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Japs: Herr Ministerpräsident Beck, der Bundesfinanzminister Hans Eichel will die vorgezogene Steuerreform in erster Linie durch neue Schulden finanzieren. Wird Rheinland-Pfalz diesen Weg mitgehen können?

Gode Japs | 20.07.2003
    Beck: Der Weg ist aus meiner Sicht richtig, weil er nicht dauerhaft neue Schulden bedeutet, sondern ein Vorziehen der Steuerreform, das dann allerdings auf der Zeitschiene über den Abbau von Subventionen finanziert wird. Für 2004 brauchen wir einen zusätzlichen Impuls in die Nachfrage und in die Investitionsbereitschaft der Wirtschaft. Und aus dem Grund ist es richtig, dort nicht alles wieder abzuschöpfen, was man an Steuererleichterungen gibt.

    Japs: Aber die hohe Neuverschuldung – das geht doch wieder zu Lasten der nachfolgenden Generation?

    Beck: Nein, dann nicht, wenn man mit diesem Beschluss die Kürzung von Subventionen vereinbart und wenn man im darauf folgenden Jahr beginnt, dies wieder hereinzuholen, denn man muss sehen: Das Vorziehen der Steuerreform ist ein Einmaleffekt und nicht ein dauerhafter, denn für 2005 und danach waren diese Mindereinnahmen des Staates ohnehin geplant.

    Japs: Ihr hessischer Kollege Roland Koch sagt ‘nein' zu den Eichel-Plänen, weil sie '100 Prozent Neuverschuldung' für die Länder und Gemeinden bedeuten.

    Beck: Das sehe ich anders. Wir sind auf jeden Fall in der Lage in Rheinland-Pfalz – natürlich auch durch Veräußerung von Vermögen –, einen verfassungsgemäßen, also nicht das Sonderrecht der Verfassung in Anspruch nehmenden Haushalt vorzulegen, wonach die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts erklärt werden muss. Aber beide Wege sind grundsätzlich offen. Ein einmaliges Defizit-Spending könnte durchaus auch Sinn machen. Beides geht, und ich denke, dass die Motive von Herrn Koch eher in der inneren Auseinandersetzung der Union und dem Balken um das Machtzentrum zu finden sind, als in wirklich ernsthaften konjunktur- und wirtschaftspolitischen Argumentationen.

    Japs: Die Position von Roland Koch, programmiert die nicht schon vor, dass im Bundesrat die Vorziehung der Steuerreform wieder vom Tisch kommt?

    Beck: Das wird man sehen. Ich glaube nicht, dass die Union verhindern kann, dass die Bürgerinnen und Bürger, dass die Wirtschaft um 10 Prozent Steuerlast erleichtert wird. Ich kann mir das schwer vorstellen. Wir sind wieder an der Kante angelangt, wo jegliches Handeln in der Bundesrepublik sofort konterkariert wird. Und da ich wirklich vermuten muss – wer die Szenerie beobachtet, muss das vermuten –, dass es mehr um die innere Machtbalance in der CDU und CSU als um die Auseinandersetzung um den richtigen Weg für Deutschland geht, kann ich alle, die so diskutieren, nur auffordern, wieder auf den Weg der inhaltlichen Auseinandersetzung zurückzukehren.

    Japs: Nach den Eichel-Vorschlägen ist das Thema ‘Subventionsabbau' zunächst einmal wieder vom Tisch. Heißt das eventuell: Wiedervorlage beim nächsten Reformvorhaben?

    Beck: Nein, das darf es nicht heißen. Ich sehe auch nicht, dass es vom Tisch ist, denn der Bundeskanzler und der Bundesfinanzminister haben ja ebenfalls deutlich gemacht, dass sie für die kommenden drei Jahre das Subventionsvolumen in Deutschland um jeweils fünf Prozent senken wollen. Und wir als Länder haben natürlich auch die Möglichkeiten, dies im Rahmen unserer Subventionen zu tun. Hier in Rheinland-Pfalz werden wir im Jahr 2004 den Subventionstopf um rund 70 Millionen Euro erleichtern, sie nicht mehr geben. Allerdings will ich dazu sagen: Es gibt auch neue Aufgaben. Wir werden beispielsweise im Gegenzug rund 30 bis 35 Millionen davon in Kindergärten geben, die Ganztagsangebote machen. Also, ich bin dafür, dass wir mit dem Begriff 'Subventionen' sehr differenziert umgehen.

