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"Beate Klarsfeld ist eine gute Kandidatin"

Besonders aus den Reihen der CDU/CSU wird in diesen Tagen Kritik an der Kandidatin der Linkspartei für das Bundespräsidentenamt laut. Hauptvorwurf: Beate Klarsfeld sei unkritisch gegenüber der DDR und habe sich bei ihrem Kampf gegen Nazis von der SED unterstützen lassen. Dietmar Bartsch, Vorsitzender der Linken im Bundestag, bezeichnet die Kritiker als kleingeistig.

Dietmar Bartsch im Gespräch mit Anne Raith | 10.03.2012
    Anne Raith: Untragbar gegen unverschämt: Untragbar findet CDU-Generalsekretär Gröhe die 2000 Mark, die Beate Klarsfeld, Bundespräsidentenkandidatin der Partei Die Linke, von der DDR-Staatspartei SED bekommen hat nach ihrer berühmten Ohrfeige an den damaligen CDU-Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger, für weitere Initiativen, wie es in einem Vermerk heißt. Unverschämt wiederum findet Beate Klarsfeld, dass ihr Engagement gegen Kiesinger darauf heruntergebrochen wird. Gestern hat sie sich in Dresden zu der Kritik geäußert. Am Telefon begrüße ich nun Dietmar Bartsch, den stellvertretenden Vorsitzenden der Linksfraktion im Bundestag. Guten Morgen!

    Dietmar Bartsch: Guten Morgen, ich grüße Sie!

    Raith: Herr Bartsch, nach der gröheschen Logik ist Beate Klarsfeld nun untragbar für das höchste Amt im Staate. Können Sie dieser Logik folgen?

    Bartsch: Nein, ich kann dieser Logik nicht folgen. Das ist wirklich ein absurder Vorwurf, den Herr Gröhe hier macht, das ist auch kleingeistig. Und das bedient Klischees, die wir wirklich nicht mehr wollen, das ist ein zurück in die Schützengräben des Kalten Krieges. Ich glaube, Herr Gröhe will hier ablenken von dem Altbundespräsidenten Wulff, wo es um Amtsausstattung, Ehrensold und richtige Summen geht, und will zweitens eine engagierte Kämpferin gegen alte und neue Nazis diskreditieren. Dass Frau Klarsfeld 2000 Mark erhalten hat, das hat sie nach meiner Kenntnis in ihrer Autobiografie 1972 bereits erwähnt. Sie ist in ihrem Kampf gegen Nazis unterstützt worden von Frankreich, von Israel, und auch von der DDR. Und das ist legitim.

    Raith: Sie hat gesagt, die DDR hat uns die Hand ausgestreckt, und wir haben sie angenommen. Sie sagen, das ist legitim?

    Bartsch: Ja selbstverständlich sage ich, dass das legitim ist. Die Bundesrepublik alt sollte darüber nachdenken, was sie, wie sie mit Nazis umgegangen ist, in welche Funktionen die gekommen sind. Wenn die DDR dort eine andere Haltung hatte – ich wiederhole –, wie Frankreich, wie Israel, wie die Vereinigten Staaten, dann sehe ich auch heute noch das als richtig an. Und Frau Klarsfeld hat ja nicht 2000 Mark wegen einer Ohrfeige bekommen. Das ist wirklich ein absurder Vorwurf. Sie hat recherchiert …

    Raith: Sie hat die für weitere Initiativen, heißt es, hat sie die bekommen.

    Bartsch: Ja, und ich finde, weitere Initiativen zur Bekämpfung alter Nazis, zur Aufdeckung von deren Verstecken, das, finde ich, ist völlig richtig, dass da auch die DDR geholfen hat. Das finde ich überhaupt nicht vorwurfswürdig.

    Raith: Der DDR-Bürgerrechtler Lutz Rathenow, der ja auch Landesbeauftragter für Stasi-Unterlagen in Sachsen ist, der wirft Beate Klarsfeld Gleichgültigkeit gegenüber den potentiellen Methoden der Stasi vor und sagt, sie müsse sich damit auseinandersetzen, sie müsse die Beziehung zur DDR, ihre eigene, reflektieren.

    Bartsch: Das ist überhaupt keine Frage, Frau Klarsfeld hat auch dazu eine Position. Ich will nur eines nicht zulassen, dass auf diesem Wege dieser wirklich dunkle Teil deutscher Geschichte, und wo Menschen, die sich um Aufarbeitung bemüht haben, dass der diskreditiert wird. Beides ist sicherlich notwendig, natürlich auch die Auseinandersetzung mit der Geschichte der DDR, aber was überhaupt nicht geht, ist wirklich eine Gleichsetzung. Also der Nationalsozialismus hat den Holocaust zu verantworten, hat Millionen Tote und einen Weltkrieg zu verantworten. Und wenn jemand die Täter aufklärt, dann ist auch heute noch selbstverständlich, dafür zu sorgen, dass dem Ehre gebührt. Und ich kann überhaupt nicht verstehen, dass CDU/CSU hier in ihre alten Klischees des Kalten Krieges und ihre alten Klischees, dass sie also sich in einer Kontinuität zu diesem schlechten Teil Deutschlands bewegen wollen, hier aufführt.

