Freitag, 29. März 2024

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BDI-Chef Grillo
"Wir brauchen Zuwanderung"

Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Ulrich Grillo, warnt davor, die Attentate in Frankreich für die Stimmungsmache gegen Zuwanderung zu missbrauchen. "Zuwanderung tut Deutschland gut", sagte Grillo im Interview der Woche des DLF. Auch seine Familie habe einen Migrationshintergrund.

Ulrich Grillo im Gespräch mit Theo Geers | 11.01.2015
    Ulrich Grillo, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie BDI.
    Ulrich Grillo, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie BDI. (picture alliance / dpa / Stephanie Pilick)
    Theo Geers: Herr Grillo, das neue Jahr hat sehr düster angefangen. Die letzte Woche wurde überschattet von dem islamistischen Terroranschlag in Paris. Hier in Deutschland wiederum debattieren wir seit Wochen über PEGIDA, sprich über Bürger, die in einer Mischung aus Islamophobie und der Angst, in diesem Land vielleicht zu den Verlieren zu gehören, auf die Straße gehen. Sie wiederum, Herr Grillo, Sie gehen gerade in Ihre zweite Amtszeit als Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Sie sind auch Vorstandschef der Grillo-Werke, des größten Zink-Verarbeiters der Welt, und wir führen dieses Interview hier an Ihrem Firmensitz in Duisburg-Marxloh. Und wenn man aus Ihrem Werkstor herauskommt und die Weseler Straße entlang geht, dann spielt sich da genau das Leben ab, wovor immer mehr Menschen hierzulande offenkundig Angst haben. In Duisburg-Marxloh liegt der Ausländeranteil bei über 42 Prozent. Die Mehrzahl sind Türken, und viele davon sind auch streng religiös. Wie erleben Sie das eigentlich hier vor Ihrem Werkstor?
    Ulrich Grillo: Zuerst einmal gilt mein Mitgefühl den Opfern, den Angehörigen, unseren gesamten französischen Freunden. Das ist eine schreckliche Tat. Und das Problem ist, dass diese Tat hier und da instrumentalisiert wird – und das müssen wir vermeiden. Wir müssen uns intensiv mit dem Thema Zuwanderung beschäftigen. Zuwanderung tut Deutschland gut. Zuwanderung hat dem Ruhrgebiet gut getan im Aufbau, der Industrialisierung. Zuwanderung hat auch Duisburg gut getan. Sie haben es erwähnt, wir haben einen Anteil hier in Duisburg-Marxloh an Bevölkerung mit Migrationshintergrund von über 40 Prozent. Auch in unserem Unternehmen haben wir bis zu 20 Prozent Mitarbeiter mit Migrationshintergrund. Wir sind immer gut damit gefahren. Und letztlich sind auch die Grillos eine Familie mit Migrationshintergrund. Wir sind vor elf Generationen – 1610 – aus Italien vor Religionskriegen geflüchtet. Wir sind Flüchtlinge, wir haben Migrationshintergrund. Das heißt, insgesamt – noch mal –, Zuwanderung tut Deutschland gut.
    "Wir müssen mehr aufklären"
    Geers: Immer mehr Deutsche fühlen sich dennoch vom Islam bedroht – so hat es gerade in der letzten Woche eine Umfrage ergeben. Sie haben kein Unbehagen?
    Grillo: Wir müssen mehr aufklären. Das ist auch eine Aufgabe der Politik, da hat es vielleicht Defizite in der letzten Zeit gegeben. Auch die Politik muss den Bürger mehr aufklären und Ängste nehmen, ganz klar machen, dass 99 Prozent, die ganz große Mehrheit aller deutschen Bewohner mit Migrationshintergrund – und immerhin haben wir 16 Millionen Bürger in Deutschland mit Migrationshintergrund, 20 Prozent der Bevölkerung –, dass der ganz große Teil friedliebend ist, sich gut integriert hat und uns nach vorne bringt. Wir brauchen Zuwanderung. Und das müssen wir aber auch aufklären und der Bevölkerung die Ängste nehmen.
    Geers: Sie sagen "mehr Aufklären", würden Sie auch so weit gehen, wie zum Beispiel Wirtschaftsminister Gabriel, der gesagt hat mit Blick auf die 180.000 Flüchtlinge, die Deutschland allein im letzten Jahr bis November aufgenommen hat, man müsse diese Flüchtlinge arbeiten lassen, man müsse sie ausbilden und im Idealfall die Besten gleich hier behalten?