    Japs: Wieso hat man denn jetzt bei der vorgezogenen Steuerreform nur so zurückhaltend bei den Subventionen reagiert?

    Beck: Auch aus Erfahrung. Es liegt ja ein Gesetzentwurf nach wie vor auf dem Tisch des Bundes, darin waren rund 15 Milliarden Subventionsabbau vorgesehen. Die Union hatte erklärt, rund fünf Milliarden kommen aus Gründen, die unserer Interessenslage entsprechen, auf keinen Fall in Frage. Über viereinhalb Milliarden ist gemeinsam schon entschieden. Und über rund fünf, fünfeinhalb Milliarden verhandeln derzeit im Auftrag des Bundesrates – des Vermittlungsausschusses – die Kollegen Steinbrück und Koch. Also, es ist durchaus so, da ist noch etwas im Schwanger, und das muss ich jetzt auch umsetzen.

    Japs: Steinbrück und Koch, die schlagen wohl vor eine radikale Kürzung der Subventionen generell um 10 Prozentpunkte.

    Beck: Ich bin sehr dafür, dass wir uns ein solches Ziel vornehmen. Wie gesagt, der Bund sagt sogar 15 Prozent in den nächsten drei Jahren. Damit bin ich einverstanden. Ich bin nur dagegen, dass man das mit dem 'Rasenmäher' macht. Ich will noch einmal deutlich machen: Die Zuschüsse eines Landes beispielsweise an seine Kindergärten sind Subventionen. Die will ich nicht kürzen. Die Zuschüsse von Bund und Ländern an die Forschungseinrichtungen und an die Hochschulen sind Subventionen. Die will ich nicht kürzen. Aber dort, wo wir Wirtschaftsförderung betreiben in funktionierende oder in auslaufende Wirtschaftsbereiche hinein, dort muss man Mitnahmeeffekte kappen oder Erhaltungssubventionen, die keinen Beitrag mehr zur Volkswirtschaft leisten, streichen – nicht von jetzt auf nachher, aber sukzessive abbauen, so schnell, wie es immer nur geht. Also Subventionsabbau ja, aber der Rasenmäher kappt eben auch das, was wir gesellschaftspolitisch brauchen. Beispielsweise in den Forschungs- und Hochschulbereich hinein eher mehr denn weniger zu geben.

    Japs: Welche Subventionen sollten denn gekürzt werden? Ich zähle mal einige auf: Was ist mit der Pendlerpauschale?

    Beck: Ich würde sie nicht gerne generell gestrichen sehen. Aber auch dort in angemessener Weise eine Rückführung vorzunehmen, halte ich, wenn auch andere betroffen sind, für verantwortbar.

    Japs: Und die Eigenheimzulage? Sollte die gestrichen werden?

    Beck: Die würde ich gerne zu einem großen Teil stark reduzieren und zu dem verbleibenden Teil umwandeln in eine Förderung der Renovierung von Altwohnungsbestand, insbesondere in den Stadtkernen, in den Dorfkernen, damit wir die Lebendigkeit und die Urbanität unserer Städte und Gemeinden auch bei tendenziell zurückgehender jüngerer Bevölkerung erhalten und nicht Satellitenstädte und Satellitendorfteile entwickeln, gefördert vom Steuerzahler, die eigentlich Überkapazität bedeuten, was auf der anderen Seite auch bedeutet, dass die Innenstädte veröden, dass auf der anderen Seite aber auch der Wohnungsbestand in seiner Werthaltigkeit sinkt. Denn Überangebote am Markt heißt Sinken des Wertbestandes der bisherigen Wohnungen, was tiefe Auswirkungen auf die privaten Vermögen, auf die Alterssicherung vieler Menschen hätte, aber auch auf die Absicherung unserer Banken und unserer großen Versicherungen, die darüber sich ja teilweise über ihr Eigenkapital abstützen.