    Raith: Aber gleichgesetzt hat Hermann Gröhe, der CDU-Generalsekretär, das ja auch nicht, und dass eine Geldzahlung zumindest für Überlegungen sorgt, dass man darüber nachdenkt, das ist doch verständlich, zumal sich ja Frau Klarsfeld auch am Anfang gar nicht an diese Geldzahlung erinnert hat.

    Bartsch: Also ich wiederhole das, nach meiner Kenntnis hat sie diese Geldzahlung im Jahre 1972 in ihrer Autobiografie erwähnt. Ich sage auch noch mal, es ist legitim, wenn sie unterstützt wird bei der Aufdeckung alter und neuer Nazis, und ich will nicht, dass dieser Punkt genutzt wird, um von anderen Dingen abzulenken. Noch mal: Ihr Engagement gegen alte und neue Nazis ist von niemandem zu diskreditieren. Und da sollten sich diejenigen, die in einer anderen Kontinuität stehen, es nicht selbst fragen. Es wird nicht gelingen, wirklich ein Ablenkmanöver zum letzten Bundespräsidenten vorzunehmen. Dort sollte Herr Gröhe mal zu dem Thema Amtsausstattung, Ehrensold, Zapfenstreich etwas sagen. Aber da hat er sich sehr, sehr schnell hinter die Büsche verschlagen.

    Raith: Aber die Kritik an Beate Klarsfeld, zumindest an Teilen ihrer Arbeit, kommt ja nicht nur von der CDU. Heute Morgen bei Deutschlandradio Kultur, bei unserem Partnerprogramm, war Klaus Schroeder, der Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat an der Uni Berlin im Interview, und der hat gesagt, Frau Klarsfeld hat es versäumt, bei ihrer Nachverfolgung der Naziverstrickungen in Westdeutschland genau so scharf in der DDR zu schauen, wer da eigentlich noch übrig geblieben ist aus der Nazidiktatur.

    Bartsch: Frau Klarsfeld und ihr Mann haben sich der Aufarbeitung der Nazidiktatur verschrieben. Bei der Biografie – gerade auch der ihres Mannes – finde ich das höchst legitim. Sie hat sich darauf konzentriert und wollte damals mit der bekannt gewordenen Ohrfeige Kiesingers ein Zeichen setzen. Sie hat viel, viel mehr geleistet, ich glaube, das ist unbestritten. Und dann sollten wir wirklich aus Deutschland einmal herausschauen und ihr Engagement, ihre Auszeichnungen von Regierungen der Vereinigten Staaten, Israels, Frankreichs anschauen, noch mal in uns gehen und mit dieser Kleingeistigkeit aufhören, wirklich raus aus den Schützengräben des Kalten Krieges kommen, und nicht, weil jemand Präsidentschaftskandidatin für die Linken ist, alle, alle Ressentiments bedient. Das, glaube ich, tut niemandem gut, und im Übrigen auch nicht der Bundesversammlung am 18. März und dem neuen Bundespräsidenten.

    Raith: Herr Bartsch, wenn die Vorwürfe absurd sind, wie Sie sagen, wenn sie Ressentiments bedienen sollen, warum ist dann von der Partei die Linke so wenig Gegenwehr zu hören?

    Bartsch: Schauen Sie, Sie haben mich befragt, und ich habe dort klar und deutlich meine Position gesagt, aber …

    Raith: Ja, als einer der wenigen in der vergangenen Woche.

    Bartsch: Ja, das hat vielleicht mit anderen Dingen zu tun. Also ich kenne niemanden in der Linken, der etwa die Kandidatur von Beate Klarsfeld, aber insbesondere ihre verdienstvolle Biografie infrage stellt. Wir alle in Deutschland sollten genau schauen, was sie gemacht hat, warum sie es gemacht hat, und dann ein Stück weit ehrfurchtsvoll schauen, denn ganz klar und eindeutig: Bei der Aufarbeitung der Nazidiktatur ist in allen Teilen Deutschlands meines Erachtens zu wenig gemacht worden.

    Raith: Das heißt, Herr Bartsch, um den Kreis zu schließen: Für Sie ist Beate Klarsfeld nach wie vor eine gute – die beste – Kandidatin?

    Bartsch: Beate Klarsfeld ist eine gute Kandidatin, und es ist gut, dass es am 18. März eine Alternative gibt, und ich glaube, dass wir uns mit anderen Dingen ihrer Biografie in den Tagen bis dahin beschäftigen sollten – die Linke wird zumindest versuchen, dazu einen Beitrag zu leisten.

    Raith: Und dafür plädiert wiederum Dietmar Bartsch, der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag. Ich sprach mit ihm über die Vorwürfe gegen die Bundespräsidentenkandidatin seiner Partei, gegen Beate Klarsfeld. Herr Bartsch, haben sie herzlichen Dank für das Gespräch!

    Bartsch: Ich danke Ihnen auch, einen schönen Sonnabend!

    Raith: Ihnen auch!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.