    Grillo: Da bin ich völlig der gleichen Meinung, ganz klar. Wir haben die qualifizierte Zuwanderung, die für uns wichtig ist. Und auch die Flüchtlinge, die wir auch aufnehmen müssen als Wohlfahrtsstaat, das ist schon für mich eine Frage der christlichen Nächstenliebe, dass wir uns auch um die Flüchtlinge kümmern müssen. Wir müssen sie schnell ans Arbeitsleben heranführen. Wir müssen sie ausbilden. Wir müssen sie sprachlich weiterbringen. Insofern ist das ein wichtiger Punkt, da unterstütze ich Wirtschaftsminister Gabriel völlig.
    Geers: Sie haben auch gesagt: Wir müssen mehr aufklären in Bezug auf Zuwanderung. Heißt das jetzt, einfach darauf hinweisen, wie wichtig Zuwanderung für dieses Land und auch für die Wirtschaft in Deutschland ist?
    Grillo: Ja, wir müssen aufklären, wir müssen dem Bürger die Ängste nehmen. Ich meine, jetzt natürlich auch durch diese Vorkommnisse, entstehen hier und da mehr Ängste. Teilweise wird es auch instrumentalisiert, da müssen wir gegenarbeiten. Da bin ich absolut dagegen, auch bei dem Themen PEGIDA und AfD. Wir müssen den Bürger aufklären über die Chancen. Wir müssen ihn mitnehmen. Und wir müssen die Voraussetzungen schaffen auch, dass die Bürger mit Migrationshintergrund besser integriert werden. Das ist eine Frage der Ausbildung, der Weiterbildung, der sprachlichen Ausbildung. Da müssen wir sicherlich noch besser werden.
    "Es gibt keine 'richtigen' Zuwanderer"
    Geers: Trotzdem noch mal nachgefragt: Wie wichtig ist Zuwanderung aus rein wirtschaftlicher Sicht?
    Grillo: Ja, selbstverständlich schon vor dem demografischen Hintergrund. Wir haben ein Wirtschaftswachstum, wir haben eine Rekordbeschäftigung von fast 43 Millionen Beschäftigten. Ohne Zuwanderung, ohne unsere ausländischen Mitbürger würden wir diese Chance nicht erreichen. Das Wachstum, was wir erleben, was wir in den letzten Jahren erlebt haben, was wir hoffnungsvollerweise auch weiter erleben, ist vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung in Deutschland ohne Zuwanderung überhaupt nicht erreichbar.
    Geers: Das heißt, wir brauchen auch in Zukunft Zuwanderung?
    Grillo: Auf jeden Fall. Wir brauchen Zuwanderung, wir brauchen qualifizierte Zuwanderung, und wir müssen viel tun, um die Zuwanderung zu verarbeiten, um eben die Bürger weiterzubilden und zu integrieren.
    Geers: Wie kriegt man denn die „richtigen" Zuwanderer nach Deutschland?
    Grillo: Es gibt keine „richtigen" Zuwanderer, wir können natürlich nicht auswählen, sondern, wir müssen die Zuwanderer, die zu uns wollen, die müssen wir aufnehmen. Und es ist ja auch interessant, dass es Erhebungen gegeben hat, dass bei der qualifizierten Zuwanderung 43 Prozent, rund 40 Prozent, sagen wir mal, eine Aus- und Weiterbildung studentischen Hintergrunds haben. Das heißt, die Zuwanderer haben eine bessere Qualifizierung als der Durchschnitt der deutschen Bürger. Es ist also nicht so, dass nur Unqualifizierte zuwandern, sondern Zuwanderung bringt uns wirklich weiter.
    Geers: Wenn Sie sagen: "Zuwanderung bringt uns wirklich weiter", dann könnte man ja daraus schließen: Zuwanderung ist auch so eine Art Konjunkturmotor – und damit wären wir auch beim Thema Konjunktur. Das Jahr 2014 hat wahrscheinlich ein Wirtschaftswachstum von 1,2 Prozent gebracht – so lauteten zumindest die letzten Prognosen. Und für 2015, da sind die Prognosen jetzt zwischen 1 Prozent und 1,5 Prozent. Und Sie als BDI, Sie haben im letzten Jahr gesagt: "2015, das könnte so 1,2 bis 1,5 Prozent geben im Wachstum". Wo enden wir denn jetzt? Eher bei der 1,2 oder eher bei den 1,5 Prozent?