    Japs: Was ist mit der Kohlesubvention - ein endgültiges Aus?

    Beck: Ein zügiges Aus. Es ist ja vorgesehen seitens des Bundes, gerade auch bekannt gegeben worden, dass über das, was Nordrhein-Westfalen vereinbart hat – eine degressive Absenkung der Kohleförderung –, noch hinausgegangen werden soll, also noch schneller abgesenkt werden soll.

    Japs: Und was ist mit dem großen Batzen 'Aufbau Ost'?

    Beck: Da würde ich gerne differenziert argumentieren. Ich halte die deutliche Unterstützung der Infrastrukturentwicklung für richtig und noch für eine geraume Zeit notwendig. Bei der Einzelförderung muss man genau schauen, denn wir haben ja gesehen: Es gab dort Überförderung und damit Überkapazitäten im Wohnungsbau, aber insbesondere auch im Bau von Büroflächen etc., die jetzt auf den Markt drücken und doppelt Geld kosten.

    Japs: Und Agrarsubventionen, gehen Sie auch hier mit dem Rotstift dran?

    Beck: Ja, wir gehen auch in Rheinland-Pfalz, was unsere eigene Förderung angeht, mit dem Rotstift dran, denn auch dieser Sektor muss sich in immer stärkerem Maße am Markt bewähren. Wir haben ja dort meistens geregelte Märkte – europäisch geregelte Märkte –, aber wir müssen uns auch rantasten auf so wenig Abhängigkeit der Landwirte vom Staat wie immer nur möglich und so viel Eigenverantwortlichkeit wie möglich. Die Umstellung der EU-Agrarsubventionen auf die bewirtschaftete Fläche und das Abrücken von der produzierten Menge ist, glaube ich, eine wichtige Grundlage dafür. Dennoch wird das eine oder andere dort auch in Zukunft notwendig sein. Wenn – um nur ein Beispiel zu sagen – ich an der Nahe, an der Ahr, an der Mosel, am Mittelrhein weiterhin auch die Steilstlage mit Wein bestückt haben will, damit die Hänge nicht runterrutschen, damit wir keine Wildnis haben, damit das attraktiv bleibt für unsere Fremdenverkehrswirtschaft, dann muss ich dem einzelnen Winzer helfen, weil er ansonsten betriebswirtschaftlich vernünftig sagt: 'Das kann ich nicht mehr betreiben'. Dann drei-, vier- fünftausend Euro pro Jahr und Hektar zu zahlen für diese Zusatzarbeit, das ist sozusagen ein Stück Landschaftserhaltung und Landschaftspflege.

    Japs: Bislang gibt es ja auch steuerfreie Zuschläge für Nacht- und Feiertagsarbeit. Sollen auch die beerdigt werden?

    Beck: Das würde ich gerne ausgespart sehen, weil ich glaube, dass wir den Menschen, die in der Tat zu Zeiten arbeiten, zu denen andere Freizeit genießen können, einen Anreiz – einen zusätzlichen Anreiz – und sozusagen eine Anerkennung seitens der Gemeinschaft, der Gesellschaft geben sollten. Also, da wäre ich sehr skeptisch.

    Japs: Gibt es in Ihren Augen weitere Subventionen, die unantastbar sind?

    Beck: Nein, das ist nicht so. Wie gesagt, ich habe den Bereich der Forschung genannt, ich habe den Bereich der Bildung und im weiteren Sinne der Betreuung für Familien mit Kindern, für Alleinerziehende genannt. Das halte ich für richtig, in diese Bereiche hinein staatlich zu helfen. Aber in allen anderen Bereichen sollen wir streng nach dem Maßstab vorgehen: Anstöße geben, jungen Unternehmen auch mal über die erste und zweite Hürde zu helfen - aber dann muss eben der Markt greifen, dann müssen sie sich am Markt bewähren.

