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BBC-Vorwürfe gegen Behindertensportler
"Achillesferse im paralympischen Sport"

Die BBC-Radiosendung “File on 4“ macht Behindertensportlern schwerwiegende Vorwürfe: Sie sollen ihre Einschränkungen absichtlich verschlimmern, um ihre Medaillenchancen zu erhöhen. Für den Präsidenten des Deutschen Behindertensportverbands sind die Vorwürfe nicht neu.

Von Andrea Schültke | 20.09.2017
    Athletinnen mit Beinprothesen sind bereit für einen Sprintwettkampf. Sie stehen im Start.
    Athletinnen mit Beinprothesen sind bereit für einen Sprintwettkampf. (picture alliance / dpa / MAXPPP)
    Kalte Duschen bis zur Erschöpfung oder gar Amputationen, die im erfolgten Ausmaß gar nicht erforderlich waren. Das sollen extreme Arten von Betrug im Paralympischen Sport sein. Alles, um eine stärkere Behinderung vorzutäuschen. Diese garantiert die Einstufung in eine medaillenträchtigere Schadensklasse. So schildert es ein anonymer Informant in der BBC-Radiosendung "File on 4":
    "Da war ein amputierter Schwimmer, und jemand sagte mir, sie müssen ihm noch mehr von seiner Gliedmaße weggenommen haben, denn sie ist kürzer als vorher. Dadurch kam er in eine günstigere Schadensklasse. Sie bestätigten, dass es eine weitere Behandlung gab. Als sie gefragt wurden, warum, hieß es: um die Karriere nach vorn zu bringen."
    Berichtet mit nachgesprochener Stimme ein sogenannter Klassifizierer. Das sind die Personen, die die Paraathleten in Schadensklassen einteilen. Sie tun dies durch Untersuchung, Befragung und Beobachtung beim Sport. Das Ziel: gerechte Wettkämpfe. Athleten mit einem vergleichbaren Handicap sollen sich miteinander messen. Beispiel: Ein Sportler ohne Unterschenkel wird auf seinen Karbonprothesen nicht gegen beinamputierte Athleten im Rollstuhl sprinten. Aber so eindeutig sind die Klassifizierungen selten.
    Es geht auch um absichtlichen Betrug
    Es geht um Feinheiten und die sind anfällig für Manipulation. Es geht aber offenbar auch um absichtlichen Betrug. Das behauptet in der BBC-Sendung "File on 4" eine andere Informantin.
    "Es ist unglaublich, wie viele Athleten in einem Rollstuhl kommen, den sie angeblich brauchen. Und dann siehst Du sie später beim Sport wieder, wenn sie sich unbeobachtet fühlen. Dann können sie gehen und stehen und sich selbst die Schuhe anziehen. Alles Dinge, von denen sie vorher gesagt haben, das könnten sie nicht."
    Funktionären wie Friedhelm-Julius Beucher, dem Präsidenten des Deutschen Behindertensportverbandes sind Manipulationsvorwürfe nicht neu. Schon vor der Ausstrahlung des BBC-Berichtes bestätigte er dem Deutschlandfunk: "Die Vorwürfe, dass man sich in andere Behinderungsklassen hineinschummelt, kommen immer wieder und gibt es auch latent. Damit wird eine Achillesferse des manipulationsfreien Sport im Internationalen Paralympischen Komitee getroffen."
    Vorgaben anfällig für Manipulationen
    In jeder Sportart ist der eigene Verband für die Einteilung in die Behinderungsklassen zuständig. Zwar existieren Vorgaben, aber die sind offensichtlich sehr dehnbar und anfällig für Manipulationen. Im BBC-Feature von Jane Deith kommen Para-Athleten zu Wort, die um ihre sportliche Existenz fürchten und um den Paralympischen Sport an sich. Wie die britische Para-Leichtathletin Bethany Woodward. Sie kritisiert seit längerem eine Aufweichung der Regeln. Geändert habe sich nichts. Aus Protest hat sich Woodward vom Sport verabschiedet und ihre Paralympische Silbermedaille zurückgegeben.
    "Ich gehe, aber ich spreche den Grund dafür an. Ich bestreite keine Wettkämpfe mehr, aber ich habe eine Stimme und die werde ich weiter einsetzen."