    Grillo: Also das abgelaufene Jahr ist letztlich nicht ganz so gut gelaufen, wie man Anfang des Jahres 2014 gesagt hat. Aber ich schätze schon, dass wir vielleicht sogar an die 1,5 Prozent herangekommen sind. Wir gehen davon aus, dass das Jahr 2015 ungefähr auf dem gleichen Niveau enden wird. Das heißt, wir haben kein Riesenwachstum, aber wir wachsen weiterhin, und das ist wichtig.
    "Der gesunkene Eurokurs wird uns helfen"
    Geers: Was hilft denn bei Wachstum? Ist es der schwächere Euro? Ist es der seit letztem Sommer um die Hälfte gesunkene Ölpreis? Was stützt die Konjunktur?
    Grillo: Wir sind ein Exportland. Das heißt, wichtig ist natürlich die Entwicklung der Länder, in die wir exportieren. Das ist Nordamerika – da sind wir zuversichtlich. Das ist China, das ist Großbritannien – da gehen wir von höherem Wachstum aus. Ungefähr 40 Prozent unserer Exporte gehen in den Euroraum. Da erwarten wir relativ geringes Wachstum. Das heißt, insgesamt aus dem Exportbeitrag wird schon etwas kommen. Im Inland wächst natürlich der Konsum. Richtig – durch den gesunkenen Ölpreis hat der Bürger mehr Geld zur Verfügung, um es in den Konsum zu stecken. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass dieser gesunkene Ölpreis im Inland hilft, aber im Ausland – in das wir ja exportieren – weniger Einnahmen erzeugt. Das heißt, nachhaltig wird es da auch gegenläufige Effekte geben, aber es hilft. Auch der gesunkene Eurokurs wird helfen. Das heißt, unsere Exporte werden wettbewerbsfähiger. Allerdings dürfen wir nicht vergessen, wir sind auch Import-Europameister – wir importieren ja auch. Und dafür müssen wir natürlich jetzt mehr bezahlen als vorher, weil der Euro schwächer geworden ist.
    Geers: Dennoch noch mal nachgefragt, Herr Grillo, Stichwort "Ölpreis". Manche sprechen davon, das sei so ein Konjunkturprogramm für "ömesöns", wie man so im Rheinland sagt, sprich, da fallen mal eben 20 Milliarden Euro vom Himmel. Sehen Sie das ähnlich?
    Grillo: Ja, natürlich ist es ein Konjunkturprogramm. Aber noch mal: Die ölexportierenden Länder, die haben natürlich weniger Einnahmen zur Verfügung jetzt, weil der Ölpreis gesunken ist. Das heißt, die können weniger bestellen, weniger einkaufen. Und das wird unser exportorientierten Industrie durchaus auch hier und da Probleme bereiten.
    "Mache mir Sorgen um Russlands Wirtschaft"
    Geers: Ein Land, das besonders Probleme hat mit dem gesunkenen Ölpreis, ist Russland. Nun kommt bei Russland noch ein Sonderfall hinzu: Vor knapp einem Jahr hat Präsident Putin mit der Besetzung der ukrainischen Krim dafür gesorgt, dass sich Russland so ein bisschen aus dem Kreis der Länder verabschiedet hat, die sich einfach an bestimmte internationale Grundregeln halten, wie etwa die Unverletzlichkeit von Grenzen. Die EU hat darauf mit Sanktionen reagiert, aber was stärker zu Buche schlägt, ist natürlich auch der Vertrauensverlust in Russland. Und jetzt kommt eben verschärfend noch der Ölpreis hinzu. Müssen wir uns langsam Sorgen machen, was die Wirtschaft von Russland betrifft?
    Grillo: Ich mache mir schon Sorgen um die wirtschaftliche Entwicklung in Russland. Man muss hier aber unterscheiden. Der wesentliche Grund für die wirtschaftlichen Probleme in Russland ist – wie Sie erwähnt haben – der Verfall der Ölpreise, weil Russland in den letzten Jahren es versäumt hat, strukturell sich breiter aufzustellen. Die gesamte russische Wirtschaft war vom Export der Energieressourcen, das heißt Öl und Gas, abhängig. Richtig: Sanktionen und auch der Vertrauensverlust führt zusätzlich zu Schaden, aber man muss hier sehr klar differenzieren.