    Japs: Wir haben bereits die dramatische Situation der Haushalte in Deutschland, sowohl der Kommunen, der Länder und des Bundes angesprochen. Die Mindereinnahmen bis 2006 sollen bei 130 bis 150 Milliarden liegen. Ist das politisch überhaupt noch zu verantworten?

    Beck: Wir brauchen ein Umsteuern. Es ist ja deshalb vorgesehen, dass zum 1. Januar des kommenden Jahres eine Gemeindefinanzreform in Kraft treten soll. Leider sind die Interessen noch sehr auseinanderstrebend. Es gibt ja im Wesentlichen zwei Modelle, eines der kommunalen Spitzenverbände und eines der deutschen Wirtschaft. Die haben ganz unterschiedliche Auswirkungen, wenn man sie anwendet. Ich glaube, dass wir eine verlässliche und verbreitete – das heißt, höhere Beträge beinhaltende – Einnahmebasis der Kommunen brauchen. Ich glaube, dass dies verbunden sein muss mit einer Verrechnungsmöglichkeit für kleine Betriebe, für Personengesellschaften, wie es ja jetzt schon ist für die Gewerbesteuer mit der Einkommenssteuer, so dass diese kleinen und mittleren Betriebe nicht zusätzlich belastet werden. Das geht zu Lasten dann der Länder und des Bundes, weil dort die Einnahmen fehlen. Aber das ist, glaube ich, richtig. Wir müssen auf der anderen Seite – und das wende ich gegen das Modell der deutschen Wirtschaft ein – es attraktiv halten, als Gemeinde Gewerbe- und Industrieflächen auszuweisen, denn das Modell der deutschen Wirtschaft würde bedeuten, dass zwar die Unternehmen nicht mehr belastet werden, dass das auf Bund und Länder sehr stark verschoben würde – darüber könnte man reden in gewissen Größenordnungen –, aber es würde auch kein Anreiz mehr da sein. Man hätte als schicke Wohngemeinde unter Umständen mehr Einnahmen als eine Gemeinde, die sich ein Industriegebiet oder ein Gewerbegebiet leistet mit all dem Verkehr und mit all dem Lärm und Abgasbelastung, das nun mal mit Gewerbe- und Industrie verbunden sein kann. Insoweit glaube ich, solche Anreize darf man nicht kappen. Ich hoffe, dass wir zu einem Kompromiss diesbezüglich kommen. Mein Land hat Überlegungen entwickelt, die wir in die Diskussion einbringen werden.

    Japs: Herr Beck, zur Sanierung der öffentlichen Haushalte – wäre da nicht der Königsweg, einfach die Steuern zu erhöhen?

    Beck: Das ist kein Königsweg. Er scheint einfach, aber er würde natürlich sofort dazu führen, dass auf die Wirtschaft erneut Druck ausgeübt würde, dass die Verbraucher weniger Geld in der Tasche hätten. Wir gehen ja jetzt gerade den entgegengesetzten Weg, wir senken die Steuern schneller als ursprünglich beabsichtigt. Das würde uns letztendlich auf der Zeitschiene bei höheren Steuersätzen eher weniger Steuern bringen. Deshalb verbietet sich ein solcher Weg.

    Japs: Aber Neuverschuldung – das geht doch gegen die Maastricht-Kriterien. Würden Sie sagen, man sollte den Vorschlag des französischen Präsidenten aufgreifen und die Maastricht-Kriterien lockern?

