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Bayern
Streit um Grundstück auf BND-Gelände

Hitlers Vertrauter Martin Bormann soll 1936 eine Bäuerin gezwungen haben, ihr Grundstück zu verkaufen. Es liegt auf dem heutigen Gelände des BND in Pullach bei München. Die Familie der Bäuerin kämpft seit Jahrzehnten um die Rückgabe Grunds - und stößt regelmäßig auf Widerstände.

Von Susanne Lettenbauer | 01.12.2016
    Abhöranlagen des BND in Bad Aibling
    Abhöranlagen des BND auf dem Gelände in Bad Aibling-Pullach. 2017 soll der Umzug nach Berlin abgeschlossen sein. (imago stock & people)
    Dicke Aktenordner liegen auf dem Tisch der Familie Woellner. Originaldokumente in Kopie, Auszüge aus dem Grundbuch – und Vermessungsamtdokumente. Teilweise vergilbt und in Sütterlin, kaum lesbar, teils in verblasster Schreibmaschinenschrift. "Sie sehen jetzt hier die ganzen Urkunden, die Kaufverträge." Was Barbara Woellner da auf ihrem Tisch ausbreitet, klingt unglaublich. Alle Zutaten eines klassischen Agententhrillers verbergen sich in diesen Unterlagen. Im Mittelpunkt - ein großes Stück Land:
    "Das ist das ganze Gut Großhesselohe, das war insgesamt 93 Hektar. Und das was der südliche Teil war, wurde komplett durch Martin Bormann den Eigentümern, der Familie Woellner, entzogen. Das sind im ganzen rund 56 Hektar, also 560.000 Quadratmeter."
    Diesen Grund will die Familie nun wieder zurück. Ihr Problem: Auf dem Gelände in Pullach bei München residiert Deutschlands Auslands-Geheimdienst, der BND - trotz des geplanten Umzugs - voraussichtlich auch noch die kommenden Jahre.
    Vertieft man sich in die Akten, dann spielen bei den Grundstücksverschiebungen im Dritten Reich und auch danach die wichtigsten Nazigrößen wie Adolf Hitler und Martin Bormann eine Rolle, mehrere Geheimdienste sowie auch Bayerns umstrittene Landesikone Franz Josef Strauß - bis hin zum Berliner Finanzministerium unter Wolfgang Schäuble in Form der Bundesimmobilienanstalt.
    Sah Familie Woellner sah nie auch nur eine Reichsmark? (*)
    Eine zutiefst verworrene Story, bei der eines klar ist: Fünf Pullacher Familien, darunter Familie Woellner, wurden im Dritten Reich 1936 von Hitlers Vermögensverwalter Martin Bormann zum Verkauf ihres Eigentums gezwungen. Zumindest Familie Woellner allerdings behauptet, es sei nie auch nur eine Reichsmark dafür gezahlt worden, das hätten Steuerprüfungen Ende der 30er Jahre ergeben (*). Nach dem Krieg gingen die Grundstücke an das Land Bayern über, das die Ländereien später teilweise an die Bundesrepublik verkaufte.
    Man war davon ausgegangen, zeigen die Unterlagen, dass die Grundstücke der NSDAP gehörten, also Parteieneigentum gewesen seien. Rechtsnachfolger war das jeweilige Bundesland, in diesem Fall das Land Bayern. Grundbucheinträge, die erst 2013 auftauchten, belegen jedoch den wichtigsten Umstand für die jetzt von zwei der fünf früheren Besitzern angestrebte Klage: Als Eigentümer ist in den Grundbüchern Martin Bormann als Privatperson eingetragen. Damit hätten die Grundstücke nach dem Dritten Reich restituiert werden müssen.
    Ihre Vorwürfe stützt (*) die Alteigentümerfamilie Woellner mit Originalunterlagen oder Kopien aus Originaldokumenten der Staatsarchive München und Berlin, dem Grundbuchamt und dem Vermessungsamt München.
    Abgesehen davon, dass nie Geld gezahlt worden sei (*) für die Grundstücke: Es sei definitiv Druck ausgeübt worden auf die Grundstücksbesitzer, ist sich Barbara Woellner sicher. Kaufverträge, die ihr vorliegen, wurden unter Zwang unterschrieben, bis hin zur Androhung von Einlieferung ins KZ Dachau. Einer der fünf Grundstücksbesitzer sei von seiner Verhaftung durch die Schutzpolizei nie zurückgekehrt. Großgrundbesitzer Eduard Woellner weigerte sich anfangs auch:
    "Er wurde dann von der Gestapo – oder Schutzpolizei, wie man das nennen will –, wurde er verhaftet und unter Waffengewalt abgeführt. Wir wissen aus den Erzählungen von der Haushälterin und der Mutter und den anderen früheren Nachbarn nicht mehr, wohin er gebracht wurde, aber es ist anzunehmen damals ins Braune Haus."
    Die Historikerin Susanne Meinl schrieb ein Buch über das "Geheimobjekt Pullach", auch über die Grundstücke an der Heilmannstraße:
    "Martin Bormann hatte das Baugelände im Prinzip die ganze Zeit vor der Terrassentür oder vor der Gartentür. Denn zwischen Großhesselohe und Pullach gab es ein sehr, sehr großes Areal, was teilweise zum Verkauf stand - für eine exklusive Villenbebauung. Die Preise, die Bormann bezahlte, waren nicht besonders gut. Sie lagen, wie man später feststellte, ungefähr ein Drittel unter dem Marktwert, und zum Teil ist wohl auch erheblicher Druck ausgeübt worden."
    Anwaltskanzlei bereitet Klage vor
    Das Behördenverhalten sei, gelinde gesagt, aberwitzig, heißt es aus der Anwaltskanzlei der zweiten Klägerfamilie Köhler. Auf Anfragen des Anwalts reagierte die heutige Eigentümerin, die Bundesimmobilienanstalt, die dem Bundesfinanzministerium untersteht, erst nach Monaten. Doch statt einer konkreten Antwort sei im Sommer 2016 ein umfangreiches Gutachten vom Bund vorgelegt worden, das belegen soll: "(...) Die Grundstücke" seien "nicht etwa zwecks Errichtung eines Konzentrationslagers oder ähnlicher verbrecherischer Zwecke übereignet" worden. Eine Sittenwidrigkeit des Zwangsverkaufs sehe man nicht. Außerdem sei der Bund beim Kauf arglos davon ausgegangen, dass die Eigentumsverhältnisse geklärt seien.
    Woellners kämpfen seit Jahrzehnten um die Anerkennung ihrer Eigentumsrechte. In den 80er-Jahren habe der damalige Ministerpräsident Franz Josef Strauß die Forderungen mit dem sinngemäßen Hinweis abgeschmettert: Wer eine Lawine lostrete, komme darin um; im übrigen, so Strauß, fehlten die Grundbücher. Bis genau diese Akten im März 2013 plötzlich doch auftauchten. Darin ist die Nazigröße Martin Bormann von 1936 bis 1947 als Privatperson eingetragen. Barbara Woellner ist sich sicher:
    "Die angeblich verlorenen Grundbücher sind alle vorhanden. Und wurden uns auch allesamt vorgelegt. Wir haben dann die ganzen Kopien gemacht."
    Jetzt sitzt eine auf Rückerstattungen spezialisierte Anwaltskanzlei aus Ostdeutschland an der Klage.
    (*) Aus redaktionellen Gründen wurde an einigen Stellen Änderunge vernommen.