    DLF-Redakteur Theo Geers (l.) und BDI-Chef Ulrich Grillo
    DLF-Redakteur Theo Geers (l.) und BDI-Chef Ulrich Grillo (Deutschlandradio - Nils Heider)
    Geers: Nun ist es aber so, dass Deutschland, und damit die deutsche Wirtschaft, die Hauptlast auch der Sanktionen trägt. Wir sind nun mal auch der größte Handelspartner Russlands in der EU. Im letzten Jahr sind jetzt die deutschen Exporte nach Russland um etwa 20 Prozent eingebrochen und viele deutsche Unternehmen haben zudem in Russland etliche Investitionen sozusagen "im Feuer stehen". Dennoch, die Deutsche Wirtschaft hat die Sanktionen gegen Russland vorbehaltlos unterstützt und mitgetragen. Bleibt es dabei?
    Grillo: Sanktionen tun weh – unseren russischen Geschäftspartner, natürlich auch den deutschen Unternehmen –, aber wenn die Politik – da liegt der Primat –, wenn die Politik entscheidet, Sanktionen sind notwendig, dann folgen wir ihr. Und für mich gilt nach wie vor und hat immer gegolten: Die Stärke des Rechts ist wichtiger als das Recht des Stärkeren – das darf nicht gelten in Europa. Und Verletzungen des Völkerrechts müssen geahndet werden. Das ist ein hohes Gut, und das ist wichtiger als ein kurzfristiger Profit.
    Geers: Trotzdem noch mal nachgefragt, Herr Grillo. Wir haben auf der einen Seite die Sanktionen und dadurch ein angespanntes Verhältnis zu Russland. Wir haben auf der anderen Seite Russland selber, ein Land, dem es also jetzt durch Ölpreisverfall, durch Rubelverfall nicht besonders gut geht. Könnte da nicht eine Gemengelage entstehen, wo man sagen müsste: Moment, jetzt müssen wir langsam mal aufpassen, dass das Land nicht völlig ins Trudeln gerät?
    Grillo: Na ja, ich meine, unser Interesse kann es natürlich nicht sein – ist es auch nicht –, Russland ins Trudeln zu bringen. Und wenn die Gründe für die Sanktionen, wenn diese Gründe wieder zurückgenommen werden, dann können die Sanktionen auch wieder zurückgenommen werden. Aber erst dann. Das heißt, alle müssen sich bewegen. Natürlich brauchen wir einen vernünftigen Dialog, und ein Lieblingsmotto von mir ist: Seit der Erfindung der Sprache kann man damit viel regeln. Das heißt, wir müssen miteinander sprechen. Das tun wir in der Wirtschaft, das tut natürlich auch die Politik, da gibt es sehr viel diplomatische Bemühungen, das ist wichtig. Insofern bin ich optimistisch, dass man da Lösungen findet. Aber es wird nicht einfach sein.
    Geers: Wagen Sie eine Prognose, wann es wieder zu einer Normalisierung der Beziehungen, auch der wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland kommen könnte?
    Grillo: Eine Prognose wage ich nicht, aber ich äußere die Hoffnung, dass es möglichst bald passiert.
    "Die Politik muss sich jetzt um die Wirtschaft kümmern"
    Geers: Sagt Ulrich Grillo, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie im Interview der Woche im Deutschlandfunk. Herr Grillo, ein anderes Thema. Das neue Jahr ist elf Tage alt heute, und heute auf den Tag ist es genau einen Monat und einen Tag her, dass Bundeskanzlerin Merkel auf dem CDU-Parteitag in Köln wörtlich sagte: "Die CDU tut Deutschland gut", und zuvor hatte Sie auf die Erfolge der Union im ersten Regierungsjahr der Großen Koalition verwiesen Wie fällt denn Ihr Urteil als oberster Repräsentant der Deutschen Wirtschaft über das Wohlfühlprogramm aus Berlin aus?
    Grillo: Also das letzte Jahr hat uns in der Wirtschaft – und das haben wir mehrfach erläutert – nicht zufriedengestellt. Wir haben zu viel über Verteilung geredet. Wir haben über viel Sozialpolitik geredet. Aber zum Jahresanfang gucke ich lieber nach vorne und sage lieber: Was muss denn passieren?.
    Geers: Ja, was muss denn passieren?