    Beck: Nein, ich glaube, dass wir keine Politik vorgeben sollten, die eine Lockerung der Maastricht-Kriterien beinhaltet. Ich glaube sehr wohl, dass wir die Flexibilität haben müssen, einem einzelnen Land – wenn es, wie wir es in Deutschland jetzt diskutieren und vorhaben, wenn man sagt: Wir geben einen massiven Impuls in die Wirtschaft und im Jahr darauf holen wir uns das Geld wieder rein –, dass solche kleinen Schwankungen, die auch mal über die 3-Prozent-Verschuldungskriterien hinausreichen, akzeptiert werden sollten. Aber die Politik zu ändern, die sozusagen zum beliebigeren Instrument zu machen, das halte ich nicht für richtig.

    Japs: Neben der Steuerreform wird momentan heiß gestritten über eine Gesundheitsreform. Die Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt und Horst Seehofer von der CDU/CSU sind momentan intensiv bei Verhandlungen. Rechnen Sie damit, dass sich beide Seiten verständigen werden?

    Beck: Da meine Gesundheitsministerin Malu Dreyer an diesen Verhandlungen aktiv teilnimmt, gehen meine Informationen so weit, dass ich guten Mutes bin, dass man sich in den nächsten Tagen einigen wird.

    Japs: Gibt es für Sie eine Schmerzgrenze, wie weit man bei der Gesundheitsreform gehen kann?

    Beck: Natürlich gibt es eine Schmerzgrenze. Wenn die Patientinnen und Patienten, also die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Rentnerinnen und Rentner die einzigen wären, die Lasten zu tragen haben und andere sich daran überhaupt nicht beteiligen würden an dieser Herausforderung, dann wäre diese Schmerzgrenze erreicht. Ich habe immer gesagt – und das gilt jetzt auch und das ist auch Verhandlungslinie, die wir aus rheinland-pfälzischer Sicht in diese Arbeitgruppe einbringen –: Es muss von allen etwas abverlangt werden, also auch von der pharmazeutischen Industrie, auch von den Ärzten, auch von den Apotheken, auch von den anderen Heilberufen, aber auch eben von den Patientinnen und Patienten. Wenn das gelingt, wenn die Balance gelingt, dann ist dies nicht einfach – und ich sage – nicht schön für die Leute, aber unverzichtbar.

    Japs: Lasten für die Patienten – werden Sie denn eine Privatisierung der Zahnersatz-Leistungen mittragen?

    Beck: Ich glaube, dass wir an einer solchen Regelung vorbeikommen können, dass es Chancen dafür gibt, ohne das Ziel aufzugeben. Aber ich denke, dass bei all diesen Fragen erstens 'unterm Strich' gerechnet werden muss. Was bedeutet das für eine durchschnittliche Arbeitnehmerfamilie mit Kindern? – Und zum Zweiten, dass, wenn solche Verlagerungen – beispielsweise bleiben wir bei dem Vorschlag der CDU/CSU –, den Zahnersatz nur noch von den Patienten bezahlen zu lassen, dass für diesen Fall man es über die Solidarversicherung abdecken muss, damit nicht die einen – die schlechten Risiken – dann riesige Beiträge bezahlen müssen und die guten Risiken in private Kassen abwandern mit sehr viel günstigeren Beiträgen. Dann würden wir den Menschen ihren sozialen Status sehr schnell am Lachen ablesen können, nämlich – ob das Gebiss vollständig ist oder nicht. Das darf nicht eintreten.

    Japs: Ein anderer Vorschlag, der von der SPD kommt, ist, das Krankengeld durch die Patienten selbst finanzieren zu lassen – die Versicherung. Bleiben Sie dabei?

    Beck: Das ist von der Motivation her ja auf die gleiche Zielrichtung hinsteuern, nämlich Lohnnebenkosten zu senken, die Beiträge im Griff zu behalten. Auch dort gibt es Alternativen, wie auch für den Zahnersatz. Ob diese Alternativen tragen, ob sie ausreichend Finanzvolumen für stabile Beiträge erbringen, werden jetzt ausgelotet. Aber ich würde auch dort sagen: Unterm Strich rechnen wir ab. Es ist auch dort verantwortbar, wenn es unterm Strich stimmt, wenn eben es in einer solidarischen Kasse sich abspielt, so dass nicht einige Menschen nicht versichert sind und dann im Falle einer langen Krankheit zum Sozialamt marschieren müssen. Das ginge nicht.

