gespräch sein, das wir mit Ihnen führen. Herr Scharnagl, ganz herzlichen Dank, schönes Wochenende!

    Scharnagl: Danke! Ihnen auch!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.