    Grillo: Die Politik muss sich jetzt um die Wirtschaft kümmern, muss jetzt ein Zukunftskonzept für die Weiterentwicklung der Wirtschaft entwickeln. Denn Wachstum ist kein Selbstläufer und wir müssen die Voraussetzungen schaffen. Wir müssen wieder das Vertrauen der Wirtschaft, der Unternehmen stärken, damit mehr investiert wird. Wir müssen das Thema Energiewende hinkriegen – das ist existenziell. Wir müssen die Digitalisierung nach vorne bringen, um unser Land weiterhin wettbewerbsfähig zu halten. Das heißt, wir haben genug Aufgaben für die Zukunftsfähigkeit. Wir müssen eine Investitionsoffensive lostreten, auch öffentlicher Investitionen, dann folgen auch Privatinvestitionen. Wir brauchen aber die richtigen Rahmenbedingungen in Deutschland, um das Potenzial auch zu nutzen.
    Geers: Herr Grillo, dann gucken wir doch mal nach vorne. Dann gucken wir mal auf ein Investitionsprogramm, dass Herr Schäuble im November angekündigt hat – noch nicht einmal als Sofortprogramm, sondern als Programm für die Jahre 2016 bis 2018 –, zehn Milliarden Euro. Das macht, geteilt durch drei Jahre, drei Milliarden Euro im Jahr, ein Prozent des Bundeshaushaltes oder wenn wir in das Bruttoinlandsprodukt gucken, dann sind wir im Promillebereich. Das reicht doch hinten und vorne nicht...
    Grillo: Es war ein guter Anfang selbstverständlich. Natürlich reicht es nicht. Forschungsinstitute haben ermittelt, dass wir ungefähr eine Investitionslücke in Deutschland von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts haben. Das sind 80 Milliarden Euro pro Jahr. Das heißt, wir müssen sehr viel mehr tun. Aber es ist ein Anfang gemacht, und das ist positiv.
    "Genug Potenzial, um mehr zu investieren"
    Geers: Und wie viel müsste mehr getan werden? Ich frage das auch mit Blick, Herr Grillo, darauf, dass wir im letzten Jahr teure Beschlüsse hatten, zum Beispiel zur Rente mit 63. Die kostet bis 2030 123 Milliarden Euro. Die Mütterrente kostet 83 Milliarden Euro. Wenn ich jetzt 2016 anfange zu investieren, so wie Herr Schäuble das will, mit drei Milliarden Euro pro Jahr, dann bin ich bis 2030 so ungefähr bei gut 40 Milliarden Euro. Das fällt sehr stark ab...
    Grillo: Die Zahlen sind richtig, die Sie genannt haben. Trotzdem: Wir dürfen nicht vergessen, dass die Steuereinnahmen in den letzten zehn Jahren um 40 Prozent gestiegen sind, dass wir immerhin einen gesamten Staatshaushalt von 780 Milliarden haben pro Jahr. Das heißt, da muss noch Luft drin sein das umzushiften, mehr von konsumtiven Ausgaben in investive Ausgaben. Allein der Bundeshaushalt wächst in den nächsten drei Jahre von 300 Milliarden auf 330 Milliarden. Wenn wir nur die Hälfte davon investieren – und die Hälfte davon sind 15 Milliarden –, auch da steht genug Geld zur Verfügung. Das heißt, ohne die schwarze Null zu riskieren, ist meines Erachtens genug Potenzial da, mehr zu investieren, mehr öffentliche Investitionen als Vorlaufinvestitionen loszutreten, um dann die privaten Investitionen auch folgen zu lassen.
    Geers: Wie viel mehr, gemessen an den zehn Milliarden?
    Grillo: Ja, allein die 50 Prozent sind 15 Milliarden Euro pro Jahr. Wenn wir dann noch – und das hatte Herr Dobrindt gerade angefangen –, wenn wir dann noch versuchen, mehr private Investitionen in öffentliche Aufträge, in die Infrastruktur zu lenken – denn Geld ist ja genug da, wie wir wissen, es sucht nur nach Anlage –, wenn wir diese Modelle ausbauen, dann werden wir viele Milliarden lostreten können und dann werden wir einen bedeutenden Teil dieser Investitionslücke schließen können, und dann werden wir die Investitionsoffensive starten, die wir dringend brauchen in Deutschland.
    Geers: Dafür müsste die Regierung aber Investitionshemmnisse abbauen, zum Beispiel das Hemmnis, dass Versicherungen nicht so ohne Weiteres ihr Geld, das ihnen die Versicherten anvertrauen, in Autobahnen oder Stromnetze oder worin auch immer stecken dürfen.
