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Bedrohtes Sozialgefüge
Frühere illegale Fischerei gefährdet heutige Orca-Bestände

Der Film Free Willy hat sie bekannt gemacht: Schwertwale, auch als Orcas bezeichnet. Sie leben in sehr festen Gruppen mit starken sozialen Bindungen. Wird diese Struktur durch den vorzeitigen Tod von Gruppenmitgliedern gestört, hat dies auch langfristig negative Auswirkungen auf die gesamte Gruppe.

Von Tomma Schröder | 21.05.2019
Schwertwal (Orcinus orca) vor der Küste vor Vancouver Island
Einsame Schwertwale sterben früher (imago )
Am Ende blieb nur C004 übrig. Eine Schwertwalkuh, die heute mal bei dieser, mal bei jener Gruppe zu sehen ist. Ihre eigene Gruppe – Geschwister, Kinder – sind größtenteils seit Ende der 1990er Jahre verschwunden. Ihre Mutter starb 2010. Eine enge Beziehung zu den anderen Walen, die rund um die subantarktischen Crozet-Inseln beheimatet sind, hat C004 seither nicht mehr aufgebaut. Dabei gehörte sie einst zu einer sehr bekannten Schwertwal-Familie, wie Paul Tixier von der Deakin University in Melbourne berichtet:
"Es gab eine sehr berühmte Gruppe in dieser Crozet-Population, die in den frühen 1990er-Jahren durch eine Dokumentation von National Geographic bekannt wurde, weil sie eine ganz besondere Jagdstrategie hatten, um See-Elefanten und besonders deren Junge zu fangen. Sie kamen dafür direkt an den Strand – eine sehr riskante Jagdtechnik, die zum ersten Mal Anfang der 1990er-Jahre dokumentiert wurde."
Verhängnisvolle Jagdmethode
Doch es war nicht diese Technik, die der erfolgreichen Gruppe zum Verhängnis wurde. Vielmehr wurde sie auch bei einer anderen Jagdmethode beobachtet: Die Schwertwal-Familie verfolgte die in den späten 1990er-Jahren immer häufiger auftauchenden Fischereifahrzeuge.
"Die Schwertwale stellten schnell fest, dass sie Nahrung von den Fischereibooten bekommen konnten. Sie warteten also darauf, dass die Langleinen eingeholt wurden und machten sich dann über den Fang her. Aber zu dieser Zeit waren die meisten Fischereifahrzeuge, die sich in der Gegend befanden, illegal dort. Und wir wissen, dass die Besatzung dieser Boote Sprengstoff und Waffen gegen die Schwertwale einsetzte, wenn die ihrem Fang zu nahe kamen."
Dass dies der Grund dafür ist, dass in der seit 40 Jahren dokumentierten Schwertwal-Population um die Crozet-Inseln zwischen 1996 und 2002 immer wieder – auch junge – Tiere verschwanden, da ist sich Paul Tixier sicher.
Bilderdaten scheinen Theorie zu belegen
"Später haben wir Daten von Fischereibeobachtern auf legalen Fischereifahrzeugen erhalten, die Bilder von den Schwertwalen machten. Und dann konnten wir sehen, dass diejenigen Gruppen, die am häufigsten versuchten, Fang von Fischereibooten zu erbeuten, auch die Gruppen waren, denen mehr Individuen fehlten."
Paul Tixier und seine Kollegen werteten nun Tausende von Bildern aus, die zwischen 1987 und 2014 aufgenommen worden waren und auf denen sie insgesamt 221 Tiere anhand ihrer Flecken oder der Form der Rückenflosse identifizieren konnten. Dabei erfassten sie genau, welche Tiere in welcher Gruppe waren und wie oft die Tiere zusammen gesehen wurden, also wie eng ihre Bindung ist. Es zeigte sich: Je enger die Kontakte der Schwertwale zu anderen und je größer die Gruppe, desto besser sind ihre Überlebenschancen.
Bindungslose Schwertwale sterben schneller
Und andersherum: Nach der siebenjährigen Hochphase der illegalen Fischerei blieben 98 Tiere ohne stabile soziale Gruppe zurück. Die Sterblichkeit dieser Wale stieg stark an: Nicht einmal die Hälfte von ihnen überlebte. C004 hat es zwar bis heute geschafft. Aber die besondere Jagdtechnik ihrer Familie ist nicht mehr zu beobachten, erzählt Tixier.
"Ja, das ist die Geschichte dieser Gruppe. Und das zeigt uns: Man kann diese hochsozialen Arten beschützen. Aber wenn die Population vorher – vor allem durch menschlichen Einfluss – viele Tiere verloren hat, dann werden die Auswirkungen dieser Verluste noch sehr lange anhalten – selbst wenn die Ursache für die höhere Sterblichkeit schon längst behoben ist. Und das ist der Fall bei der Population um die Crozet-Inseln: Wir können die Auswirkungen der illegalen Fischerei, die vor 20 Jahren stattgefunden hat, noch heute hier beobachten."