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"Bayreuth ist anders als vor vier Jahren"

Regisseur Christoph Schlingensief hat sich skeptisch zu der öffentlichkeitswirksamen Modernisierung der Bayreuther Festspiele geäußert. "In diesem Jahr hat man es nun auch ein bisschen überdreht. Man hat jetzt so eine Öffentlichkeit und Offenheit dargestellt, dass das auch ein bisschen sich dann wieder gegen die Sache wendet", sagte er.

Moderation: Bettina Klein | 26.07.2007
    Bettina Klein: Am Telefon ist jetzt ein Regisseur, dessen Inszenierung von "Parisifal" auch in diesem Jahr noch einmal in Bayreuth zu sehen sein wird und der seinerzeit bei der Premiere vor einigen Jahren für ganz neue Schlagzeilen sorgte auf dem Grünen Hügel. Guten Morgen, Christoph Schlingensief!

    Christoph Schlingensief: Ja, guten Morgen!

    Klein: Lassen Sie uns noch auf die "Meistersinger"-Inszenierung direkt gucken - eine hochinteressante Aufführung, heißt es, einige Buhrufe, aber doch kein Skandal, wie Sie ja befürchtet haben. Kann man gar nicht mehr provozieren in Bayreuth. oder hat die Regisseurin sich dann doch zurückgehalten vielleicht auch mit Blick auf ihre Chancen, zur künftigen Leiterin der Festspiele zu werden?

    Schlingensief: Ein Skandalon ist ja ein Verhandlungsgegenstand, und Skandale sind komischerweise eher leise angesiedelt, also wenn Sie jetzt mal wieder die Klimakatastrophe nennen oder HIV, Dritte Welt, wie wir damit umgehen, das sind eigentlich Skandalvorlagen, die sind leise, die töten, die sind verheerend. Ich glaube, dass nach der Generalprobe, nach der Hauptprobe, noch einiges geändert wurde. Die Reaktionen, die ich mitbekommen habe, sind ja schon in diese Richtung, ich finde Skandale, die nicht stattfinden, viel besser, aber dass da eine Veränderung stattgefunden hat, das sieht man ganz klar, das spürt man. Und ich habe gesagt, dass es zur Provokation kommt, das ist unausweichlich bei dem, was sie mit Hans Sachs macht, ich habe nur das Gefühl, dass eben auch so Leute wie Deutsche Presseagentur und so weiter, das habe ich damals gesagt, dass die eben den Skandal so schüren wollten, dass sie das dahinpeitschen wollten. Wenn Sie meine Äußerungen genau lesen, dann lesen Sie, dass ich das nicht gesagt habe, dass es ein Skandal wird, aber ein Skandalon ist wie gesagt eine Sache, die man verhandelt, und, ich glaube, jetzt wird was in Bayreuth verhandelt.

    Klein: Was wird verhandelt?

    Schlingensief: Ja, a), dass jetzt eine Frau inszeniert hat, b), dass sie die Tochter von Wolfgang Wagner ist, c), dass die Meistersinger, wie man ja gerade an den Publikumsreaktionen hören konnten, nicht mehr die schönen Melodien, nicht mehr dieses, die schönen Werte und all diese Dinge vertreten, sondern dass hier tatsächlich die Frage gestellt werden muss: In welcher Art und Weise nähert man sich den Stücken Wagners in den nächsten 10, 20 Jahren? Und da haben einige Regisseure natürlich auch schon Steilvorlagen außerhalb von Bayreuth gelegt.

    Klein: Inwieweit war denn die Inszenierung gestern Ihrer Meinung nach wegweisend für das, was Sie sich wünschen, was sich in den nächsten 20 Jahren bei der Wagner-Interpretation ändern sollte in Bayreuth?

    Schlingensief: Ja, also, ich bin wie gesagt der Meinung, man kann den Wagner eben auch mit Chiffren, man kann ihn eben auch eigentlich mit seiner Metaphysik ganz wunderbar behandeln, man muss das nicht im (im Hörprotokoll unverständlich, Anm. d. Red.) spielen lassen oder im Pornoshop, da bin ich überhaupt kein Fan von. Aber es soll das auch geben. Und ich glaube, Katharina hat aktualisiert in einer Art und Weise, die mir nicht liegt, das sage ich auch ganz offen, das weiß sie auch. Es sind Teile darin, die sind für meine Begriffe nicht wirklich in einem Fluss, sondern das sind halt Einzeleinfälle und noch einer und noch einer. Aber trotzdem, es muss halt vieles ja auch in Bayreuth möglich sein, und die Jahre davor waren immer dann so eine Art Hochkultur, wo sich Politiker halt geaalt haben, oder dieses Jahr scheint es ja auch wieder loszugehen, das ist halt "in", man geht hin, man wird gesehen und man ist dann gleichzeitig wahrscheinlich auch schon Wagnerianer.

    Aber Wagnerianer ist auch oft ein Ausdruck für eine komische Krankheit, die schleichend, die kann das Gehirn auch lähmen. Und das ist eben viele Jahre in Bayreuth passiert, also, die "Meistersinger", was da aufgeführt wurde, waren ja auch teilweise von Leuten umjubelt, die dann eigentlich doch zu Hause noch weitergesungen haben, auch wenn dann der rechte Arm so ein bisschen steifer wurde plötzlich, oder gerade deshalb. Das sind alles Dinge, die interessieren mich nicht, mich interessiert eigentlich wie beim "Parsifal", dass es sich hier eben um ein Werk handelt eines Mannes, nämlich Richard Wagner, der doch ein verhältnismäßig unstetes Leben hatte, der in Geldnot war, der sicher viel Blödsinn auch verzapft hat, der politisch war, unpolitisch war, antisemitisch, nicht antisemitisch, also ein Riesendurcheinander, das auch in seinen Figuren vorkommt. Und das möchte ich gerne in der Zukunft auch anders behandelt sehen. Ich glaube nicht an Aktualisierungsansätze, die einfach das Ding in die Gegenwart zerren, und das war es.