    Grillo: Genau das ist völlig richtig. Deswegen hat Minister Gabriel richtigerweise eine Runde zusammengerufen, die sich um Investitionen kümmern. In dieser Arbeitsgruppe sind auch Vertreter von Versicherungen drin, das heißt, genau das sind Themen. Denn Versicherungen wie andere Kapitelsammelstellen haben immense Summen an Geld, die investiert werden wollen, wo wir eben die Rahmenbedingungen ändern müssen, damit das passiert.
    Geers: Geht Ihnen das eigentlich schnell genug?
    Grillo: Wissen Sie, ich bin ungeduldig. Ich bin als Unternehmer ungeduldig, als Mensch ungeduldig, ich bin immer ungeduldig. Aber ich habe schon gelernt in den vielen Jahren meiner Verbandstätigkeit, dass Politik natürlich nicht ganz einfach ist, dass viele Leute mitgenommen werden müssen und dass Prozesse manchmal länger dauern, nicht als es nötig wäre, aber als wir uns wünschen würden. Aber letztlich versuchen wir natürlich immer ein bisschen auf die Tube zu drücken. Die Politik, die jetzige Regierung, hat noch drei Jahre Zeit und in diesen drei Jahren kann meines Erachtens viel passieren, muss viel losgetreten werden, um wirklich ein Zukunftskonzept zu erarbeiten, die Deutsche Wirtschaft zukunftsfähig zu machen. Die Entscheidungen, die jetzt getroffen werden, wenn jetzt Investitionen losgetreten werden, bis die durchgeführt werden, dauert ja was. Aber man muss sich mal vorstellen: Wie schön wäre es denn, wenn bei der nächsten Wahl Deutschland voller Baukräne wäre und endlich investiert wird in die Infrastruktur und alle sehen, es passiert was.
    "Wir müssen sehr viel Geld in die Netze stecken"
    Geers: "Infrastruktur" ist ein Stichwort – wo sollte denn Ihrer Meinung nach noch investiert werden?
    Grillo: Ja, das ist Netzinfrastruktur. Wir reden ja über die Digitalisierung der Wirtschaft. Wir müssen sehr viel Geld in die Netze, in die Internet-Breitbandverkabelung stecken. Wir müssen sehr viel Geld in die Energienetze stecken. Wir müssen aber auch sehr viel Geld in die Verkehrsinfrastruktur stecken. Ein Wettbewerbsvorteil der Deutschen Wirtschaft ist die funktionsfähige Verkehrsinfrastruktur. Wir müssen ja nicht nur gute Produkte produzieren, wir müssen sie auch zum Kunden bringen. Und hier bröckelt es immer mehr. Und hier gibt es immer mehr Investitionsdefizite. Das heißt, auch da muss investiert werden. Wir müssen das Vertrauen haben, die Rahmenbedingungen, um es zu investieren, und idealerweise in Deutschland zu investieren und nicht nur im Ausland.
    Geers: Herr Grillo, Sie haben gerade schon Sigmar Gabriel erwähnt, der eine Runde einberufen hat, wie man in Deutschland zu mehr Investitionen kommen kann. Nun hat Sigmar Gabriel ja bei der Regierungsbildung vor gut einem Jahr bewusst das Wirtschaftsressort übernommen. Nehmen Sie Sigmar Gabriel eigentlich als den Mann im Kabinett wahr, der sich für die Wirtschaft ins Zeug legt?
    Grillo: Ja. Ich kenne Herrn Gabriel schon lange, schon als Umweltminister. Herr Gabriel hat schon sehr gut verstanden, was die Wirtschaft braucht, was wir wirklich für die Zukunft brauchen. Und insofern baue ich auf ihn, dass wir das gemeinsam auch in den nächsten Jahren umsetzen können.
    Geers: Wenn man aber die Beschlüsse nimmt, die auf das Konto der SPD gehen als Koalitionspartner, also den Mindestlohn oder die Rente mit 63, dann hat man eher das Gefühl, dass Sigmar Gabriel als Parteichef der SPD, aber eben auch als Wirtschaftsminister zuerst einmal den Frieden mit den Gewerkschaften geschlossen und gesucht hat und nicht mit der Wirtschaft.
    Grillo: Also natürlich gibt es widerstreitende Interessen, ist das SPD-Interesse vielleicht nicht immer das Interesse des Wirtschaftsministers. Oder ich will mal so sagen, das, was die SPD will, ist nicht immer gleichlautend mit dem, was die Wirtschaft will und braucht. Das ist so, das ist in einer Demokratie so, und da muss man einen vernünftigen Mittelweg finden. Und da setze ich weiterhin auf Herrn Gabriel, auf die Große Koalition, dass hoffnungsvollerweise jetzt die Interessen der Wirtschaft, um die Wirtschaft zukunftsfähig zu machen, mehr durchgesetzt werden, als im ersten Jahr der Großen Koalition.