    Japs: Ein weiterer Streitpunkt zwischen der Koalition und der Opposition ist die Positivliste für Arzneimittel. Könnte hierauf verzichtet werden?

    Beck: Ich glaube, dass die Ziele, die gewollt sind mit der Positivliste, unverzichtbar sind, nämlich dass auch im pharmazeutischen Bereich ein Beitrag geleistet wird zur Kostendämpfung. Ob dies über diese Liste erreicht wird oder über andere Qualitätsmaßstäbe, die dann auch sichergestellt werden müssen, das lasse ich offen. Das sind Gesprächsbereiche, die derzeit noch in der Diskussion sind.

    Japs: Wir haben viel über Kostendämpfungsmaßnahmen eben gesprochen bei der Gesundheitsreform. Ist nicht die Gefahr, dass die eigentliche Strukturreform in diesem Bereich auf der Strecke bleibt, dass man nur noch über Kostendämpfung redet?

    Beck: Nein, ich sehe schon eine Reihe von qualitativen Elementen in dem, was bisher diskutiert ist, was Kerngehalt dieser Reform ist. Aber natürlich wird man darüber hinaus – wenn man jetzt über einen 10-Jahreszeitraum, Agenda 2010 ist das Stichwort, hinaus denkt – die großen Fragen der demographischen Veränderungen noch auf den Tisch packen müssen. Das gilt für die Rentenversicherung, für die Pflegeversicherung und auch für die Gesundheitsreform, also die Krankenversicherung, denn dort wird man irgendwann fragen müssen: Wie weit ist denn der Kreis der Versicherten? Das ist ja die Frage – 'Schweizer Modell' sozusagen, Bürgerversicherung, oder bleiben wir im bisherigen System und sichern das entsprechend ab. Das muss noch diskutiert werden, das ist auch in Ordnung so. Das ist auf der Ablaufliste für den Herbst vorgesehen.

    Japs: Nach Gesundheitsreform und Agenda 2010: Was kommt als nächste Grausamkeit auf die Bürger zu?

    Beck: Ich glaube, dass dann das, was man unter dem Titel ‘Grausamkeiten' einordnen könnte, weitestgehend abgearbeitet ist. Dann kommen die Langfristmaßnahmen, nämlich die Grundorientierung der Sozialsysteme, wie ich sie jetzt angesprochen habe. Dabei wird sicher zu bedenken sein, dass die Sozialstaatsausrichtung unseres Gemeinwesens nicht verloren werden darf, dass wir unseren eigenen deutschen – ich hoffe auch, einen europäischen – Weg gehen werden, nicht einfach den amerikanischen kopieren beispielsweise, weil auf diese Art und Weise Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme auch miteinander in einer gesunden Konkurrenz sind. Und das müssen wir letztendlich suchen – eine solche gesunde, offene, freiheitlich und freundschaftlich im Umgang miteinander ausgestaltete Konkurrenz. Das muss uns in Zukunft voranbringen. Wenn wir uns gegenseitig alle nur kopieren, dann wird das nicht gehen. Und ich sage auch dazu: Die Welt von morgen darf keine sein, die nur ein Kriterium, nämlich die Ökonomie, kennt. Es müssen die sozialen Kriterien, es müssen die ökologischen Kriterien, es müssen die kulturellen Kriterien im Zusammenleben der Völker eine hohe Bedeutung haben, auch im Leben der Völker innerhalb einer Nation, einer Region.

    Japs: Herr Beck, wenn über Reformen und Reformfähigkeiten in Deutschland gesprochen wird, dann muss man heutzutage auch über die Gewerkschaften sprechen. Gewerkschaften und SPD, die stehen seit Generationen – sage ich mal – 'Seit an Seit', wie das schöne Lied heißt. Doch seit der Agenda 2010 ist auch das Verhältnis zwischen SPD und Gewerkschaften – ich sage es mal vorsichtig – ein wenig getrübt. Hat Bundeskanzler Gerhard Schröder die Gewerkschaft mit seiner Reform-Agenda überfordert?