    Klein: Herr Schlingensief, wenn Sie die vergangenen vier Jahre Revue passieren lassen, was hat sich denn bereits verändert bei den Bayreuther Festspielen nach Ihrer Wahrnehmung?

    Schlingensief: Also für uns, da spreche ich wirklich im Plural, das ist das Haus, und auch zum Haus zähle ich sehr stark die Werkstätten, da zähle ich Kostüm, Maske, all diese Leute, die uns auch im ersten Jahr schon sehr stark den Rücken gehalten haben, muss ich jetzt sagen, also die haben uns geholfen, dass wir überhaupt ein paar Sachen durchsetzen konnten. Dazu kamen ja ganz wilde Geschichten noch, und auch ganz wilde Vorgänge, im ersten Jahr war wirklich nichts möglich. Es gab absolut keine Chance, ohne irgendeinen Disput eine Änderung zu machen, etwas auszuprobieren, Video kam auch noch nicht so richtig vor, aber ich bin auch kein Verfechter von Video. Ich sage nur, Bilder bauen, das war in Bayreuth eigentlich sehr ungewöhnlich. Es gab ein Bild, ein betoniertes Bild, und die betonierten Bilder haben auch die Opern-Betrachter natürlich in gewisser Weise blind gemacht. Man guckt da rein, anderthalb Stunden, da werden dann ein paar Sachen abgespielt, und das war es.

    Diesen organischen Bildervorgang, der mir vorgeschwebt hat, den zu bauen, das war sehr schwierig, aber es ist dann im Laufe der Zeit auch vorgekommen, dass immer, auch unsere Seite, ich sage, meine Seite, hat auch gelernt, wir haben alle sehr stark gelernt, dass man eben im Zusammenspiel Dinge ausprobieren muss, um sich diesem Werk von Richard Wagner zu nähern und nicht mit einer selbstbetonierten Meinung aufzutauchen. Und ich glaube, in diesem Jahr hat man es nun auch ein bisschen überdreht. Man hat jetzt so eine Öffentlichkeit und Offenheit dargestellt, dass das auch ein bisschen sich dann wieder gegen die Sache wendet.
    Klein: Also zu sehr Medienhype beklagen auch Sie, oder wie?
    Schlingensief: Ja, es ist natürlich nicht wichtig, also, ich meine, der Druck, der da ausgeübt wird von allen möglichen Politikern und jetzt Diskussionen und Nachfolge hin und Nachfolge her, das macht ja auch die Betrachtung einer solchen Arbeit nicht leichter. Es wird ja auch schon im Vorfeld dadurch behindert, man hat ja aber auch in Bayreuth sehr viel dafür getan, dass ja keine Zeitung irgendwelche Fotostrecken hatte und so weiter, da bin ich komischerweise auch konservativer geworden. Ich arbeite gerne im Stillen, ich arbeite gerne mit den Leuten, und dann sollen die Anderen mal gucken, was daraus geworden ist. Das war dieses Jahr nicht so. Und ich denke aber, Bayreuth ist anders als vor vier Jahren. Es gibt jetzt die Diskussionen, man kann jetzt diskutieren, und dass die Zeit von früher vorbei ist, das glaube ich ganz sicher.
    Klein: Sie haben damals noch für Provokationen, für Schlagzeilen gesorgt, haben Sie das Gefühl, Sie gehören jetzt schon zum Establishment auf dem Grünen Hügel?

    Schlingensief: Ich glaube, das wäre das Grauen für viele. Ich habe in Thielemann einen Freund, der mir wirklich extrem imponiert, ich bewundere, was er musikalisch kann, was er macht, Bayreuth selber provoziert. Ich habe damals einfach einen Bildorganismus zum "Parsifal! Entwickelt. Dass der so am Anfang jetzt von vielen Leuten nicht gesehen werden wollte, da konnte ich auch erst mal nicht das erklären. In diesem Jahr ist es so, dass nach der Generalprobe bei uns die Leute wirklich aufgestanden sind und haben ganz laut geklatscht. Ich weiß aber auch, dass in der Premiere wieder Batterien von Leuten da sitzen werden, die das nicht mögen werden. Aber es ist, glaube ich, gewachsen. Die Zustimmung wächst, ich bin aber nicht jetzt der, der den Mund hält und sagt, ich war in Bayreuth, weil: Ich habe den Gral da auch nicht gesehen und ich glaube, der ist da auch nicht, und den hat auch Wolfgang Wagner nicht gesehen, und dieses Heiligtum, das soll man in der einen Seite ein bisschen beschützen, auf der anderen Seite soll man es nicht verklären. Und Politiker oder ein Talkmaster, der da reingeht, ist nicht mehr wert als irgendjemand, der nicht reingekommen ist. Das muss auch mal klar sein.

    Klein: Der Regisseur Christof Schlingensief zum Auftakt der Bayreuther Festspiele gestern Abend. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Schlingensief.

    Schlingensief: Ja, danke schön.