    Gesprächsbedarf mit der SPD
    Geers: Jetzt lese ich Ihnen mal ein fast wörtliches Zitat vor der Parlamentarischen Geschäftsführerin der SPD, die das in dieser Woche gesagt hat, kurz vor Beginn der Klausurtagung der SPD-Bundestagsfraktion. Da hat sie gesagt – Christine Lambrecht heißt sie: "Die SPD will auch weiter der Motor der Großen Koalition sein. Dazu gehören unter anderem Verbesserungen für Leiharbeiter, Bekämpfung des Missbrauchs von Werkverträgen, Lohngleichheit von Männern und Frauen und die Frauenquote" – alles Themen, die man vorantreiben will. Das klingt nicht unbedingt wie so ein Programm, das darauf aus ist, die Wirtschaft zu schonen.
    Grillo: Das ist richtig, und da werden wir sicherlich auch als Verband und da werde ich mich persönlich auch einbringen auch in Gesprächen mit der SPD, um die SPD versuchen zu überzeugen, dass es anderer Maßnahmen bedarf, um langfristig dieses Land wirklich zukunftsfähig zu machen. Denn Wirtschaftswachstum führt zu sozialer Gerechtigkeit. Wir müssen wachsen, wir müssen erst verdienen, um dann verteilen zu können. Aber die Reihenfolge muss nun mal eingehalten werden, und das entspricht der Leistungsgerechtigkeit, das ist sozial gerecht. Das heißt, Wirtschaftswachstum ist wichtig, führt zu Beschäftigung, zu Mehreinnahmen, zu Mehreinkommen, und das kann dann verteilt werden. Aber diese Reihenfolge – noch mal – muss eingehalten werden. Und da werde ich mich auch einbringen, um das den Vertretern der SPD zu erläutern.
    "Freihandel bringt ein riesiges Potenzial an Arbeitsplätzen"
    Geers: Ich habe auch nach Sigmar Gabriel aus einem anderen Grund gefragt, Herr Grillo, es gibt da noch ein anderes großes Thema, nämlich die EU-Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA. Da steckt Wirtschaftsminister Gabriel als SPD-Vorsitzender auch gehörig in der Klemme, denn die SPD hat im letzten September rote Linien eingezogen, was diese Abkommen betrifft. Schiedsgerichte, vor denen Konzerne die Staaten auf Schadenersatz verklagen könnten, sollen es danach zum Beispiel auf keinen Fall geben. Wie sehen Sie diese Klemme, in der der Wirtschaftsminister steckt?
    Grillo: Ein erfolgreicher Abschluss eines Freihandelsabkommens mit Nordamerika ist eminent wichtig für unser Land, für unseren Kontinent. 50 Prozent des Welthandels werden zwischen Nordamerika und Europa abgehandelt. Das ist eine starke Achse, die müssen wir stärken. Wir dürfen nicht vergessen, dass es auch Verhandlungen gibt zwischen Nordamerika und den südostasiatischen Staaten. Das sind immerhin 40 Prozent des Welthandels. Da kann China noch beitreten. Das heißt, wir wären Nachläufer. Also es ist schon ein gewisser Wettlauf. Insofern – noch mal –, Freihandelsabkommen ist wichtig, da bin ich sehr froh, dass Herr Gabriel sich dafür einsetzt. Natürlich gibt es nicht nur aus der SPD, beim Bürger, in verschiedenen Bereichen auch Argumente/Probleme damit, aber denen müssen wir uns stellen. Wir müssen Transparenz reinbringen, wir müssen klarmachen, worum es geht, wir müssen die Verhandlungen mehr offenlegen. Ich glaube, das ist wichtig, dann entsteht Vertrauen. Die neue Kommissarin Malmström, die ich auch im Februar in Berlin treffe beim BDI, hat die richtigen Startpunkte gesetzt, hat ja in dieser Woche schon Punkte offengelegt. Also insofern, da sind wir auf dem richtigen Weg. Wir brauchen mehr Vertrauen, mehr Vertrauen in dieses Thema, und dann bin ich zuversichtlich, dass wir das hinkriegen.
    Geers: Nur wie soll Sigmar Gabriel seine SPD-Genossen überzeugen?