    Beck: Das hoffe ich nicht. Ich sage bewusst, ich hoffe es nicht, weil ich erstens sehr starke Differenzen zwischen einzelnen Gewerkschaften feststelle, was das Umgehen mit diesen Reformnotwendigkeiten angeht, und zum zweiten, weil ich davon ausgehe, dass die Gewerkschaften den harten und schweren Diskussionsprozess, wie er in der SPD auch geführt worden ist – durchaus auch mit schmerzhaften Erfahrungen, wir haben viele Mitglieder verloren, wir haben im Moment auch Einbrüche in der Zustimmung in der Bevölkerung, wenn man die Umfragen sieht, das ist also alles nicht umzusetzen und durchzustehen: Diesen Prozess werden die Gewerkschaften genau so führen müssen, wie ihn die SPD geführt hat und führt. Also, da ist ein Einstellen auf die aktuellen internationalen und nationalen ökonomischen, aber auch demographischen Alterszusammensetzungserfordernisse unverzichtbar – ohne dass man seine Prinzipien aufgibt. Und das neu auszuloten, das macht Mühe und das bereitet auch entsprechende Schmerzen. Und daraus entstehen auch oft Konflikte, manchmal wie bei der IG Metall auch dann sehr personifizierte Konflikte. Aber wir müssen da durch.

    Japs: Die Führungskrise, die wir nun schon seit Wochen in der IG Metall erleben, könnte die auch Auswirkungen haben auf die aktuelle Politik, etwa wenn es um die Umsetzung sozialer Reformen geht?

    Beck: Es hat sicher seine Auswirkungen, denn eine so starke, auch gesellschaftliche Kraft, wie die IG Metall, wird natürlich in einem so wichtigen grundsätzlichen Weiterorientierungsprozess, wie er derzeit abläuft, gebraucht. Und wenn sie sich mit sich selber befasst – eine solche Organisation –, fehlt sie im wirklichen ernsthaften Dialog. Dennoch, ich glaube nicht, dass die Reformen daran scheitern oder dass sie ins Stocken kommen. Es ist nur schade, dass dieser Sachverstand und dass diese Erfahrung der Arbeitnehmerschaft – der organisierten Arbeitnehmerschaft – aus den großen Metallbetrieben, die ja doch ein Teil des wirtschaftlichen Know-hows der Bundesrepublik ausmachen, eben in diese Diskussion nicht oder nicht ausreichend einfließt.

    Japs: Die Führungskrise in der IG Metall, ist das nicht mehr als ein Streit um Personen? Ist das nicht auch ein Richtungsstreit, welchen Weg die Gewerkschaften in Zukunft gehen sollen?

    Beck: Ganz sicher. Es ist sicher so, dass die Gewerkschaften sich im gleichen schwierigen Diskussionsprozess befinden, der da lautet: Wie kann man denn Sozialstaatlichkeit, wie kann man Solidarität, wie kann man das Erkämpfte, was die Rechte und die Gleichberechtigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Rentnerinnen und Rentnern angeht, in der Gesellschaft sicherstellen – unter veränderten internationalen Wettbewerbsbedingungen? Das ist die große Herausforderung, also das Erkämpfte, die Ziele nicht aufgeben, Solidarität über Generationen hinweg definieren und gleichzeitig eben auch die Kraft zu haben, die notwendigen Umsteuerungen zu machen, damit die, die außerhalb des Systems stehen – Stichwort 'Arbeitslose', junge Menschen ohne Ausbildungsplatz –, ihre Chancen bekommen und dennoch nicht morgen oder übermorgen in einer Situation sind, dass Arbeitnehmer wieder zu Kostenfaktoren mit Ohren gestempelt werden. Das darf nicht eintreten.