    Grillo: Das kann nicht nur Sigmar Gabriel, das können wir machen, das können wir insgesamt machen, indem wir mehr Transparenz reinbringen und sagen, worum es geht und worum es nicht geht. Es kommen ja schnell immer Vorwürfe, dass es zu Absenkung von den hohen Sozial- und Umweltstandards kommt, die wir in Deutschland haben – das ist überhaupt nicht der Fall, das ist ein völliges Missverständnis. Aber das muss man den Leuten klar machen, das müssen wir auch den Gewerkschaftern klar machen. Da sind wir in der Diskussion, und da bin ich – noch mal – zuversichtlich, dass wir da zu einem positiven Ergebnis finden. Denn ich glaube, wichtig – noch mal – ist für dieses Land, wir müssen einen freien Handel mit Nordamerika bringen. Das bringt ein riesiges Potenzial an Arbeitsplätzen, an Wirtschaftswachstum, und das ist das Ziel was wir brauchen.
    "Herr Gabriel braucht keine Ratschläge des BDI-Präsidenten"
    Geers: Herr Grillo, die SPD hat schon einmal einen Wirtschaftsminister, einen Vorgänger von Sigmar Gabriel gehabt, der in einer ähnlich vertrackten Lage war, wo es also darum ging, wie bekommt man Parteiwille oder Parteitagsbeschlüsse und möglicherweise wirtschaftspolitische Realitäten und Notwendigkeiten unter einen Hut. Der hat damals Anfang der 70er-Jahre gesagt: "Genossen, lasst mal die Tassen im Schrank." Das war Karl Schiller. Würden Sie sagen, dass Sigmar Gabriel kurz davor ist, vielleicht auch mal so ein Machtwort an seine Partei zu richten, damit es in Sachen Wirtschaftspolitik – wir haben vorhin über das gesprochen, was die SPD sich noch vornimmt in der Großen Koalition, wir haben jetzt gerade über das Freihandelsabkommen gesprochen –, damit Sigmar Gabriel da sozusagen die Partei auf die Linie bringt, die wahrscheinlich für die Wirtschaft in Deutschland die bessere wäre?
    Grillo: Also ich glaube, Herr Gabriel braucht keine Ratschläge des BDI-Präsidenten, wie er seine beiden Aufgaben als Wirtschaftsminister und SPD-Parteivorsitzender abarbeitet. Er wird wahrscheinlich eher lächeln, wenn ich da Tipps gebe. Und ich habe großes Zutrauen, dass er das hinkriegt. Ob er das wie Herr Schiller macht oder ob er da selber etwas macht, ich glaube, er hat einen vernünftigen Stil und er wird das schon hinbekommen. Wir helfen natürlich gerne. Noch mal: Wir müssen aufklären, wir müssen Transparenz rein bringen. Ich bin auch in guten Diskussionen mit SPD-Vertretern, um meine Anliegen vorzubringen, und da helfen wir gerne, aber ich bin schon sehr zuversichtlich, dass Herr Gabriel diesen Spagat, wie man ja sagen kann, gut hinbekommt.
    Geers: Wir haben jetzt über die SPD gesprochen, wir müssten eigentlich auch über den Unionsteil der Großen Koalition sprechen. Auch da entdeckt man die Wirtschaft wieder und sagt: 'Wir haben im letzten Jahr möglicherweise zu viel verteilt und zu wenig ans Erwirtschaften gedacht.' Wie nehmen Sie die Union wahr in der Wirtschaftspolitik?
    Grillo: Also ich habe das Gefühl, dass erkannt ist in der breiten Mehrheit der Großen Koalition, dass jetzt die Wirtschaft dran ist. Wir haben ein Jahr der Verteilung erlebt und jetzt muss die Wirtschaft dran sein, jetzt muss investiert werden, jetzt müssen die Rahmenbedingungen geschaffen werden, jetzt muss die Energiewende umgesetzt werden, die Digitalisierung. Diese ganzen Themen, die wir angesprochen haben, die müssen jetzt angegriffen werden. Und ich bin von Natur aus ein Optimist, aber trotzdem, auch zu Jahresanfang bin ich tatsächlich positiv gestimmt, dass jetzt die Wirtschaft dran ist, dass das erkannt ist und dass wir jetzt die notwendigen Maßnahmen gemeinsam mit der Politik – aber die Politik ist da gefordert – umsetzen müssen.
    Geers: Herr Grillo, vielen Dank.
    Grillo: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.